Nachträgliche Verwahrung
Ein “erfolgloser” Vollzug einer stationären Massnahmen schliesst nicht aus, später auch ohne neue Anlasstaten und ohne Revisionsgründe verwahrt werden zu können (Art. 62c Abs. 4 StGB; BGE 6B_1076/2021 vom 28.10.2021, Publikation in der AS vorgesehen).
Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, dass eine Verwahrung gestützt auf Art. 62c Abs. 4 StGB unter dem Gesichtspunkt der geforderten Erheblichkeitsschwelle angesichts der Anlasstaten als solchen und für sich genommen (…) zweifelhaft erscheinen könnte (…). Neben diesen Anlasstaten fallen indessen prognostisch das Vorleben mit bereits mehrfachen einschlägigen Verurteilungen (…) und insbesondere das Verhalten während der rund zehnjährigen Massnahmendauer, in der sämtliche therapeutischen Bemühungen mit zahlreichen Vollzugslockerungen und Institutionswechseln an seinem Widerstand gegen eine delikts- und störungszentrierte Therapie scheiterten, sehr wesentlich ins Gewicht. Der Beschwerdeführer steht heute mit den drei forensisch-psychiatrischen, tatkausalen Diagnosen der sexuellen Devianz, der Persönlichkeits- und der Abhängigkeitsproblematik unbehandelt mit der Qualifikation der Untherapierbarkeit da. Entscheidend wirkt sich aus, dass die sexuelle Devianz bzw. die pädophile Ansprechbarkeit die vorherrschende Ursache der Delinquenz darstellt. Eine fehlende Tataufarbeitung gilt allgemein als prognoserelevant. Ohne Tataufarbeitung und Einsicht ist eine Verhaltensänderung grundsätzlich nicht zu erwarten (Urteil 6B_715/2014 vom 27. Januar 2015 E. 8.5). Die Einsichtslosigkeit indiziert eine andauernde gefährliche Grundhaltung (Urteil 6B_961/2009 vom 19. Januar 2010 E. 2.2.2).
Ob die zur Gefährlichkeit gutachterlich erarbeiteten Befundtatsachen oder Risiken als gefährlich im Sinne von Art. 64 Abs. 1 StGB zu werten sind, ist normativer Natur und damit in die Beurteilungskompetenz des Gerichts gestellt, das die Risikoanalyse in einer Gesamtwürdigung zu beurteilen hat (…). Auf der Grundlage dieser Gesamtwürdigung kann dem Rechtsstandpunkt des Beschwerdeführers nicht gefolgt werden und ist eine bundesrechtswidrige vorinstanzliche Entscheidung zu verneinen. Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung (Art. 11 Abs. 1 BV). Das Kindeswohl geniesst Verfassungsrang und gilt als oberste Maxime des Kindesrechts in einem umfassenden Sinne (BGE 146 IV 267 E. 3.3.1 mit Hinweis auf die UNO-Kinderrechtskonvention [KRK; SR 0.107]). Der Schutz der Kinder und Heranwachsenden vor kriminellen Übergriffen und seelischer Kontamination durch das Verbrechen gehört zu den edelsten Aufgaben des Strafrechts (Urteil 6B_1314/2019 vom 9. März 2020 E. 2.3.8). Nach dem Gutachter Dr. med. B. ist bei Wegfall des strukturierenden Settings nach wie vor von einer hohen Rückfallgefahr auszugehen (…). Die negative Legalprognose steigt beim Beschwerdeführer langfristig stark und progredient an. Der Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers hat, wie die Vorinstanz mit Recht schliesst, hinter das Anliegen der Verhinderung weiterer, das hochwertige Rechtsgut der ungestörten sexuellen Entwicklung von Kindern – d.h. aber auch der Gewährleistung ihrer ungestörten psychisch-emotionalen Entwicklung (…) – beeinträchtigenden Straftaten zurückzutreten (E. 2.7. Hervorhebungen durch mich).
Dass die revisionsrechtlichen Regeln bei Art. 62c Abs. 4 StGB gemäss Bundesgericht nicht zur Anwendung kommen, wurde in BGE 145 IV 167 E. 1.7 entschieden; dies unter Hinweis auf EGMR Nr. 43977/13 vom 09.01.2018 (Verurteilung der Schweiz wegen Verletzung Art. 5 EMRK). Ob der neue Entscheid auch vor der neusten Verurteilung der Schweiz durch den EGMR wenige Tage nach dem Grundsatzentscheid des Bundesgerichts noch immer so ist, wird sich zeigen (vgl. dazu W.A c. Schweiz, EGMR Nr. 38958/16 vom 02.11.2021; vgl. dazu auch: Mona Rhouma/Andrés Payer, Le prononcé ultérieur de l’internement en violation de la CEDH, in : https://www.crimen.ch/53/ du 21 novembre 2021).
der egmr darf den entscheid beurteilen, wird weitergezogen werden..
In neuer Besetzung scheint das BGer den moralischen Unterton besonders zu schätzen. Entschieden wird nicht mehr nach Gesetz, sondern nach „Billigkeit“. Sachfremde Kriterien werden plötzlich entscheidend.
Der Entscheid ist zumindest bzgl. der unten erwähnten Abgrenzung klar und auch richtig:
„Aufgrund dieser unterschiedlichen Ausgangslagen bei der Anordnung der nachträglichen Verwahrung nach Art. 65 Abs. 2 StGB und der Massnahmeumwandlung nach Art. 62c Abs. 4 StGB ist es zulässig, dass sowohl an das Verfahren als auch an die Voraussetzungen unterschiedliche Anforderungen gestellt werden.“
Wenn im 1. Sachurteil keine stationäre Massnahme nach Art. 59 StGB ausgesprochen worden ist, ist die nachträgliche Verwahrung (nach Art. 65 Abs. 2 StGB) per se ausgeschlossen. Es bleibt dann immer nur der Weg über Art. 62c Abs. 4 StGB,,,dies sollte mittlerweile eigentlich allen klar sein….
@Jemand: klar ja, aber richtig?
Korrektur: Es sollte natürlich heissen;
„Wenn im 1. Sachurteil EINE stationäre Massnahme nach Art. 59 StGB ausgesprochen worden ist,….“