LTTE keine kriminelle Organisation
Das Bundesgericht hat verschiedene Beschwerden gegen das LTTE-Urteil des Bundesstrafgerichts (SK.2016.30) behandelt und dabei auch die Rügen der Bundesanwaltschaft weitgehend abgewiesen (BGE 6B_383/2019 vom 08.11.2019, Publikation in der AS vorgesehen).
Zur Frage nach der kriminellen Organisation i.S.v. Art. 260ter StGB stützt sich das Bundesgericht auf das Legalitätsprinzip (E. 4). Es fasst das Urteil in diesem Punkt in einer Medienmitteilung zusammen:
Gemäss dem Legalitätsprinzip muss ein Straftatbestand so präzise formuliert sein, dass der Bürger sein Verhalten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kann. Artikel 260ter StGB wurde ursprünglich zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität mafiösen Charakters konzipiert und später auch auf terroristische Organisationen angewendet. Nicht angelegt wurde die Norm im Hinblick auf Organisationen, die am Rande zwar terroristische Akte begehen, sonst aber überwiegend andere Ziele verfolgen. Abgesehen von Gruppierungen, die das Bundesgericht bereits als terroristisch qualifiziert hat (u.a. “Al-Qaida” und “Islamischer Staat”), ist nur schwer absehbar, ob eine Organisation, die terroristische Akte begangen hat, als kriminelle Organisation im Sinne von Artikel 260ter StGB einzustufen ist. Was die LTTE betrifft, ist diese entgegen der Ansicht der Vorinstanz zwar auch Urheberin terroristischer Angriffe gewesen. Zu ihren überwiegenden Zielen gehörte dies allerdings nicht; dazu zählten vielmehr die Führung eines konventionellen bewaffneten Kampfes, die quasi-staatliche Verwaltung eines Gebiets und die Anerkennung der Unabhängigkeit ihrer ethnischen Gemeinschaft. Angesichts des Umfangs und der Vielfältigkeit der nicht-kriminellen Aktivitäten der LTTE kann schwerlich gesagt werden, dass eine Person, die zu ihren Gunsten Geld gesammelt hat, davon ausging, ihr Verhalten diene direkt einem kriminellen Ziel. Stellungnahmen verschiedener Bundesbehörden aus dem fraglichen Zeitraum zeigen zudem, dass die LTTE nicht als kriminelle Organisation betrachtet wurde. Insgesamt war es für die Beschuldigten somit nicht vorhersehbar, dass ihre Tätigkeiten zu Gunsten der WTCC resp. der LTTE gegen Artikel 260ter StGB verstossen könnten. Eine entsprechende Verurteilung würde das Legalitätsprinzip verletzen.
Die (schwierige) Frage der Qualifizierung der LTTE wurde in diesem Fall vom BG auf elegante Weise gelöst.
Diese ergibt sich aus der zunehmenden Überlappung des Kriegsvölkerrechts mit den sog. Antiterror-Gesetzen, die eine Folge der «Erklärung des Krieges gegen den Terror» der USA nach den 9/11 Angriffen ist. Davor wurden sog. Terrorakte als ordentliche Straftaten betrachtet, die dementsprechend auf den Weg der Rechtshilfe und der Strafverfolgung zu bekämpfen waren. Nach 9/11 wurde vermehrt der Einsatz von militärischen Streitkräften als Antiterror-Massnahme eingesetzt, was die Anwendbarkeit des Kriegsvölkerrecht mit sich gebracht hat.
Heutzutage verwenden sog. terroristische Gruppe (oder Gruppen, die als Terrorgruppen aufgelistet sind) die gleichen Methoden wie irregulären nichtstaatlichen Gruppen in bewaffneten Konflikten, die dem Kriegsvölkerrecht unterstellt sind. Je nachdem, ob die Schwelle eines bewaffneten Konfliktes i.S.v. Art. 2 – 3 der Genfer Konvention von 1949 erreicht wurde, ist dieses Rechtsregime anwendbar. Dementsprechend gelten nicht alle Gewaltakte als Terrorakte.
Umgekehrt werden zunehmend sog. “Terrorakte oder -methoden” von nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen ausserhalb der geographischen Grenzen des Kampffeldes und der vom bewaffneten Konflikt betroffenen Ländern eingesetzt. Dann stellt sich die Frage, ob auch solche Taten gem. Kriegsvölkerrecht zu beurteilen sind oder ob diese als “ordentliche” Gewalttaten gem. nationalem Strafrecht zu verfolgen sind.
Bei den Gruppen «IS» und «Al-Qaïda» hat der Gesetzgeber das Problem mit der Einführung des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen gelöst: dieses definiert, welche Gruppierungen und Organisationen verboten sind, und verbietet deren Beteiligung und Unterstützung unabhängig davon, ob ihre Taten dem Kriegsvölkerrecht oder dem ordentlichen Strafrecht unterstellt sind.
Es gibt aber viele weitere Gruppierungen, wo die Frage der Qualifikation noch offen ist, und wo keine ähnliche Lösung wie für IS und Al-Qaida vorhanden ist.
In Sri Lanka hat über 20 Jahre ein Bürgerkrieg zwischen den LTTE und der Regierung stattgefunden. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob die Finanzierung von ähnlichen kämpfenden nichtstaatlichen Parteien, die vor Ort dem Kriegsvölkerrecht unterstellt sind, ausserhalb der geographischen Grenzen des vom Krieg betroffenen Landes unter Art. 260ter StGB subsumierbar ist. Eine positive Antwort würde bedeuten, dass ihre Qualifikation vom Begehungsort abhängig ist: ja nachdem könnten sie als nichtstaatliche bewaffnete Gruppen gemässe dem Kriegsvölkerrecht oder als kriminelle Organisation gemäss dem nationalen Strafrecht qualifiziert werden (mit z.T. widersprüchlichen Ergebnissen).
Das Dilemma ist offensichtlich und dementsprechend hat das BG eine elegante Lösung gefunden, mit dem Argument der mens rea und des Legalitätsprinzips.
Dieses Thema scheint zunehmend wichtig zu sein im Zusammenhang mit den sog. Antiterror-Massnahmen und der relativen Rechtsprechung, wie z.Bsp. im BG Urteil vom Urteil vom 7. Oktober 2019 (Ref. BGE 6B_908/2018 (vgl. at https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza%3A%2F%2F07-10-2019-6B_908-2018&lang=de&zoom=YES&type=show_document& )
Die Frage z.B., ob die «umfassende Auslegung» einer Bestimmung das Spannungsverhältnis zum Legalitätsprinzip lösen kann, wird hoffentlich in der Zukunft vom BStG und BG vertieft und abgeklärt. Dieser letzte Entscheid des BG im LTTE Fall ist bestimmt ein Schritt in diese Richtung.