Perincek v. Switzerland
Die Schweiz kassiert in Strassburg eine wohl verdiente Niederlage, die sie durch ihren Weiterzug an die Grosse Kammer selbst noch verstärkt hat. Das Urteil ist 134 Seiten stark (EGMR, PER?NÇEK v. SWITZERLAND, App. No 27510/08 vom 15.10.2015; s. meine früheren Beiträge) und hält fest, dass es nicht notwendig war, Perincek für seine dümmlichen Äusserungen zu bestrafen.
In der Schweiz wird das Urteil mehrheitlich sicher nicht verstanden werden. Man wird eine Stärkung der Meinungsäusserungsfreiheit für brandgefährlich halten. Zudem ist es in der Schweiz grundsätzlich immer notwendig, alle Handlungen oder Unterlassungen auf strafrechtliche Relevanz zu untersuchen und die Beschuldigten dann auch zu verurteilen, denn sonst kann man ihnen ja nicht einmal die Kosten des Verfahrens auferlegen und muss sie noch entschädigen.
Das Urteil ist zu begrüssen. Witzig finde ich, dass aufgrund des Urteils viele zur Wahl der SVP auffordern, weil sich diese gegen “fremde” Richter/innen wehrt – dabei ist das Urteil im Sinne der SVP ausgefallen, die grossmehrheitlich gegen die Rassismus-Strafnorm ist (weil manche SVP-Mitglieder selber ab und zu verurteilt werden). Viele scheinen auch nicht zu wissen, dass der EGMR keine Instanz der EU ist.
In der Schweiz darf nun zwar die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden, um Produkte vor Kritik (Nähmaschinen, Schmerzmittel) oder um abstrakte “religiöse Gefühle” (wie unterscheiden die sich eigentlich von anderen Gefühlen? Was dazu die Neurologie sagt?) zu schützen.
Gleichzeitig darf die Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt werden, wenn es um etwas wirklich Relevantes geht. Dazu: Um die Judenverfolgung vor Leugnung zu schützen darf die Meinungsfreiheit weiterhin auch eingeschränkt werden.
Ein ziemlich bizarres Urteil, das bei konsequenter Verallgemeinerung sehr weitreichende Folgen hätte.
Das Urteil ist aus der Perspektive der SVP zweischneidig:
Einerseits wird sie in der Ablehnung der Rassismus-Strafnorm bestärkt, andererseits stellt sie sich gegen ‘fremde’ Richter.
Ich finde, wir sollten diesen unsäglichen StGb-Paragraphen gegen die Meinungsäusserungsfreiheit umgehend abschaffen. Jeder soll das Recht haben, sich ungestraft zu blamieren wie er will.
Und was die Urteile des EGMR betrifft, welche meiner Meinung nach zu weit gingen: Es sind nur ganz wenige, so dass ich es insgesamt als nützlich erachte, wenn dieser Gerichtshof dem Bundesgericht auf die Finger schaut.
Das sehe ich auch so. Wollen wir eine Initiative starten mit dem Ziel, das Recht zur Selbstblamage in den Grundrechtskatalog der BV aufzunehmen?
@kj: Unbedingt, denn man verhindert damit auch das für die Zukunft geplante Verbot öffentlichen Nasenbohrens im StGB.