Polizeigesetz oder StPO?
Gemäss einem neuen Urteil des Bundesgerichts ist für Geschwindigkeitskontrollen im Strassenverkehr nicht die Strafprozessordnung, sondern das jeweilige Polizeigesetz anwendbar, womit ein Anfangsverdacht nicht notwendig ist (BGer 6B_1143/2015 vom 06.06.2016).
Zur Abgrenzung zwischen Polizeirecht und Strafprozessrecht macht das Bundesgericht folgende Ausführungen:
Ein Tatverdacht muss vorliegen, wenn im strafprozessualen Vorverfahren Erhebungen getätigt und Beweise gesammelt werden sollen (vgl. Art. 299 Abs. 2 StPO). Entgegen der vorinstanzlichen Urteilsbegründung und den darauf basierenden Ausführungen des Beschwerdeführers fällt das Handeln der Verkehrspolizei des Kantons Thurgau vorliegend nicht in den Anwendungsbereich der Strafprozessordnung. Diese regelt lediglich die polizeiliche Ermittlungstätigkeit im Rahmen der Strafverfolgung (Art. 15 Abs. 1 StPO), nicht aber die übrigen polizeilichen Aufgaben, auf welche die Polizeigesetzgebung anwendbar ist. Die Grenze zwischen polizeirechtlicher und strafprozessualer Tätigkeit verläuft in der Praxis fliessend und eine klare Trennung ist nicht immer möglich. Das entscheidende Abgrenzungskriterium für die Anwendbarkeit der StPO ist der strafprozessuale Anfangsverdacht (…). Im konkreten Fall agierte die Verkehrspolizei des Kantons Thurgau eindeutig in Wahrnehmung ihrer verkehrspolizeilichen Aufgaben, indem sie am 27. Juni 2013 gemäss der für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz (vgl. Urteil, S. 2) mit einem mobilen Lasermessgerät Geschwindigkeitskontrollen durchführte und (anders als beispielsweise im bundesgerichtlichen Urteil 6B_1023/2014 vom 23. Februar 2015 E. 1.3.1) nicht in der Funktion als gerichtliche Polizei Beweismittel sicherte. Dass die Kontrolle des Strassenverkehrs in der Konsequenz immer auch der Ermittlung fehlbarer Fahrzeuglenker und der Sicherstellung von Beweisen im Hinblick auf ein späteres Strafverfahren dient, lässt sich nicht vermeiden und ändert nichts daran, dass dies nicht den primären Zweck, sondern lediglich eine Begleiterscheinung von Verkehrskontrollen darstellt (E. 1.3.1).
Eine Videoaufzeichnung stellt zwar einen Grundrechtseingriff (informationelle Selbstbestimmung) dar, die aber gerechtfertigt ist:
Das aus Art. 10 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 13 Abs. 2 BV abgeleitete Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kann wie andere Grundrechte nach den Kriterien von Art. 36 BV eingeschränkt werden. Einschränkungen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sowie verhältnismässig sein; überdies darf der Kerngehalt nicht angetastet werden (BGE 140 I 2 E. 9.1 mit Hinweis). Werden von der Polizei erstellte Videoaufnahmen oder andere Aufzeichnungen in einem Strafverfahren beigezogen, stellen sie erkennungsdienstliches Material dar, auf welches die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Dauer der Aufbewahrung und zur Vernichtung Anwendung findet (BGE 133 I 77 E. 4.2 S. 83 mit Hinweisen). Nachdem selbst die Aufbewahrung derartiger Daten für sich allein nicht als schwer wiegender Eingriff gilt (BGE 120 Ia 147 E. 2b), muss dies umso mehr für die blosse Erstellung von Aufzeichnungen gelten. Vor diesem Hintergrund erscheinen die von der Kantonspolizei Thurgau ergriffenen Massnahmen zur Verkehrskontrolle verhältnismässig, mit den genannten Erlasse liegt eine ausreichende gesetzliche Grundlage vor und ein öffentliches Interesse ist zweifelsohne gegeben. Der Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung war damit zulässig (E. 1.3.4).
Gut, dass das wieder einmal geklärt wurde.