(Mögliche) Folgen des Widerrufs der amtlichen Verteidigung
Mandatiert ein amtlich Verteidigter zusätzlich einen Privatverteidiger, was er jederzeit tun darf, widerrufen etliche Behörden in der Schweiz die amtliche Verteidigung. Andere sistieren sie und wiederum andere wollen bloss wissen, wer der Hauptvertreter sein soll (Art. 127 Abs. 2 StPO).
Im Kanton Zürich hat die Verfahrensleitung die amtliche Verteidigung nach der Mandatierung eines Privatverteidigers widerrufen (Art. 134 StPO). Auf die entsprechende Beschwerde tritt das Bundesgericht mangels Darlegung eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils im vereinfachten Verfahren (Einzelrichter) nicht ein (BGer 1B_407/2021 vom 28.07.2021). Die Begründung enthält dann aber doch materielle Aspekte:
Der Beschwerdeführer macht ohne nähere Ausführungen geltend, durch den Widerruf der amtlichen Verteidigung entstehe ihm “offensichtlich” ein nicht wiedergutzumachender Nachteil, da seine Verteidigung geschwächt werde. Das trifft nicht zu, bestehen doch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sein erbetener Verteidiger nicht willens oder in der Lage wäre, seine Interessen im Berufungsverfahren vollumfänglich wahrzunehmen. Es droht dem Beschwerdeführer damit durch die Entlassung des amtlichen Verteidigers kein nicht wiedergutzumachender Nachteil rechtlicher Natur, weshalb auf die Beschwerde im vereinfachten Verfahren nicht einzutreten ist (E. 2).
Ist es wirklich kein offensichtlicher Nachteil, wenn man den amtlichen Verteidiger, der das Dossier bestens kennt, verliert? Was macht das Obergericht, wenn der Privatverteidiger sein Mandat niederlegt oder vom Beschuldigten gefeuert wird? Holt es dann den alten amtlichen wieder zurück oder setzt es einen Dritten ein?
Für mich gibt es für solche Fälle (auch) aus Sicht des Gerichts nur eine gute Lösung, nämlich zu akzeptieren, dass der Beschuldigte nun halt zwei Verteidiger hat.
Aber die Voraussetzungen sind ja entfallen. Mir scheint, es sei eher das zu akzeptieren.
Man ist ja als Beschuldigter nicht entmündigt. Man darf auch Entscheidungen mit gewissen Risiken fällen. Und man darf – auch im Strafverfahren – mit diesen Entscheidungen Leben müssen.
@daz: wieso genau sind die Voraussetzungen entfallen? Störend ist zudem, dass es keine einheitliche Praxis gibt. Die meisten Gerichte entlassen jedenfalls bei notwendiger Verteidigung den amtlichen V nicht.
Ein “rechtlicher Nachteil” ist eben nicht das gleiche wie ein “tatsächlicher Nachteil”, und nur darauf kommt es an.
@HP Seipp: so ist es. Aber die Unterscheidung verstehe ich nicht.
Selbstredend sollte es keine Praxisunterschiede geben! Da haben Sie völlig recht, Herr Kollege! Am einfachsten wäre es, wenn mit der Einsetzung eines PV die amtliche Verteidigung ex lege aufgehoben wäre. Niemand braucht zwei Verteidiger!
@pk: ich kenne viele, die mehr als einen Verteidiger brauchen. In grossen Verfahren kann ein Verteidiger allein die beruflichen Sorgfaltspflichten unmöglich gewährleisten. In solchen Fällen sieht man dann ja auch auf der Seite der Staatsanwaltschaft ganze Teams, dies sogar vor Gericht. Dass sie im Verfahren ohnehin über viel mehr Ressourcen verfügen, ist evident.
@kj: Richtig. Dann wäre es aber auch Sache der StA (bei notwendigen Verteidigungen), einen zweiten amtlichen Verteidiger einzusetzen, da sonst eine unzureichende Verteidigung vorliegen könnte.
Angesichts dessen, dass man als Beschuldigter mit nur einem Verteidiger (oder auch zwei oder drei) gegenüber der Staatsanwaltschaft mit beinahe unbegrenzten Ressourcen stets wie David gegen Goliath wirkt, erscheint es nur zulässig, dass man sich auch mal mit einem zweiten Verteidiger austauschen darf. Allerdings stellt sich mir die Frage der Kostentragung: wie bezahlt denn der amtl Verteidigte seinen Wahlverteidiger? Wenn dieser einen höheren Stundensatz fordert, ist das nicht unbefriedigend für den amtl Verteidiger?