Neue Dimensionen des Rügeprinzips?

Das Bundesgericht hält in einem aktuellen Entscheid fest, dass sich der Konfrontationsanspruch auch auf Personen bezieht, welche die beschuldigte Person in einem abgehörten Telefongespräch belasten, was das Kantonsgericht BL verneint hatte (BGer 6B_1395/2021 vom 09.12.2022):

Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer nicht mit E. konfrontiert wurde. Dass sie im vorliegenden Strafverfahren weder als Zeugin noch als Auskunftsperson befragt worden war, ist entgegen der Vorinstanz (…) nicht entscheidend. Wie bereits dargelegt (…), ist der Begriff des Zeugen im Sinne von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK autonom und ohne formelle Bindung an das nationale Recht auszulegen.  

Insofern die Vorinstanz erwägt, der Konfrontationsanspruch beziehe sich nicht auf Personen, deren Gespräche abgehört worden seien (…), kann ihr nicht zugestimmt werden. Aus der Rechtsprechung des EGMR ergibt sich, dass “belastende Zeugenaussagen” im Sinne von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK auch im Rahmen einer geheimen Telefonabhörung erfolgen bzw. in den entsprechenden schriftlichen Abhörprotokollen enthalten sein können (vgl. Urteil des EMGR i.S. Lüdi gegen Schweiz vom 15. Juni 1992, Nr. 12433/86, § 46: “Mr Lüdi [d.h. der Beschuldigte] first made admissions after he had been shown the transcripts of the telephone interceptions, and he was deprived throughout the proceedings of any means of checking them or casting doubt on them”). Dasselbe gilt in Bezug auf die vorliegend zur Diskussion stehende geheime akustische Überwachung eines Personenwagens (E. 11.3.2, Hervorhebungen durch mich).  

Nachdem das Bundesgericht somit die Auffassung des Beschwerdeführers zum verletzten Konfrontationsanspruch ausdrücklich teilt, tritt es dann aber nicht auf seine Rügen ein:

Der Beschwerdeführer unterlässt es jedoch, seine Beschwerde in diesem Punkt ausreichend zu substanziieren. Er verweist in seiner Beschwerde auf “belastende Aussagen” von E. in den abgehörten Gesprächen, ohne näher zu spezifizieren bzw. anzugeben, welche dieser bzw. inwiefern diese Aussagen als “belastend” anzusehen wären (…). Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, in den kantonalen Akten nach einer passenden Aktenstelle zu forschen, welche die Behauptung des Beschwerdeführers zu untermauern geeignet wäre (vgl. Urteil 6B_1032/2020 vom 28. September 2022 E. 1.7.2). Insofern ist auf dieses Vorbringen nicht einzutreten (E, 11.3.3).

Was soll man dazu noch sagen? Vielleicht, dass der Verweis auf BGer 6B_1032/2020 vom 28.09.2022 E. 1.7.2 nicht einschlägig ist, weil er eine vollkommen andere Konstellation betrifft? Oder dass die abgehörten Aussagen gar nicht belastend waren (aber wieso hat sich dann die Vorinstanz darauf gestützt und wieso hat der Beschwerdeführer die fehlende Konfrontation gerügt)? Ich weiss es nicht.

Der Entscheid enthält noch weitere Erwägungen, die nicht zu überzeugen vermögen. Diese Beschwerde musste wohl einfach abgewiesen werden, wieso auch immer.