“Mehrfache Bescheisserin”

Wer die Gegenpartei im Zusammenhang mit einem Zivilprozess als “mehrfache Betrügerin” bezeichnet, läuft Gefahr, wegen Verleumdung verurteilt zu werden. In einem vom Bundesgericht bestätigten Fall (BGer 6B_1046/2021 vom 02.08.2022, Fünferbesetzung) wusste die Verurteilte , dass die Gegenpartei nach erstinstanzlicher Verurteilung im Rechtsmittelverfahren von allen Betrugsvorwürfen freigesprochen wurde. Hingegen wurde sie unter anderem wegen versuchter Erpressung und Urkundenfälschung verurteilt.

Die Verurteilte hat mit Laienbeschwerde an das Bundesgericht geltend gemacht, sie habe den Begriff Betrügerin umgangssprachlich, nicht juristisch verwendet. Die Vorinstanz und das Bundesgericht stellen aber darauf ab, wem gegenüber die Äusserung erfolgte:

Die Einschätzung der Vorinstanz trifft zu, dass der von der Beschwerdeführerin verwendete Begriff “mehrfache Betrügerin” in der vorliegenden Konstellation objektiv nicht in einem umgangssprachlichen Sinn zu verstehen ist. Der Ausdruck wurde in einem offiziellen und juristischen Kontext in einer Eingabe an ein Gericht gebraucht, nicht im privaten Umfeld. Um den Sinn dieser Äusserung zu eruieren, ist demnach auf eine unbefangene Richterin oder einen Gerichtsschreiber an einem erstinstanzlichen Gericht abzustellen, die den von der Beschwerdeführerin verfassten Klagerückzug erhalten und lesen (vgl. E. 3.3.2). Diese juristisch geschulten Personen verstehen die Formulierung “mehrfache Betrügerin, Urkundenfälscherin etc.” in einem rechtlichen Sinn – selbst wenn es sich um eine Laieneingabe handelt. Mit der Vorinstanz ist hierbei zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin die Beschwerdegegnerin 2 neben dem mehrfachen Betrug auch – wenngleich zu Recht – beschuldigt, eine “Urkundenfälscherin etc.” zu sein. Damit unterscheidet sie zwischen Betrug und anderen Straftaten, die die Beschwerdegegnerin 2 begangen haben soll und die strafrechtlich sanktioniert wurden oder werden müssten. Auch die Verwendung des Adjektivs “mehrfach” führt dazu, dass “Betrügerin” gerade von den addressierten Juristinnen als Betrugsvorwurf verstanden werden musste. Umgangssprachlich wäre kaum von einer “mehrfachen Bescheisserin” die Rede. In Anbetracht dieser Wortwahl ist auch nicht von Bedeutung, dass die Beschwerdeführerin die Äusserung im Rahmen eines Zivil- und nicht eines Strafverfahrens tätigte (E. 3.4.1, Hervorhebungen durch mich).  

An diesem Ergebnis änderte auch die Tatsache nichts, dass die Gegenpartei früher vorübergehend tatsächlich auch wegen Betrugs verurteilt war:

Die Beschuldigung des mehrfachen Betrugs stellt also nicht lediglich eine unbedeutende Ungenauigkeit oder Übertreibung dar, die im Wesentlichen der Wahrheit entspräche, sondern eine eigenständige, unwahre Anschuldigung, die ein strafrechtlich relevantes Verhalten betrifft.  

Es ist im Übrigen nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz in diesem Zusammenhang dem von der Beschwerdeführerin angeführten Schuldspruch der Beschwerdegegnerin 2 aus dem Jahr 2006 kein Gewicht beimisst. Wie sich aus dem Sachverhalt des Urteils 6B_1391/2016 vom 12. Januar 2017 ergibt, wurde diese durch den Gerichtspräsidenten des Gerichtskreises X Thun am 10. März 2006 unter anderem wegen (einfachen) Betrugs ausgesprochene Verurteilung vom Obergericht des Kantons Bern mit Revisionsentscheid vom 4. Juli 2007 aufgehoben. Die dort behandelten Vorwürfe bildeten schliesslich Gegenstand jenes Verfahrens, in welchem die Beschwerdegegnerin 2 vom Obergericht Bern mit Urteil vom 7. Juli 2016 vom Betrug in allen Punkten rechtskräftig freigesprochen wurde. Die (vorübergehende) Verurteilung der Beschwerdegegnerin 2 im Jahr 2006 ändert deshalb nichts an der Unwahrheit des von der Beschwerdeführerin erhobenen Vorwurfs “mehrfache Betrügerin” (E. 3.4.2). 

Wer wohl die vorübergehend verurteilte und dann doch noch freigesprochene Betrügerin, die zudem auch Urkunden fälschte, war?