Logik für Juristen
Das Bundesgericht hat heute einen wunderschönen Entscheid ins Netz gestellt (BGE 6B_360/2016 vom 01.06.2017, zur Publikation in der AS vorgesehen), in dem es klarstellt, dass Beweislosigkeit nicht über eine wie auch immer begründete Mittäterschaft substituiert werden kann.
Genau dies hatte das Obergericht des Kantons Aargau getan, indem es zwei Männer verurteilte, die je zwei Feuerwerks-Raketen gezündet hatten, von denen eine einen Brand ausgelöst hat. Da der Täter nicht eruiert werden konnte, hat die Vorinstanz einfach beide verurteilt. Dabei hat sie sich zu Unrecht auf BGE 113 IV 58 (“rolling stones”) berufen:
Der eine gefährdete (nicht strafbar), der andere verursachte den Brand (strafbar).
Die Vorinstanz folgt auch hier der Beschwerdegegnerin (oben E. 4.4) und sieht sich nicht veranlasst, nach den “Einzelbeiträgen”, d.h. dem rechtserheblichen Sachverhalt, zu fragen (oben E. 4.6), weil sie das zu Beweisende durch einen beweisbedürftigen Umstand ersetzt, nämlich durch die Behauptung der “Gesamthandlung”. Diesen (vor allem beim Indizienbeweis vorkommende) Fehlschluss der petitio principii begeht, wer einen Satz als bewiesen annimmt, der des Beweises bedürftig ist. Die zu beweisende Behauptung soll selbst als Beweisgrund herhalten (FRIEDRICH E. SCHNAPP, Logik für Juristen, 7. Aufl., München 2016, S. 227, 228).Denn subjektives Beweisergebnis ist lediglich, dass sie “gemeinsam beschlossen, nach draussen zu gehen, um Feuerwerkskörper zu zünden” (so die Formulierung in der Anklageschrift, oben Bst. A). Mithin fehlt es an den Voraussetzungen der Annahme einer Gesamthandlung im Sinne von BGE 113 IV 58, so dass sich die Vorinstanz für die Schuldsprüche nicht auf dieses Präjudiz berufen kann. Das Bundesgericht hat deshalb weder auf BGE 113 IV 58 einzugehen noch sich mit der Kausalitätsfrage auseinanderzusetzen. Vielmehr ist festzustellen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der vorinstanzlich angenommenen Gesamthandlung im Sinne von BGE 113 IV 58 beweismässig nicht erstellt sind. Der gemeinsame Beschluss einer sorgfaltswidrigen Handlung ist nicht nachgewiesen (bereits Erstinstanz, oben E. 4.3) [E. 4.9].
Den Freispruch begründet das Bundesgericht mit dem fehlenden Nachweis des subjektiven Tatbestands:
Während die vorsätzliche Mittäterschaft wissentlich und willentlich die gemeinsame Begehung einer Straftat bezweckt, die folglich nur vorsätzlich begangen werden kann, verhalten sich Fahrlässigkeitstäter bewusst oder unbewusst sorgfaltswidrig; sie nehmen einen strafrechtlichen Erfolg definitionsgemäss nicht in Kauf (Art. 12 Abs. 2 Satz 2 StGB). Der Erfolg ist bloss ein nicht gewolltes Resultat ihrer Unsorgfalt. Auf die Frage, ob und inwiefern sie sich auch “gemeinsam” sorgfaltswidrig verhalten könnten, ist nicht einzugehen. Denn klar ist, dass die Komponenten eines sorgfaltswidrigen gemeinsamen Unternehmens (projet commun de comportement) in subjektiver Hinsicht in jeder Eventualität erst nachgewiesen sein müssten (E- 4.10).