Notwendige Verteidigung bei polizeilicher „Vorermittlung“?

Das Kantonsgericht FR muss sich zum dritten Mal mit demselben Fall befassen. Auch beim zweiten Mal hat es mindestens zwei Rechtsfehler begangen. Mich interessieren hier aber in erster Linie die Ausführungen des Bundesgerichts zur polizeilichen „Vorermittlung“ (BGer 6B_998/2019 vom 20.11.2020).

Der Beschwerdeführer übersieht, dass eine notwendige Verteidigung anlässlich der ersten Befragung im selbstständigen polizeilichen Ermittlungsverfahren (d.h. vor der Eröffnung der Strafuntersuchung) in der StPO nicht vorgesehen ist. Sie setzt vielmehr erst nach der polizeilichen Vorermittlung ein, auch wenn sich diese auf eine Straftat richtet, für die grundsätzlich ein notwendiger Verteidiger eingesetzt werden muss (Urteil 6B_990/2017 vom 18. April 2018 E. 2.3.3) [E. 2.2].

Wieso das Bundesgericht hier einen Begriff verwendet, der nicht aus der Strafprozessordnung stammt, sondern aus den kantonalen Polizeigesetzen, verstehe ich nicht. Nicht nachvollziehbar ist m.E. auch die Klammerbemerkung des Bundesgerichts, wonach noch keine Strafuntersuchung eröffnet war (vgl. dazu Art. 300 StPO, dagegen aber BGE 141 IV 20). Der Tatverdacht lag ja offensichtlich vor und damit ist eine Strafuntersuchung eröffnet. Das Bundesgericht scheint das Problem mit dem Begriff der polizeilichen Vorermittlung zu eröffnen, die wohl nicht identisch ist mit der polizeilichen Ermittlung nach Art. 299 ff. StPO, oder doch?

Interessant im Übrigen die Erwägung zum Beweiswert von Polizeiprotokollen:

Polizeirapporte gelten zwar als zulässige Beweismittel (Urteil 6B_1057/2013 vom 19. Mai 2014 E. 2.3). Allerdings erschöpft sich ihr Beweiswert vorliegend in einer protokollarischen Aufnahme der durch die Geschädigten zur Anzeige gebrachten Lebenssachverhalte. Bei den protokollierten Feststellungen handelt es sich nicht um eigene Wahrnehmungen der Polizeibeamten. Auch die in den Rapporten erwähnten Fotografien, welche die Beschädigungen möglicherweise belegen könnten, befinden sich nicht bei den Akten. Anhand der Anzeigerapporte lässt sich daher lediglich der Nachweis erbringen, wer eine Anzeige erstattet hat und welcher behauptete Sachverhalt der Anzeige zugrunde liegt. Auch aus den Aussagen von B. und C. geht – soweit sich dies aus E. 8.3.1 und 8.3.2 des aufgehobenen Urteils vom 8. Mai 2018 ergibt und worauf die Vorinstanz verweist (…) – nicht hervor, inwiefern ein Sachschaden entstanden sein soll. Deren Belastungen beschränken sich, soweit ersichtlich, auf die Frage der Täterschaft. Der vorinstanzlichen Feststellung, dass die Ansehnlichkeit der Hausfassade und des Scooters herabgesetzt wurden, fehlt die Beweisgrundlage (E. 3.3).