Obergericht BE v. Bundesgericht (oder: warum wässrige Augen ins Geld gehen können)
Das Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer, wendet sich gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichts und auferlegt einem Beschuldigten Verfahrenskosten, obwohl das Strafverfahren gegen ihn nicht einmal eröffnet wurde (BK 19 257 vom 03.09.2019 = SJZ/RSJ 14/2020, 509), Dabei stützt sich die Beschwerdekammer auf Art. 310 Abs. 2 StPO und wirft dem Bundesgericht u.a. vor, diese Norm in einem widersprechenden Präjudiz (BGer 6B_492/2017 vom 31.01.2019; vgl. dazu meinen früheren Beitrag) “mit keinem Wort” erwähnt zu haben.
Unabhängig davon, was nun rechtlich überzeugender ist, zeigt der Entscheid den kläglichen Zustand der Strafrechtswirklichkeit in der Schweiz. Was das Bundesgericht entscheidet, wird von kantonalen Gerichten – wenn überhaupt – vielleicht ja noch zur Kenntnis genommen, aber oft genug als falsch und unverbindlich qualifiziert. Hinzu kommt, dass im vorliegenden Fall die Übung an einem denkbar ungeeigneten Objekt erfolgte. Der Beschuldigte musste nämlich Zwangsmassnahmen über sich ergehen lassen, welche dann aber immerhin belegt haben, dass er sich gerade nicht strafbar gemacht hatte. Nach Art. 309 Abs. 1 lit. b StPO war damit bereits der Erlass einer Nichtanhandnahmeverfügung bundesrechtswidrig.
Dem Beschuldigten wurde übrigens eine Aussage anlässlich einer Strassenverkehrskontrolle zum Verhängnis, wonach er am Tag vor der inkriminierten Autofahrt einen Joint konsumiert habe. Das hatte die Polizei natürlich geahnt, denn der Beschuldigte hatte die berühmten wässrigen Augen und ein auffälliges Erscheinungsbild (hatte er womöglich sogar lange Haare?). Das reichte dann auch für den Zwangsmassnahmenbefehl der Staatsanwaltschaft.
Ergebnis: Zwangsmassnahmen belegen die Unschuld des Betroffenen, aber die Kosten trägt er trotzdem, weil er ja das nicht eröffnete Strafverfahren schuldhaft, nämlich durch sein auffälliges Erscheinungsbild und die wässrigen Augen, veranlasst hatte.
mE falsch, weil die Voraussetzung „Rechtswidrigkeit“ wäre. Das Kiffen ist rechtswidrig. Aber einen Zusammenhang mit dem Fahren hat das nicht, weil er eben nicht „bekifft“ gefahren ist. Es geht ja um den Schutzzweck der Norm. Ausserdem verneint OGer FR und OGer ZH in diesen Fällen die Kostenauferlegung. Zu Recht…
Ich habe den entscheid der bk gelesen und muss sagen, die begründung erschien mir plausibel. Immerhin scheint es zwei bundesgerichtsentscheide zu geben (leitentscheide), die dem unpublizierten entscheid widersprechen. Die rechtsprechung des bg erscheint somit nicht einheitlich zu sein. Dass es die möglichkeit der kostenauflage bei “zivilrechtlich vorwerbarem verhalten” gibt, mag man stossend oder unpassend finden, ist gesetzlich aber nun mal vorgesehen. MfG
@Hexenhammer: Das finde ich tatsächlich stossend, muss es aber akzeptieren. Es steht im Gesetz. Aber was genau wäre denn hier zivilrechtlich vorwerfbar gewesen?
@kj. Das wird in E. 9.3 des entscheids m. E. plausibel erklärt. Cannabiskonsum ist strafbar und das fahren mit cannabis im blut ist verboten (anders als bei alk. Dort ist der konsum legal und bis 0.5 zum fahren ebenfalls). Es gab genügend anhaltspunkte, um einen drogenschnelltest durchzuführen. Dieser gab an, was zu weiteren untersuchungen führte. Diese führten dann zwar nicht zur bestätigung einer strafbarkeit wegen svg delikten, aber am anfang von alledem stand eben ein widerrechtliches verhalten. Wiederum kann man doof finden, dass cannabiskonsum verboten ist und es keine gleichstellung mit alk. Gibt etc. Aber eben, gesetzlich…
@Hexenhammer: “Der Beschwerdeführer hat jedoch mit Cannabis-Spuren im Blut ein Auto gelenkt, was – unabhängig von der konsumierten Menge und damit unabhängig davon, ob der Grenzwert erreicht ist – verboten ist.” Verboten aber nicht strafbar? abgesehen davon: Das heisst doch nicht, dass er rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt hat. Wie hätte der Kostenentscheid gelautet, wenn die auffälligen Symptome z.B. wie bei mir wegen Heuschnupfens aufgetreten wären? Nur am Rande: wie lange hat man eigentlich noch wässrige Augen nach Cannabiskonsum?
@kj. Sie sprechen da zwei unterschiedliche dinge an. Das mit den wässrigen augen betrifft die frage, ob ein genügender anhalt für den drogenschnelltest bestand (der darf nämlich nicht voraussetzungslos angeordnet werden). Ob wässrige augen dafür genug sind, lasse ich offen (im entscheid werden jedenfalls nebst den wässrigen augen noch weitere indizien genannt). Das zweite ist, was auf den einmal als berechtigt beurteilten schnelltest folgt. Weil der schnelltest infolge cannabiskonsums (was verboten ist) angab, folgten weitere untersuchungen, die der betroffene dann zahlen musste. Auf Ihre frage bezogen: ja, auch Sie hätten mit wässrigen augen womöglich dem drogenschnelltest unterzogen werden dürfen (soweit das als genügender anhalt für den drogenschnelltest gelten würde, s. oben). Bei Ihnen hätte es dann aber nichts angegeben, weil das nur wegen des heuschnupfens war. Das wäre dann gratis geblieben. Hätte es aber etwas angegeben, das nichts mit heu, sondern einem anderen gras zu tun gehabt hätte, dann hätte es gekostet wie bei dem kiffer im entscheid.
… je nach Kanton.
Stimmt natürlich gar nicht!
Ich kann heute ein legales CBD Produkt konsumieren, das eben NICHT verboten ist, was dann doch zur Fahrunfähigkeit führt.
Im Gesetz ist Fahrunfähigkeit definiert, und Nulltileranz. der Gesetzgeber hat jedoch auf Verodnungstufe den Grenzwert bei der Messgrenze festgelegt, das heisst unter dem was heute mit Fahrunfähigkei gleichgesetzt wird 1.5 Mikrogramm, kann man gar nicht Rechtssicher messen, darunter könnten es einfach Verunreinigungen sein.
Wenn jemand nahme an Grenzwert ist, belegt das nicht Fahrunfähigkeit sondern gerade eben das Gegenteil, das wäre wie wenn man 0.001 Promille als Fahrunfähigkeit bestimmen würde.
Ein positiver Test, ja sogar eine Fahrunfähigkeit kann heute auch nach legalem CBD Konsum eintreten, dann hat auch niemand etwas verbotenes gemacht und jetzt ?
Der Beschuldigte wird trotzem verurteilt, alles nur Schutzbehauptungen
Eine ziemlich akademische Frage. Letztlich unterscheiden sich Nichtanhandnahme und Einstellung nur unwesentlich. Vorliegend wurden die Nichtanhandnahme – obwohl gesetzlich nicht vorgesehen – wie auch die beabsichtigte Kostenauflage im Sinne von Art. 318 StPO angekündigt. Materiell handelt es sich somit um eine (sogar korrekte) Einstellungsverfügung.