Obergericht AG: Nichtiges Urteil

Das Obergericht AG hat ein Urteil erlassen, welches das Bundesgericht aufgrund funktionaler Unzuständigkeit als nichtig qualifiziert (BGer 6B_165/2020 vom 20.05.2020).

Das Unheil begann damit, dass das Obergericht die Sache zur Neubeurteilung und zur Einladung an die Staatsanwaltschaft zu einer Anklageergänzungan an die erste Instanz zurückwies. Dann aber hat die Verfahrensleitung des Obergerichts die Sache wieder zurück an sich gezogen:

Mangels Anfechtung durch den Beschwerdeführer ist der Beschluss des Obergerichts vom 6. März 2018, mit dem die Angelegenheit zur Neubeurteilung an das Bezirksgericht zurückgewiesen worden ist, mithin in Rechtskraft erwachsen. Das Bezirksgericht ist nach der Rückweisung der Sache indes offenbar nicht tätig geworden, sodass die Angelegenheit geruht hat. Sie hat namentlich weder die Staatsanwaltschaft eingeladen, die Anklageschrift zu ergänzen, noch selber ein Urteil gefällt. Wie sich aus den Verfahrensakten, nicht aber aus der verkürzten Darstellung des Verfahrensgangs im angefochtenen Urteil ergibt, hat der Verfahrensleiter der Vorinstanz das Verfahren mit Verfügung vom 12. März 2019 (…) wieder an das Obergericht gezogen, wobei die Weiterführung des Berufungsverfahrens lediglich in den Erwägungen thematisiert wird und sich das Dispositiv der Verfügung lediglich auf die Anordnung des schriftlichen Verfahrens bezieht. Für ein derartiges Vorgehen, sowohl des Verfahrensleiters als auch des Berufungsgerichts, fehlt indes jegliche gesetzliche Grundlage. Mit der Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung und zur Einladung an die Staatsanwaltschaft zu einer Anklageergänzung an das Bezirksgericht hat die Vorinstanz die Verfahrensleitung an die erste Instanz zurückübertragen und wurde diese zur Beurteilung der Sache funktional zuständig. Solange die erste Instanz kein Urteil gefällt hat bzw. gegen ein solches keine Berufung angemeldet worden ist, kommt dem Obergericht keine Verfahrensleitung zu. Dieses wird erst mit der Übermittlung der (erneuten) Berufungsanmeldung und des schriftlich begründeten Urteils der Vorinstanz samt Akten beim Berufungsgericht für die Verfahrensleitung zuständig (…). Die Vorinstanz bzw. deren Verfahrensleiter waren mithin nicht befugt, das Verfahren aus eigener Initiative wieder an sich zu ziehen. Das angefochtene Urteil ist daher aufgrund der funktionalen Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde nichtig (BGE 144 IV 362 E. 1.4.3). Die Nichtigkeit ist in jedem Verfahrensstadium zu beachten. Es ist daher ohne Bedeutung, dass die Verfügung des Verfahrensleiters nicht angefochten wurde. Aus diesem Grund ist auch unbeachtlich, dass sich der Beschwerdeführer vor Erlass der fraglichen Verfügung unter Bezugnahme auf eine telefonische Besprechung mit dem Verfahrensleiter mit der Durchführung des schriftlichen Berufungsverfahrens einverstanden erklärt hat (…) (E. 3.2.2, Hervorhebungen durch mich).