Nichtige Urteile?

Ein Beschwerdeführer beantragte im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren, es sei die Nichtigkeit der Urteile der ersten beiden Vorinstanzen festzustellen. Im kantonalen Verfahren war der Beschwerdeführer zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Zudem wurde der Aufschub einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten widerrufen. Die Nichtigkeit dieser Urteile begründete er damit, dass er nicht anwaltlich vertreten war, obwohl es sich um einen Fall der notwendigen Verteidigung handelte. Anwendbar war das alte Strafprozessrecht des Kantons Zürich.

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt (BGer 6B_441/2011 vom 20.09.2011). Es tritt nicht ein, soweit der Beschwerdeführer die Feststellung der Nichtigkeit des erstinstanzlichen Urteils beantragt. Die Begründung des Bundesgerichts ist m.E. nicht überzeugend:

Der Beschwerdeführer beantragt die Feststellung der Nichtigkeit des Urteils des Bezirksgerichts Horgen vom 17. November 2005. Damit wendet er sich gegen einen rechtskräftigen kantonal erstinstanzlichen Entscheid, der mit der Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nicht angefochten werden kann (Art. 78 ff. BGG). Auf die Beschwerde ist in diesem Punkt nicht einzutreten (E. 1.3).

Nach der Argumentation des Bundesgerichts könnten somit auch nichtige Urteile in Rechtskraft erwachsen.

Im Weiteren führt das Bundesgericht aus, es habe sich nach der anwendbaren Prozessordnung nicht um einen Fall von notwendiger Verteidigung gehandelt, weil keine Freiheitsstrafe von über einem Jahr (§ 11 StPO/ZH) beantragt war oder in Aussicht stand. Beantragt war eine Geldstrafe von 300 Tagessätzen sowie der Widerruf einer bedingten fünfmonatigen Freiheitsstrafe:

Die kantonalen Instanzen sprechen für die neuen Delikte eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten aus und widerrufen die Gefängnisstrafe von fünf Monaten. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Verteidigung ist die gesamte vollstreckbare Strafdauer massgeblich, weshalb die zu erwartende Freiheitsstrafe und die zum Widerruf anstehenden bedingt ausgesprochenen Strafen zusammenzuzählen sind (BGE 129 I 281 E. 4.1 mit Hinweisen). Mithin steht vorliegend eine Freiheitsstrafe von insgesamt elf Monaten in Aussicht (E. 1.4.2).

Das kann ja wohl nicht richtig sein, zumal der Strafrichter an die Anträge der Parteien nicht gebunden ist. Bei einer verhängten Freiheitsstrafe von elf Monaten (inkl. Widerruf) kann wohl kaum gesagt werden, eine um 31 Tage höhere Freiheitsstrafe habe nicht gedroht.

Das Bundesgericht geht aber noch weiter und schliesst auch eine Verletzung einer anderen Bestimmung aus, weil der Beschwerdeführer ja selbst dafür verantwortlich sei, keinen Anwalt beauftragt zu haben:

Ebenso wenig ist ersichtlich, inwiefern eine andere Verfahrensbestimmung verletzt wurde. Insbesondere hat sich der Beschwerdeführer selbst zuzuschreiben, dass er bis anhin nicht anwaltlich vertreten war. Er wurde anlässlich der Einvernahmen stets auf die Möglichkeit des Beizugs eines Rechtsvertreters, sein Aussageverweigerungsrecht sowie den Umstand, dass seine Aussagen als Beweismittel verwendet werden, hingewiesen (…). Ebenfalls hat er selber zu verantworten, dass er an der erstinstanzlichen Verhandlung nicht zugegen war. So beantragte er ausdrücklich, die Verhandlung sei ohne seine Anwesenheit durchzuführen (…). Das Bezirksgericht Affoltern hiess das Gesuch um Erlass des persönlichen Erscheinens mit der Begründung gut, der Beschwerdeführer habe sich in der Untersuchung zu dem ihm vorgeworfenen Sachverhalt äussern können, und er sei zudem geständig (…). Auch war es ihm möglich, den erstinstanzlichen Entscheid sachgerecht anzufechten. Seine Verteidigungsrechte wurden somit gewahrt. Es liegt keine Nichtigkeit des angefochtenen Entscheids vor (E. 1.4.3).

Wieso diese Erwägung relevant sein soll, verstehe ich nicht. Im Grunde belegt sie doch nur, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage war, sich selbst wirksam zu verteidigen.

Die Frage, ob die angefochtenen Urteile nichtig gewesen wären, wenn es sich um einen Fall notwendiger Verteidigung gehandelt hätte, beantwortet das Bundesgericht nicht.