Mangel an Therapieplätzen?
Die häufigen Todesfälle in schweizerischen Gefängnissen haben SRF wieder einmal dazu veranlasst, in 10vor10 das Klagelied von den fehlenden Therapieplätzen für psychisch kranke Häftlinge nachzusingen und mit den Kantonen mehr Geld für den Bau geeigneter Anstalten zu verlangen. Nicht dass ich von unserem Staatsfernsehen kluge oder gar kritische Berichterstattung erwarten würde. Aber müsste man nicht einmal auf die Frage stossen, warum es eigentlich immer mehr psychisch kranke Häftlinge gibt? Vielleicht würde man als kritischer Journalist dann ja auch einmal die Frage aufwerfen, ob die These überhaupt zutrifft. Vielleicht würde man dann feststellen, dass es der Ausbau der forensischen Psychiatrie ist, der immer mehr Häftlinge produziert, die angeblich psychisch krank sind.
Es ist wie im Fussball: Foul oder Penalty ist dann, wenn der Schiri pfeift. In der psychiatrischen Branche wird aber auch dann gepfiffen, wenn keine psychische Krankheit zur Behandlung anliegt, die Kliniken aber nicht ausgebucht sind. Dies führt im Einzelfall dazu, dass der Arzt den Klienten einweist, ohne ihn gesehen zu haben.Leider wird dies von den Krankenkassen mit satten Einweisungspauschalen belohnt. Im Fall Natalie K. war die Klinik scheinbar grad schon voll.
In der CH-Staatspsychiatrie wird bei IV.-und Soz.-Hilfe-Bezügern und Anderen, die nicht der “CH-Norm” entsprechen , sofort”gepfiffen”, wenn jene z.B. eine Verfügung/Massnahme anfechten und sich so den “Querulanten-Stempel” holen.Da hat es genug willfährige (Haus)-Aerzte , die den “Querulanten” per FU “abräumen” (Einweisungs-Boni lassen grüssen..) lassen. Die Psychiatrie in der CH ist zu einer Parallel-Justiz (auf KK.-Kosten, notabene..) verkommen, um “unbequeme” Mit-Bürger, denen strafrechtlich-juristisch nichts anzuhängen ist, zu entsorgen. Da die Straf-Justiz/Gefängniswesen nur ein Abbild der vorherrschenden gesellschaftlichen Zustände in einem Staat ist, verwundert mich die “Psychiatrisierung” der Insassen nicht. Urbaniok und Konsorten (auch ausserhalb der Gefängnis-Mauern..) gehören mal endlich kräftig “zurück gepfiffen”-sonst ist die CH nur eine weitere Bananen-Republik, auf die ich gerne pfeife.
Schätze das ist nicht unbedingt eine gefängnisspezifische Tendenz. Wahrscheinlich hängt die Anzahl der Diagnostizierten (in der Gesamtbevölkerung) schon auch ein Stück weit mit der Anzahl verschiedener möglicher ICD-10-Diagnosen und der Anzahl der Psychiater/innen zusammen; ich werde aber trotzdem den Eindruck nicht los, dass es mehr psychisch Erkrankte gibt als auch schon (wobei ich keineswegs der früher-war-alles-besser-Typ bin). Und wenn die Anzahl der Erkrankten gestiegen ist, wieso sollte es vor den Gefängnissen halt machen…
Anders: Der Druck, nach Alternativen zur (Freiheits-)Strafe zu suchen, ist in der Schweiz noch nicht gross genug. Vielleicht sollte man die Prämisse gesellschaftlicher Erwartungen gegenüber der Freiheitsstrafe und ihres Vollzuges einmal hinterfragen. Denn institutionelle Massnahmen haben Menschen zum Gegenstand. Ihre Wirkung ist von deren Reaktion abhängig.
Ich schätze dieses Forum strafprozess.ch wirklich sehr und empfehle es immer wieder gerne weiter. Der Autor leistet einen immensen Einsatz und auch die von ihm in diesem Post angestossene Frage, ob und allenfalls warum es eigentlich immer mehr psychisch kranke Häftlinge gibt, erachte ich als sehr berechtigt und diskussionswürdig.
Allerdings frage ich mich, ob die zuweilen etwas gar leichtfertig angebrachten und übertrieben tendenziösen Beibemerkungen des Autors dieses Forum nicht auch entwerten. Die Bemerkung “Nicht dass ich von unserem Staatsfernsehen kluge oder gar kritische Berichterstattung erwarten würde” gehört für mich dazu. Sie desavouiert in diesem Kontext unnötigerweise das Fernsehen SRF und suggeriert, andere (private) TV-Stationen würden über dieses Thema klug und kritischer berichten. Ich frage mich, welche anderen, privaten Stationen der Autor denn meint…?! Mit seinen manchmal zu salopp-tendenziösen Bemerkungen bestärkt der Autor zudem auch Kommentatoren wie z.B. vorliegend “raeber” zu rein polemischen Rundumschlägen, welche einer sachlichen Diskussion überhaupt nicht dienen und das Forum zusätzlich entwerten. Schade.
@Richter: Danke sehr für den Beitrag. Das war ja klar, dass “Staatsfernsehen” zu Reaktionen führen würde. Ich hätte einfach 10vor10 anprangern sollen, ein Gefäss, das mir je länger je unerträglicher wird. Aber trotzdem:
1. Staatliche Medien sind mit meinem Verständnis von Staat und Staatsaufgaben nicht vereinbar, auch wenn sie durchaus auch wertvolle Beiträge liefern.
2. ich bin mit diesem Blog kein staatliches Medium und fühle mich weder Objektivität noch Ausgewogenheit verpflichtet. Dazu fehlt mir u.a. die Zeit. Das führt auch mal zu Schnellschüssen, die das Ziel verfehlen.
3. meine Beiträge können und wollen keinen wissenschaftlichen Anspruch erheben.
Wenn Richter trotzdem mal reinschaut, freue ich mich umso mehr.
@Richter:
Ich lese diesen Blog nun schon über viele Jahre und habe in diesem Beitrag überhaupt zum ersten Mal eine ‘salopp-tendenziöse’ Bemerkung des Autors gesehen.
Immerhin hat diese Bemerkung auch einen gewissen wahren Informationsgehalt, denn 10 vor 10 bringt komplexe Sachverhalte nur ganz selten auf den Punkt.
Wenn diese Bemerkung bei Richter etwas über “andere (private) Sender suggeriert hat, dürfte die Ursache dafür in der Psyche von Leser Richter zu finden sein.
Dass der Blogbesitzer ‘gewisse Kommentatoren für rein polemischen Rundumschläge bestärke’ wage ich gänzlich zu bezweifeln. Solche Kommentare werden von gewissen Reizthemen sozusagen automatisch ausgelöst und sind hier im Blog zum Glück äusserst selten.
@irgendeiner: gut zu hören, danke.
Wer sich über die Verzahnung von Psychiatrie und Justiz informiere möchte, dem sei die insb. für Verteidiger und Richter erhellende Lektüre von Michel Foucaults Aufsatz “Die Entwicklung des Begriffs des »gefährlichen Menschen« in der forensischen Psychiatrie des 19. Jahrhunderts” empfohlen. Zu finden in Foucault: Dits et Ecrits. Schriften. Band III, S. 568-594. Die Englische Version “About the concept of the “dangerous individual” in 19th-century legal psychiatry” kann auch gegoogelt werden.