Notwendige Verteidigung auch bei bloss temporärer Verhandlungsunfähigkeit

Das Obergericht AG hat einem Beschuldigten die notwendige amtliche Verteidigung wegen Verhandlungsunfähigkeit zu Unrecht verweigert. Er habe im Zeitpunkt der anwaltlichen Intervention für Periode seiner vorübergehenden Verhandlungsunfähigkeit, in welcher er immerhin polizeilich festgenommen und befragt wurde, kein aktuelles Rechtsschutzinteresse mehr, zumal danach keine Untersuchungshandlungen erfolgt seien. Nun hat auch das Bundesgericht interveniert und wirft der Vorinstanz u.a. Realitätsfremdheit und Aktenwidrigkeit vor (BGer 1B_245/2020 vom 23.07.2020):

Das Obergericht geht davon aus, der Beschwerdeführer habe für die Zeit vom 5. bis zum 13. September 2019, als sich sein Rechtsvertreter als Verteidiger im Strafverfahren gemeldet habe, mit Blick auf die Frage der notwendigen Verteidigung kein aktuelles Rechtsschutzinteresse. In der Zeit vom 13. bis zum 17. September 2019 seien zudem keine Strafverfolgungshandlungen vorgenommen worden und der Verteidiger des Beschwerdeführers habe keinen massgeblichen Aufwand gehabt. Indessen wurde der Beschwerdeführer am 5. September 2019 festgenommen und polizeilich einvernommen. Sodann blieb unbestritten, dass er in der Folge zumindest teilweise unter Anwesenheit von Polizisten ärztlich begutachtet wurde. Gleichzeitig musste der Rechtsvertreter abklären, ob er seinen Klienten auch im Strafverfahren vertreten sollte und was diesem überhaupt vorgeworfen wurde, sowie um notwendige bzw. amtliche Verteidigung ersuchen. Es ist aktenwidrig und erscheint im Übrigen realitätsfremd, davon auszugehen, dass weder massgebliche Handlungen auf Seiten der Strafverfolgung noch der Verteidigung vorgenommen wurden, nachdem das Strafverfahren gerade erst eingeleitet und der Beschwerdeführer deswegen festgenommen worden war. Im Übrigen spielt der vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers geleistete Aufwand ohnehin erst für die Frage der Höhe einer allfälligen amtlichen Entschädigung eine Rolle. Für diejenige der Bestellung der notwendigen Verteidigung ist er hingegen nicht massgeblich, muss darüber doch aus einem prospektiven, auf den massgeblichen Zeitpunkt der Verfahrensunfähigkeit abstellenden Blickwinkel, hier auf den 5. September 2019, und nicht aus einer zurückschauenden Perspektive, hier vom 17. September 2019, entschieden werden. Es ist gerade kennzeichnend für die notwendige Verteidigung, dass im Zeitpunkt ihrer Bestellung noch kein grosser Aufwand geleistet worden ist (E. 2.6).

Möglicherweise ist es für den Fall nicht relevant, aber mit dem Urteil ist vermutlich auch klar, dass die bisherigen Untersuchungshandlungen nicht verwertbar sind.