Nochmals zur Beschwerdeberechtigung in Haftsachen

Eine kantonale Beschwerdeinstanz hat trotz gegenteiliger Rechtsprechung des Bundesgerichts (s. meinen früheren Beitrag) die Beschwerdeberechtigung der Staatsanwaltschaft in Haftsachen verneint. Das Bundesgericht lässt sich aber leider nicht umstimmen (BGE 1B_174/2011 vom 17.05.2011). Die Kritik der Vorinstanz fasst es wie folgt zusammen:

Die Anklagekammer erwägt im angefochtenen Entscheid (E. 2.2 S. 3 ff.), das Bundesgericht habe die Frage der Beschwerdelegitimation in verkürzter Sicht – ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt von Art. 222 i.V.m. Art. 381 StPO bzw. Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG – geprüft. Hingegen habe es sich mit den verschiedenen Funktionen der Staatsanwaltschaft als Verfahrensleitung im Vorverfahren (Art. 16 Abs. 2 StPO) und als Partei im gerichtlichen Hauptverfahren (Art. 104 Abs. 1 lit. c StPO) nicht auseinandergesetzt. Mit der Einreichung der Anklage verliere die Staatsanwaltschaft ihre Befugnisse zur Verfahrensleitung und werde zur reinen Partei, die als Vertreterin des staatlichen Strafanspruchs befugt sein müsse, Parteirechte auszuüben. Im Vorverfahren sei sie indessen die Verfahrensleitung und könne in diesem Verfahrensabschnitt nicht zugleich Partei sein, auch in einem allfälligen Beschwerdeverfahren nicht. Dass ihre Befugnisse in verschiedener Hinsicht beschränkt seien, etwa indem für die Anordnung von Zwangsmassnahmen das Zwangsmassnahmengericht zuständig sei, beeinträchtige weder die Rechtsstellung der Staatsanwaltschaft als Verfahrensleitung noch werde sie dadurch zur Partei in den jeweiligen Zwischenabschnitten des Vorverfahrens. Das Zwangsmassnahmengericht entscheide zwar auf Antrag der Staatsanwaltschaft, letztlich aber an deren Stelle. Mit dieser partiellen Verlagerung einzelner verfahrensleitender Befugnisse an das Zwangsmassnahmengericht werde ein erhöhter Rechtsschutz bei besonders schwerwiegenden Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen sichergestellt. Trotz dieser speziell geregelten Zuständigkeiten bleibe indessen die Verfahrensleitung während des Vorverfahrens bei der Staatsanwaltschaft. So sei sie weiterhin befugt, die vom Zwangsmassnahmengericht verfügten oder genehmigten Anordnungen jederzeit wieder aufzuheben, und es stehe ihr auch frei, auf die von diesem nicht angeordneten oder nicht genehmigten Verfügungen unter geänderten Verhältnissen oder mit anderer Begründung zurückzukommen; die Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts während des Vorverfahrens seien in diesem Sinne nur einseitig – für die betroffene Privatperson, nicht aber für die Staatsanwaltschaft – verbindlich. Von einer Parteistellung der Staatsanwaltschaft im klassischen Sinn könne daher im strafprozessualen Vorverfahren keine Rede sein. Angesichts ihrer beherrschenden Stellung im Vorverfahren bestehe kein Bedarf, ihr in diesem Verfahrensabschnitt eine Rechtsmittellegitimation zuzuerkennen (E. 3.2).

Dem hält das Bundesgericht entgegen:

3.3 Die Anklagekammer folgert aus dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft im Vorverfahren die Verfahrensleitung innehat, dass sie in diesem Stadium nicht zugleich Partei sein könne. Diese Argumentation überzeugt nicht.
3.3.1 Einmal beschränken sich die Überlegungen der Anklagekammer auf die Auslegung ihres Verfahrensrechts – der StPO – und blenden massgebliche Gesichtspunkte aus, die sich aus dem Verfahrensrecht der übergeordneten Instanz – dem BGG – und den einschlägigen verfassungs- und konventionsrechtlichen Rahmenbedingungen ergeben. Mit der dargelegten Rechtsprechung des Bundesgerichts (oben E. 3.1), welche die gesamte Rechtsordnung miteinbezieht, setzt sich die Anklagekammer denn auch mit keinem Wort kritisch auseinander und widerlegt sie nicht.
3.3.2 Zum andern trifft es zwar durchaus zu, dass die Staatsanwaltschaft im Vorverfahren grundsätzlich die Verfahrensleitung innehat, aber eben nur insoweit, als ihr die entsprechenden Leitungsbefugnisse auch zustehen und ihr diese nicht – wie zum Beispiel der Entscheid über die Anordnung von Zwangsmassnahmen – entzogen sind. In diesen Fällen hat sie indessen das Recht, dem Zwangsmassnahmengericht z.B. die Anordnung von Untersuchungshaft zu beantragen und diesen Antrag zu vertreten, und das Zwangsmassnahmengericht ist verpflichtet, ihn zu beurteilen. Damit hat sie in diesem Verfahren materiell Parteistellung, unabhängig davon, ob sie im Gesetz ausdrücklich als Partei des Vorverfahrens aufgeführt wird oder nicht. Dazu kommt, dass nach den einschlägigen verfassungs- und konventionsrechtlichen Verfahrensgarantien (insbesondere Art. 31 Abs. 2 und 3 BV, Art. 5 EMRK) Haftanordnungs- und -prüfungsverfahren kontradiktorisch auszugestalten sind (vgl. BGE 126 I 172 E. 3c; Entscheid 1P.541/2002 vom 8. November 2002 in: Pra 2003 Nr. 64 S. 317 E. 2.1; je mit Hinweisen), was begriffsnotwendig die Beteiligung mindestens zweier Verfahrensparteien – hier der Staatsanwaltschaft und des Beschuldigten – voraussetzt. Zutreffend ist zwar, dass das Zwangsmassnahmengericht bei geänderten Verhältnissen auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Beschuldigten jederzeit auf seinen Entscheid zurückkommen und ihn abändern kann. Inwiefern die Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts deswegen für die Staatsanwaltschaft nicht verbindlich sein sollten, wie die Anklagekammer ausführt und daraus ableitet, dass die Staatsanwaltschaft deswegen nicht Partei des Beschwerdeverfahrens sein könne, ist unerfindlich. Dass eine Behörde innerhalb eines Verfahrens verschiedene Funktionen – als Verfahrensleitung und als Partei – ausüben kann, ist im öffentlichen Recht zudem keineswegs aussergewöhnlich. So kann beispielweise eine Gemeinde im Rechtsmittelverfahren gegen einen von ihr erlassenen Bauentscheid ebenso Parteirechte ausüben wie ein kantonales Strassenverkehrsamt, dessen Entscheid über einen Führerausweisentzug vom kantonalen Verwaltungsgericht aufgehoben wurde und das berechtigt ist, diesen Gerichtsentscheid vor Bundesgericht (als Partei) anzufechten (Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 lit. a SVG).
3.3.3 Der angefochtene Entscheid ist somit nicht geeignet, die Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach die Staatsanwaltschaft befugt ist, die Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts bei der Beschwerdekammer anzufechten, in Frage zu stellen. Daran ist festzuhalten.