Nicht schlechterdings unhaltbar
Dass eine Anwaltsvollmacht unter Umständen aufgrund seiner höchstpersönlichen Natur nicht reicht, für seinen Klienten Strafantrag zu stellen, zeigt ein aktueller Bundesgerichtsentscheid. In casu wurde der Antrag aber als rechtswirksam qualifiziert (BGer 7B_133/2023 vom 27.06.2024).
Für das Bundesgericht war die Schlussfolgerung der Vorinstanz, die Anwältin sei zum Strafantrag ermächtigt worden, nicht schlechterdings unhaltbar. Ich würde sagen, die Schlussfolgerung sei eigentlich schon ziemlich unhaltbar, aber halt doch nicht schlechterdings unhaltbar:
Die Vorinstanz berücksichtigt zunächst, dass die Anwältin im Schreiben vom 15. Juli 2019 die Formulierung “wir” verwendet (“stellen wir hiermit Strafantrag”) und sie das Schreiben in Kopie auch dem Beschwerdegegner 2 zugestellt hat. Bereits diese Umstände legen nahe, dass sie sich im Vornherein mit ihrem Klienten über die Antragsstellung abgesprochen haben muss. Sodann trägt die Vorinstanz dem Umstand Rechnung, dass die amtliche Verteidigerin in ihrer Honorarnote im Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner 2 aufführte, im Anschluss an die Einvernahme vom 16. April 2019 eine Nachbesprechung und am 15. Juli 2019 – am Tag, an dem sie den Strafantrag gestellt hatte – ein Telefongespräch mit diesem geführt zu haben. Obwohl es nicht völlig ausgeschlossen ist, dass die amtliche Verteidigerin eigenmächtig handelte, ohne sich mit dem Beschwerdegegner 2 abgesprochen zu haben, lässt sich aus diesen Indizien willkürfrei der Schluss ziehen, dieser habe sie zur Strafantragstellung vorgängig mündlich oder konkludent ermächtigt.
Der Umstand, dass die Rechtsvertreterin des Beschwerdegegners 2 den Aufwand für die gemeinsamen Besprechungen im Strafverfahren gegen diesen als Teil des amtlichen Mandats abgerechnet hat, steht dieser Schlussfolgerung, anders als die Beschwerdeführerin vorträgt, nicht entgegen. Im Gegenteil: Wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, konnte das Stellen eines Strafantrags gegen die Beschwerdeführerin auch der Interessenwahrung im gegen den Beschwerdegegner 2 laufenden Strafverfahren dienen, wo die durch (möglicherweise) strafbares Verhalten gewonnenen Aufzeichnungen von privaten Gesprächen (potenziell unverwertbare) Beweismittel darstellen konnten. Ob bereits das amtliche Mandat die generelle Ermächtigung zur Ausübung des Antragsrechts umfasst, braucht aufgrund der willkürfrei festgestellten konkreten Ermächtigung nicht erörtert zu werden. Soweit die Beschwerdeführerin im Übrigen einwendet, es hätte eine “explizite Vollmacht” beigebracht werden müssen, übersieht sie, dass die Ermächtigung, um stellvertretend für den Berechtigten einen Strafantrag zu stellen, nach der Rechtsprechung keiner Formvorschrift unterliegt und damit dem Bevollmächtigten weder schriftlich noch sonst wie ausdrücklich erteilt werden muss (vgl. E. 2.2.3 hiervor) [E. 2.4].
Wer als Anwalt auf sicher gehen will , lässt den Antragsteller unterzeichnen.