Normales oder abnormales Strafverfahren
Ein normales Strafverfahren zeichnet sich offenbar dadurch aus, dass der Sachrichter in der Lage ist, die Beweislage objektiv zu bewerten und nicht verwertbare Beweismittel von der Beweiswürdigung auszuschliessen. In solchen normalen Strafverfahren kann der Beschuldigte unverwertbare Beweismittel nicht aus den Akten weisen lassen; jedenfalls gewährt ihm das Bundesgericht dabei keinen Rechtsschutz und tritt auf entsprechende Beschwerden nicht ein (BGer 1B_124/2014 vom 21.05.2014):
Zusammenfassend handelt es sich um ein in jeder Hinsicht “normales”, keine besonderen Schwierigkeiten aufwerfendes Strafverfahren, dessen Ausgang in beweismässiger Hinsicht auch nicht allein von der Verwertbarkeit der umstrittenen Einvernahmeprotokolle abhängt. Es ist daher jedenfalls nicht ersichtlich, inwiefern die erkennenden Strafrichter nicht in der Lage sein sollten, die Beweislage objektiv zu bewerten, selbst wenn sie die vier Einvernahmeprotokolle oder einzelne von ihnen als unverwertbar von der Beweiswürdigung ausschliessen müssten. Anders als im Fall 1B_445/2013 steht zudem keineswegs von vornherein fest, dass diese Einvernahmen effektiv unverwertbar sind (E 1.2.4).
Damit ist der Schuldspruch ja wohl vorprogrammiert. Aber was sind eigentlich Verfahren, die nicht normal sind? Nicht normal war etwa das Verfahren 1B_445/2013 (s meinen früheren Beitrag).
So hat beispielsweise im das Urteil 1B_445/2013 betreffenden Strafverfahren ein Beschuldiger, der durch die Aussagen eines Kleinkindes belastet wurde, in einer formell nicht verwertbaren Einvernahme verschiedene sexuelle Übergriffe auf das Kind eingestanden. In einer solchen Situation ist es wohl auch für einen erfahrenen Strafrichter kaum zu vermeiden, bei der naturgemäss schwierigen Würdigung der Aussagen des Kleinkindes das ihm bekannte, formell nicht verwertbare (aber möglicherweise materiell überzeugende) Geständnis des Beschuldigten unterschwellig mitzuberücksichtigen. In solchen Ausnahmefällen droht dem Beschuldigten daher ein nicht wieder gutzumachender Nachteil bereits dadurch, dass der erkennende Strafrichter vom umstrittenen Beweismittel Kenntnis erhält; dementsprechend muss er diesfalls nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ausnahmsweise die Möglichkeit haben, die Weigerung der Staatsanwaltschaft, das umstrittene Beweismittel aus den Verfahrensakten zu entfernen, bis vor Bundesgericht anzufechten (E. 1.2.3).
Bin ich der Einzige, welcher es als unfaires Verfahren sieht, wenn Unverwertbares in den Akten verbleibt?
Vlt. braucht es wieder einmal ein Urteil des EMGR…
Kritisieren ist immer einfacher. Es werden nächstens drei Bundesrichterstellen frei, man möge sich melden und es doch bitte besser machen!