Menschenrechte zum Schutz der Allgemeinheit

Das Bundesgericht schützt die nachträgliche Umwandlung einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren Zuchthaus in eine Verwahrung (BGer 6B_896/2014 vom 16.12.2015, Fünferbesetzung). Allein aufgrund der ausserordentlichen Verfahrensdauer könnte man darauf schliessen, dass sich das Bundesgericht schwer tat mit seinem Entscheid.

Dieser Eindruck wird durch die Begründung des Urteils bestätigt, das hoffentlich dem EGMR vorgelegt wird. Die Begründung erweckt den Eindruck, dass das Bundesgericht versucht hat, einen vorgefassten Entscheid nachträglich herbei zu begründen. Dass es für das “richtige Ergebnis” im Einzelfall an fundamentalsten Rechtsgrundsätzen (Rückwirkungsverbot, ne bis in idem, nulla poena) herumschraubt, ist erstaunlich.

Persönlich geradezu unerträglich ist mir aber, dass das Bundesgericht einmal mehr die Menschenrechte nicht zum Schutz des Individuums heranzieht, sondern zum Schutz der Gesellschaft:

Diese Schutzpflicht des Staates [hergeleitet aus Art. 10 BV und Art. 2 EMRK] ist den Rechten des Beschwerdeführers entgegenzusetzen. Es ist eine Abwägung zwischen dessen Freiheitsanspruch und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden schwerwiegenden Rechtsgutverletzungen vorzunehmen (E. 7.4).

Am Schluss lässt das Bundesgericht sein schlechtes Gewissen erkennen, woran sich der Beschwerdeführer bestimmt aufrichten kann:

Aufgrund der ausserordentlichen Tragweite dieses Entscheids für den Beschwerdeführer ist im weiteren Vollzug der Verwahrung deshalb aktiv und mit allen Mitteln darauf hinzuwirken, die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr für weitere schwere Straftaten zu minimieren und auf diese Weise die Dauer der Freiheitsentziehung auf das unbedingt erforderliche Mass zu reduzieren. Ziel des Vollzugs muss die Eröffnung einer realen Perspektive im Hinblick auf eine mögliche Entlassung und eine Wiedererlangung der Freiheit sein (E. 7.5).

Dem Bundesgericht ist zugute zu halten, dass es wenigstens die wesentlichen Rügen des Beschwerdeführers zusammenfasst und damit ermöglicht, sein Urteil daran zu messen:

Die Vorinstanz wolle der Rückwirkungsproblematik ausweichen, indem sie den Regelungsgehalt von Ziff. 2 Abs. 1 lit. a SchlussBest StGB i.V.m. Art 65 Abs. 2 StGB in einen materiellrechtlichen und einen revisionsrechtlichen Teil aufzuspalten versuche. Sie begründe ihre Auffassung, wonach eine Verletzung von Art. 7 EMRK selbst dann nicht vorliege, wenn das alte Revisionsrecht die Wiederaufnahme aufgrund von Noven zu Lasten des Verurteilten nicht vorgesehen habe, einzig damit, dass revisionsrechtliche Bestimmungen prozessuales und nicht materielles Recht darstellen würden, das Verbot rückwirkender Strafgesetze indes nur für das materielle Recht gelte, nicht aber auch für das Strafprozessrecht. Unter Berücksichtigung der materiellrechtlichen Folgen, der nachträglichen Verwahrungsanordnung, erweise sich der Versuch der Vorinstanz aber als offensichtlich nicht vertretbar. Hinzu komme, dass die neu geschaffene Möglichkeit der Revision zu Ungunsten eines Verurteilten, die unter dem alten (Prozess-) Recht nur unter besonderen Umständen zulässig gewesen sei, gegen das Doppelbestrafungsverbot verstosse und nicht mit den angeblichen weitgehenden Ausnahmen, die Art. 4 Abs. 2 des Zusatzprotokolls Nr. 7 zur EMRK zulasse, begründet werden könne. Die Vorinstanz verkenne auch, dass Art. 14 Abs. 7 UNO-Pakt II die Möglichkeit einer Revision zu Ungunsten eines Verurteilten nicht vorsehe.
Die nachträgliche Verwahrung durchbreche im Übrigen die Rechtskraft der Verurteilung und verstosse damit auch gegen Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK. Soweit Ziff. 2 Abs. 1 lit. a SchlussBest StGB i.V.m. Art. 65 Abs. 2 StGB die nachträgliche Anordnung der Verwahrung für altrechtlich Verurteilte vorsehe, sei schliesslich auch eine Verletzung des Verbots der Einzelfallgesetzgebung und damit ein Verstoss gegen das Prinzip “nulla poena sine lege” zu rügen. Wie sich aus der Botschaft ergebe, habe die Revision auf wenige Einzelfälle abgezielt. Gesetze müssten aber allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten.
Damit rügt der Beschwerdeführer die nachträgliche Verwahrungsanordnung zusammenfassend als verfassungs- und konventionswidrig. Dass die Voraussetzungen der Verwahrung als solche im Sinne von Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB und Art. 64 Abs. 1 lit. b StGB sowohl damals als auch heute erfüllt waren und sind, stellt er nicht in Abrede (E. 2).