Lückenfüllung durch Strafrichter?
Die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts betreibt, was das Recht verbietet: richterliche Lückenfüllung zuungunsten der beschuldigten Personen (BStGer CA.2020.18 vom 12.07.2021; vgl. dazu auch die Medienmitteilung vom 12.07.2021).
Konkret ging es dabei um die Frage, ob Ergebnisse aus einem Lauschangriff (Art. 280 f. StPO) verwertet werden dürfen, obwohl der untersuchte Straftatbestand (Art. 2 AQ/IS-Gesetz) im Katalog von Art. 269 Abs. 2 StPO nicht aufgeführt ist. Anlass zur Lückenfüllung gab das (nicht unberechtigte) Erstaunen, dass die Bestimmung nicht im Katalog enthalten ist:
Prima vista erstaunt das Fehlen von Art. 2 Abs. 1 des AQ/IS-Gesetzes im Katalog von Art. 269 Abs. 2 StPO, da sich dessen Anwendungsbereich mit demjenigen von Art. 260ter Ziffer 1 StGB nahezu deckt. Entsprechend ist vorliegend zu prüfen, welche Absicht der Gesetzgeber mit der Nicht-Aufführung von Art. 2 AQ/IS-Gesetz im Deliktskatalog von Art. 269 Abs. 2 StPO verfolgte bzw. ob es sich dabei allenfalls um ein Versehen und damit um eine echte gesetzgeberische Lücke handelt (E. 1.2.4).
Was die Berufungskammer u.a. übersehen hat ist, dass sich diese Frage gar nicht stellte. Ihr Fazit ist daher an sich obsolet:
Im Sinne der Lückenfüllung nach Art. 1 Abs. 2 ZGB nach dem Prinzip «in majore minus est» (vgl. oben E. II. 1.2.5.3. und 1.2.7.4) ist der Deliktskatalog von Art. 269 Abs. 2 StPO in Analogie entsprechend um Art. 2 Abs. 1 des AQ/IS-Gesetzes zu ergänzen (E. 1.2.8.1).
Die Frage, ob richterliche Lückenfüllung im Strafprozessrecht überhaupt zulässig ist, wird nicht diskutiert. Dass sie im Bereich der Zwangsmassnahmen ausgeschlossen ist, steht in der Verfassung (Art. 36 Abs. 1 BV) und im Gesetz (Art. 197 Abs. 2 lit. a StPO). In der Literatur ist das soweit ersichtlich weitestgehend unbestritten.
Vielen Dank für den Hinweis auf dieses Urteil. Bemerkenswert finde ich nach kursorischer Durchsicht des Urteils, dass die Berufungskammer das eigentliche Fundament ihrer Argumentation zur Lückenfüllung auf Einleitungsartikel des ZGB und entsprechende Literatur stützt. Der Brückenschlag zwischen ZGB und StGB wird aber nach meinem Verständnis nicht wirklich begründet und finde ich dogmatisch nicht ganz nachvollziehbar.
Einfach nur erbärmlich, Rechtstaat ade
mal sehen was das Bundesgericht damit macht.