Michaud c. France: Anwälte als Hilfs-Sheriffs

Der EGMR hat unter Mitwirkung von Richterin Keller und Richter Villiger die Beschwerde von Kollege Michaud (EGMR Nr. 12323/11, Michaud c. France  vom 06.12.2012) abgewiesen. Michaud hatte geltend gemacht, die nationale Umsetzung von EU-Richtlinien (vgl. insb. RiLi 2005/60/EG vom 26.10.2005) verstosse im Hinblick auf anwaltliche und notarielle Geldwäscherei-Meldepflichten gegen Art. 8 EMRK.

Der EGMR qualifiziert die Beschränkungen des Berufsgeheimnis als verhältnismässig. Es ist damit rechtmässig, Anwälte im Kampf gegen Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung zur Wahrnehmung von kriminalpolizeilichen Aufgaben zu verpflichten. Der EGMR weist darauf hin, dass eine Meldepflicht in den Kernbereichen anwaltlicher Berufsausübung nicht vorgeschrieben ist. Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie lautet wie folgt:

Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, die Pflichten des Artikels 22 Absatz 1 auf Notare, selbstständige Angehörige von Rechtsberufen, Abschlussprüfer, externe Buchprüfer und Steuerberater anzuwenden, wenn es sich um Informationen handelt, die diese von einem oder über einen ihrer Klienten im Rahmen der Beurteilung der Rechtslage für diesen erhalten oder erlangen oder die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit als Verteidiger oder Vertreter dieses Klienten in einem Gerichtsverfahren oder betreffend ein solches, einschließlich einer Beratung über das Betreiben oder Vermeiden eines Verfahrens, vor oder nach einem derartigen Verfahren bzw. während eines derartigen Verfahrens erhalten oder erlangen.

In der Schweiz wäre die Einführung einer Meldepflicht – soweit sie für Finanzintermediäre nicht bereits besteht – nicht einmal ein Eingriff in das Berufsgeheimnis, das hier (ohne Not) viel enger ausgelegt wird als in Europa.