Nervosität übersteuert Verwertungsverbote samt Schengen

In einem sehr aufwändig begründeten Urteil äussert sich das Bundesgericht zu Fragen der Beweisverwertung, der Fernwirkung und zu den möglichen Auswirkungen von Schengen (BGE 6B_805/2011 vom 12.07.2012, Publikation in der AS vorgesehen). Im Wesentlichen ging es um die Frage, ob ein anlässlich der Einreise des Beschwerdeführers sichergestellter Feuerlöscher, der mit einem Heroingemisch gefüllt war, überhaupt als Beweismittel verwendet werden durfte. Wichtige rechtliche Fragen lässt das Bundesgericht im Entscheid offen und löst den Fall letztlich über die verdachtsbegründende Nervosität des Beschwerdeführers anlässlich seiner Einreise.

Der Beschwerdeführer machte zunächst geltend, er sei bei seiner Einreise wegen eines Hinweises der slowenischen Strafverfolgungsbehörden kontrolliert worden. Die Hinweise ihrerseits seien das Ergebnis einer in Slowenien illegal geführten Telefonkontrolle, was zur Unverwertbarkeit führe (Art. 7 aBÜPF). Das Bundesgericht klärt zunächst die “pros and cons” der Fernwirkung. Es gehe darum,

einen angemessenen Ausgleich zwischen den divergierenden Interessen zu erzielen. Während für eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten spricht, dass andernfalls die Regeln über die Beweiserhebung unterminiert würden, können indirekte Beweisverbote auf der anderen Seite der Ermittlung der materiellen Wahrheit hinderlich sein (BGE 137 I 218 E. 2.4.1; 133 IV 329 E. 4.5) [E. 3.3.2].

Sie lebt also immer noch, die gute alte “materielle Wahrheit”. Die weiteren Erwägungen münden dann zu folgendem Ergebnis:

Eine Fernwirkung gemäss BGE 133 IV 329 E. 4.5 und Art. 141 Abs. 4 StPO ist auch zu verneinen, wenn der Folgebeweis im Sinne eines hypothetischen Ermittlungsverlaufs zumindest mit einer grossen Wahrscheinlichkeit auch ohne den illegalen ersten Beweis erlangt worden wäre. Entscheidend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. GLESS, Basler Kommentar, a.a.O., N. 95 und 97 zu Art. 141 StPO; VETTERLI, a.a.O., S. 336; BÉNÉDICT/TRECCANI, a.a.O., N. 38 FN 36 zu Art. 141 StPO). Die bloss theoretische Möglichkeit, den Beweis rechtmässig zu erlangen, genügt nicht (vgl. GLESS, Basler Kommentar, a.a.O., N. 97 zu Art. 141 StPO; VETTERLI, a.a.O., S. 335 f.) [E. 3.3.3].

Damit wird die Lösung zur reinen Sachverhaltsfrage:

Aus dem Polizeirapport vom 26. April 2010 geht hervor, dass der Beschwerdeführer am gleichen Tag um 12.20 Uhr beim Grenzübergang Au in die Schweiz einreiste. Er sei kontrolliert worden. Er habe einen etwas nervösen Eindruck gemacht. Nach Waren und Zielort befragt, habe er angegeben, er sei Techniker und habe eine dringende Besprechung bei einer Firma in Basel. Er habe weder den Namen der Firma noch deren Adresse angeben können. Dem Grenzwächter sei die Sache verdächtig vorgekommen. Er habe daher das Fahrzeug des Beschwerdeführers untersucht, wobei er auf die Drogen im Feuerlöscher im Kofferraum des Fahrzeugs gestossen sei (kant. Akten, Urk. A1). Daraus ergibt sich zwar, dass der Grenzwächter anlässlich der Kontrolle des Beschwerdeführers Verdacht schöpfte. Dass sich der Beschwerdeführer bereits vor der Identitätskontrolle auffällig verhielt und diese durch sein Verhalten veranlasst hätte, kann dem Polizeirapport nicht entnommen werden. Dies wurde von der Vorinstanz auch nicht festgestellt (E. 3.4.1).

Die folgenden Erwägungen sind Schengen gewidmet und zur Lektüre wärmstens empfohlen. Gelöst werden die Rechtsfragen auch hier unter Hinweis auf den konkreten Sachverhalt:

Auch wenn an den Schweizer Landgrenzen keine systematischen Personenkontrollen durchgeführt werden – dies im Übrigen bereits vor dem Beitritt der Schweiz zu Schengen (vgl. Bericht des Bundesrates vom 26. Januar 2011 über die Eidg. Zollverwaltung, S. 41; RAUBER SAXER, a.a.O., S. 280; SCHREIER/CONTIN, a.a.O., S. 299 f.) -, birgt ein Grenzübertritt an einem besetzten Grenzübergang angesichts der an dieser Stelle stattfindenden Kontrollen das Risiko in sich, Ausweispapiere vorzeigen und die Frage nach verzollbaren Waren beantworten zu müssen. Nach welchen Kriterien eine solche verdachtsunabhängige Kontrolle geschieht, liegt im Ermessen der Grenzbehörde. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Führer eines Fahrzeugs am Schweizer Zoll nicht bloss “durchgewinkt”, sondern nach seinen Papieren und nach verzollbaren Waren gefragt wird, kann vor diesem Hintergrund durchaus als gross bezeichnet werden. Verhält sich der Fahrzeuglenker auffällig nervös, liegt es nahe, dass die Zollbehörden Verdacht schöpfen, ihn einer weitergehenden Kontrolle unterziehen und dabei auf die im Fahrzeug versteckten Drogen stossen.
Unter den gegebenen Umständen muss als erstellt gelten, dass die Grenzwache den Beschwerdeführer mit grosser Wahrscheinlichkeit auch ohne den Hinweis aus Slowenien angehalten hätte und angesichts seines auffälligen Verhaltens auf die Drogen in seinem Fahrzeug gestossen wäre. Dies muss für die Verneinung der Fernwirkung genügen. Davon geht die Vorinstanz aus, wenn sie ausführt, der Hinweis aus Slowenien habe höchstens eine “sehr untergeordnete Rolle” gespielt. Selbst wenn die Telefonüberwachung in Slowenien illegal gewesen wäre, würde dies somit gestützt auf die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht zur Unverwertbarkeit der in der Schweiz gegen den Beschwerdeführer erhobenen Beweise führen. Dessen Rüge ist unbegründet (E. 3.4.3).

Das Bundesgericht behandelt dann noch weitere Rügen, auf die ich hier nicht eingehe. Der zu publizierende Entscheid erging noch nach altem Recht. Er ist allerdings auch für die Schweizerische Strafprozessordnung zu beachten.