Polizeikosten nun doch als Gebühr i.S.v. Art. 422 Abs. 1 StPO überbindbar
In einem zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenen Entscheid billigt das Bundesgericht neu die Auferlegung der Polizeikosten an die beschuldigte Person (BGE 6B_1430/2019 vom 10.07.2020). Voraussetzung ist, dass dies in den Kantonen gesetzlich so vorgesehen wird, was im Kanton AG der Fall ist:
In dem von der Beschwerdeführerin erwähnten BGE 141 IV 465 hat das Bundesgericht festgehalten, dass allgemeine Aufwendungen der Polizei, welche diese aufgrund ihrer Stellung als Strafbehörde in einem konkreten Strafverfahren zu erbringen hat, wie beispielsweise Fahndungs- und Festnahmekosten, Ermittlungskosten, Kosten der Beweissicherung oder Kosten der polizeilichen Foto- und Erkennungsdienste keine Auslagen im Sinne von Art. 422 Abs. 2 lit. d StPO darstellen, die der beschuldigten Person verrechnet werden können. Zulässig sei es demgegenüber, diese allgemeinen polizeilichen Leistungen bei der Festsetzung der Gebühren zu berücksichtigen, wenn hierfür eine ausreichende gesetzliche Grundlage besteht (E. 9.5.3). Diese Rechtsprechung schliesst – entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin – eine Überbindung der Kosten für polizeiliche Dienstleistungen nicht schlechthin aus, sondern nur ohne eine gesetzliche Grundlage unter dem Deckmantel von Art. 422 Abs. 2 lit. d StPO. Den Kantonen ist es damit nicht verwehrt, in ihren Erlassen die Erhebung von Gebühren (im Sinne von Art. 422 Abs. 1 StPO) für die Tätigkeit der Polizei vorzusehen. Von dieser Möglichkeit hat der kantonale Gesetzgeber mit § 15 Abs. 2 VKD/AG Gebrauch gemacht, womit die Auferlegung der “Polizeikosten” als Gebühr im Sinne von Art. 422 Abs. 1 StPO zu qualifizieren ist und sich als rechtmässig erweist. Dass die Polizei ein Kostenblatteinreichte, ändert daran nichts. Es erübrigt sich damit auf die Frage einzugehen, ob Auslagen – zu welchen der zur Diskussion stehende Betrag von Fr. 310.– nicht zählt – pauschalisiert werden dürfen (E. 1.2, Hervorhebungen durch mich).
Die Finanzdirektoren der Kantone wird es freuen. Zur Höhe der Gebühr ändert das Bundesgericht seine Rechtsprechung aus BGer 6B_253/2019 vom 01.07.2019. Dieser Entscheid betraf auch einen Fall aus dem Kanton AG. Die Höhe der Gebühr muss (grundsätzlich) verschuldensunabhängig sein, wobei den Staatsanwälten ein Hintertürchen offen bleibt:
Die Gebühren im Sinne von Art. 422 Abs. 1 StPO dienen ausschliesslich der Deckung des Aufwands im konkreten Straffall. Die Berücksichtigung der Höhe der Sanktion – und damit des Verschuldens – führt zwangsläufig zu einer zusätzlichen Bestrafung, was unzulässig ist und dem Zweck der Gebührenerhebung widerspricht. Am Entscheid 6B_253/2019 vom 1. Juli 2019 kann deshalb nicht festgehalten werden. Ob allenfalls das Verschulden als Höchstgrenze berücksichtigt werden darf, um Gebühren zu vermeiden, die in keinem Verhältnis zur Schwere der Straftat stehen (in diesem Sinne NIKLAUS OBERHOLZER, Gerichts- und Parteikosten im Strafprozess, in: Christian Schöbi [Hrsg.], Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, 2001, S. 35), kann offenbleiben, zumal zwischen dem strafbaren Verhalten der Beschwerdeführerin und der Höhe der Gebühren im vorliegenden Fall kein offensichtliches Missverhältnis besteht. Die Rüge, die Gebühr habe sich an der Sanktion zu orientieren, erweist sich damit als unbegründet (E. 2.2.2).
Damit wird der Strafbefehl für die Kantone noch attraktiver, sofern sie über die gesetzliche Grundlage verfügen oder diese schaffen.
Der Entscheid enthält übrigens interessante verwaltungsrechtliche Erwägungen über den Wert des Nutzens, den die polizeiliche Dienstleistung dem Pflichtigen bringt:
Der Wert der Leistung bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Nutzen, den sie dem Pflichtigen bringt, oder nach dem Kostenaufwand der konkreten Inanspruchnahme im Verhältnis zum gesamten Aufwand des betreffenden Verwaltungszweigs, wobei schematische, auf Wahrscheinlichkeit und Durchschnittserfahrungen beruhende Massstäbe angelegt werden dürfen.
Was wohl der unterlegene Beschwerdeführer denkt, wenn er diese Erwägung liest?
Die einzige Folge davon, dass die Gebühr nicht “verschuldensabhängig” sein darf, ist, dass die Gebühr ein Vielfaches der Gebühr betragen kann. Wie oft ist die Gebühr 10x oder 20x so hoch wie die Busse? Wie kann man da noch behaupten, die Gebühr stelle keine “Strafe” dar?