Neuer Strafbefehl ohne neue Beweisabnahme?
Art. 355 StPO definiert das Verfahren bei Einsprache gegen einen Strafbefehl. Nach Abs. 1 nimmt die Staatsanwaltschaft “die weiteren Beweise ab, die zur Beurteilung der Einsprache erforderlich sind”. Nach Abnahme dieser Beweise entscheidet die Staatsanwaltschaft das weitere Vorgehen (Festhalten am Strafbefehl, Einstellung des Verfahrens, Erlass eines neuen Strafbefehls oder Anklageerhebung).
Das Bundesgericht hatte in einem heute online gestellten Entscheid zu entscheiden, ob auch ohne Beweisabnahme einfach ein neuer Strafbefehl erlassen werden kann (BGer_6B_849/2007 vom 18.01.2018).
Das Argument der Verteidigung:
Der Beschwerdeführer rügt zunächst, dass das vorliegende Verfahren auf dem Strafbefehl vom 30. Juli 2015 beruht. Dieser sei als ungültig zu betrachten; demzufolge fehle es auch an einer Anklageschrift. Die Staatsanwaltschaft habe bereits am 7. Juli 2015 in derselben Sache einen Strafbefehl erlassen, und, nachdem er Einsprache erhoben habe, mit dem neuen Strafbefehl reagiert. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz habe dies nicht geschehen dürfen: Art. 355 Abs. 3 lit. c StPO sehe diese Möglichkeit nur vor, wenn zuvor aufgrund der Einsprache weitere Beweise abgenommen worden sind. Solche zusätzlichen Abklärungen seien hier nicht getätigt worden. Gründe für eine Rücknahme des ersten Strafbefehls – unter dem Titel des Widerrufs, der Revision oder der Wiedererwägung – gebe es nicht. Die fehlende Grundlage falle umso mehr ins Gewicht, als sich die Änderung für den Betroffenen nachteilig auswirke (E. 1).
Die Beurteilung des Bundesgerichts:
Der Beschwerdeführer legt indessen nicht dar, in welchen Punkten sich die Strafbefehle vom 7. resp. 30. Juli 2015 unterscheiden und inwiefern ihm der Erlass eines zweiten Strafbefehls deshalb einen Nachteil bringen soll. Insoweit kann auf seine Beschwerde nicht eingetreten werden (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG).
So löst man strafprozessuale Fragen über das BGG. Es wäre aber nicht uninteressant gewesen zu erfahren, wie sich das Bundesgericht zu der Frage stellt, die eigentlich gestellt war.
“Art. 355 Abs. 3 lit. c StPO sehe diese Möglichkeit nur vor, wenn zuvor aufgrund der Einsprache weitere Beweise abgenommen worden sind”
Der Gesetzestext ist vom Wortlaut her einigermassen klar. Er verlangt lediglich eine Abnahme derjenigen Beweise, die zur Beurteilung der Einsprache notwenig sind. Selbstverständlich kann es vorkommen, dass die Beurteilung einer Einsprache auch mit den vorhandenen Akten möglich ist. Diesfalls kann ohne Probleme auch ein neuer Strafbefehl ergehen, was ja im Übrigen in aller Regel im Interesse des Beschuldigten sein dürfte.
Das sehe ich auch so, hätte mir aber dennoch ein paar Erwägungen des Bundesgerichts erhofft, beispielsweise zur Frage, was es für einen Sinn machen könnte, ohne neue Erhebungen nochmals einen Strafbefehl zu erlassen.