Notwendige Verteidigung nur noch bei drohender Freiheitsstrafe

Es gibt bekanntlich Straffälle, in denen eine formelle Verteidigung weder notwendig noch geboten ist. Diese Fallkategorie hat das Bundesgericht nun in Dreierbesetzung und – soweit ersichtlich – gegen bisher unbestrittene Lehre und Rechtsprechung erweitert (BGer 1B_444/2013 vom 31.01.2014). Konkret hat das Bundesgericht entschieden, dass die Widerrufsmöglichkeit bedingter Geldstrafen bei der Frage der notwendigen Verteidigung nach Art. 130 Abs. 1 lit. b StPO nicht zu berücksichtigen sei:

Wenn der Gesetzgeber Freiheitsstrafe, Geldstrafe und gemeinnützige Arbeit auch in Bezug auf die notwendige Verteidigung hätte gleichstellen wollen, hätte er dies durch eine entsprechende Formulierung von Art. 130 lit. b StPO leicht tun können. Er tat dies nicht, und ob es sich dabei um eine versehentliche Unterlassung handelt, ist fraglich. Es erscheint jedenfalls durchaus plausibel, dass er die notwendige Verteidigung nur die für schwerste Sanktionsart, die Freiheitsstrafe, nicht aber für Geldstrafen – auch nicht für hohe – vorsehen wollte. Folgte man der Meinung der erwähnten Autoren und des Obergerichts, müssten konsequenterweise auch Ersttäter notwendig verteidigt werden, denen eine mit einer Geldstrafe verbundene Freiheitsstrafe droht, wenn der Freiheitsentzug und die Anzahl der Tagessätze zusammengerechnet ein Jahr übersteigen. Für eine solche extensive Auslegung von Art. 130 lit. b StPO über den Wortlaut hinaus besteht kein Anlass, denn die weiteren Kriterien für die Annahme notwendiger Verteidigung – Art. 130 lit. a und c – e StPO – bieten ausreichend Gewähr dafür, dass ein Beschuldigter auch in einem minder schweren Straffall verteidigt wird, wenn dies zur Wahrung seiner Verteidigungsrechte geboten ist (E. 2.1.2).

Eine notwendige Verteidigung lag im konkreten Fall nicht vor, obwohl der Strafrahmen bei 7.5 Jahren liegt. Dem Beschwerdeführer drohe ja nur eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von jedenfalls weniger als einem Jahr und der Widerruf der bedingt ausgefällten Geldstrafe von 275 Tagessätzen ist ja nun nicht zu beachten. Damit erscheint klar, dass jedenfalls eine nicht notwendige amtliche Verteidigung anzuordnen war. Aber auch in diesem Punkt bleibt das Bundesgericht hart, und zwar mit einer nicht nur sachlich gehaltenen Begründung:

Die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Spritztour liegt in tatsächlicher Hinsicht einfach. Den gelegentlichen Konsum von Haschisch hat er zugegeben. Auch beweismässig ist der Fall unproblematisch, geht es doch im Wesentlichen um die Würdigung der Aussagen der beiden Polizeibeamten, die ihn am 7. Februar 2012 stellten, sowie derjenigen seines als Beifahrer mitbeschuldigten Bruders. Der  Fall bietet zudem keine rechtlichen Schwierigkeiten, denen der prozesserfahrene Beschwerdeführer nicht gewachsen wäre. Die Regeln des Strassenverkehrsrechts, gegen die er verstossen haben soll, sind grundlegend und mussten ihm schon deswegen bekannt gewesen sein, weil er die Führerprüfung bestanden hat und zeitweise im Besitz eines Führerausweises war. Der Beschwerdeführer hat damit keinen Anspruch auf amtliche Verteidigung, das Obergericht hat kein Bundesrecht verletzt, indem es die Abweisung des entsprechenden Gesuchs durch die Staatsanwaltschaft schützte (E. 4.2).

Im Ergebnis ist es damit wohl möglich, dass (nach Widerruf und Umwandlung) Freiheitsstrafen von weit über einem Jahr verhängt und vollzogen werden, ohne das der Betroffene formell verteidigt war.