Polizeiliche Anhaltung / Gefahr in Verzug

Bei Gefahr in Verzug kann die Polizei zum Zweck der Anhaltung oder der Festnahme einer Person Räumlichkeiten auch ohne Hausdurchsuchungsbefehl betreten (Ar.t 213 Abs. 2 StPO). Nach einem aktuellen Bundesgerichtsentscheid muss in einem solchen Fall auch nachträglich kein Durchsuchungsbefehl ausgestellt werden (BGer 6B_913/2021 vom 25.10.2021). Die eigentlich spannende Frage war allerdings eine, die gar nicht bestritten war und die das Bundesgericht ohne weiteres bejaht hat, nämlich die Gefahr in Verzug. Der Tatverdacht kommt leider mangels einer entsprechenden Rüge auch nicht vor.

Einen vergleichbaren Fall hat der U.S. Supreme Court – gestützt auf Verfassungsrecht – kürzlich anders entschieden: Lange v. California, 594 U.S. ___ (2021).

Hier aber die Erwägungen des Bundesgerichts:

Art. 215 StPO regelt die polizeiliche Anhaltung. Danach kann die Polizei im Interesse der Aufklärung einer Straftat eine Person anhalten und wenn nötig auf den Polizeiposten bringen, um ihre Identität festzustellen, sie kurz zu befragen, abzuklären, ob sie eine Straftat begangen hat, oder abzuklären, ob nach ihr oder nach Gegenständen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden, gefahndet wird (Art. 215 Abs. 1 lit. a-d StPO). Die Polizei kann die angehaltene Person gemäss Art. 215 Abs. 2 StPO verpflichten, ihre Personalien anzugeben (lit. a), Ausweispapiere vorzulegen (lit. b), mitgeführte Sachen vorzuzeigen (lit. c) und Behältnisse oder Fahrzeuge zu öffnen (lit. d). Die polizeiliche Anhaltung dient der Ermittlung einer allfälligen Verbindung zwischen der angehaltenen Person und einer Straftat. Ziel der Anhaltung ist es, die Identität zu überprüfen und festzustellen, ob nach den Umständen der konkreten Situation ein Zusammenhang der betreffenden Person mit Delikten als möglich erscheint (BGE 142 IV 129 E. 2.2; 139 IV 128 E. 1.2). Die polizeiliche Anhaltung nach Art. 215 StPO wird vorab an öffentlich zugänglichen Orten vorgenommen. Aus Art. 212 f. StPO ergibt sich jedoch, dass sie unter Beachtung der Vorschriften über die Hausdurchsuchung auch an nicht allgemein zugänglichen Örtlichkeiten zulässig ist (Urteil 6B_1409/2019 vom 4. März 2021 E. 1.6.1). Müssen zur Anhaltung oder Festnahme einer Person Häuser, Wohnungen oder andere nicht allgemein zugängliche Räume betreten werden, sind gemäss Art. 213 Abs. 1 StPO die Bestimmungen über die Hausdurchsuchung zu beachten und ist dementsprechend ein Hausdurchsuchungsbefehl erforderlich (vgl. Art. 241 Abs. 1 StPO). Ist Gefahr im Verzug, so kann die Polizei nach Art. 213 Abs. 2 StPO zur Anhaltung oder Festnahme einer Person Räumlichkeiten auch ohne Hausdurchsuchungsbefehl betreten.   

2.4. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass bei seiner Anhaltung Gefahr im Verzug war. Insbesondere beanstandet er die tatbestandsmässige Feststellung der Vorinstanz nicht, die Polizei habe zu seiner Anhaltung und zur Durchführung der Atemalkoholprobe nicht zuwarten können. Es ist somit erstellt, dass Gefahr im Verzug im Sinne von Art. 213 Abs. 2 StPO vorlag. Der Beschwerdeführer stellt sich aber auf den Standpunkt, dass auch bei Gefahr im Verzug ein Durchsuchungsbefehl oder ein Haftbefehl notwendig gewesen wäre. Er bezieht sich dabei auf E. 1.6.2 f. des Bundesgerichtsurteils 6B_1409/2019 vom 4. März 2021, wonach die Staatsanwaltschaft die entsprechenden Hausdurchsuchungsbefehle zu erlassen hat, wenn die Lage ein Betreten und Durchsuchen von nicht öffentlichen Räumlichkeiten erfordert. Der Beschwerdeführer verkennt dabei indes, dass sich der von ihm zitierte Satz nicht auf den Fall der “Gefahr im Verzug” bezieht, sondern auf das nicht dringliche Betreten von nicht allgemein zugänglichen Räumlichkeiten zum Zweck einer Anhaltung oder Festnahme, im zitierten Fall zum Zweck einer “Razzia” (Art. 215 Abs. 4 StPO; Urteil 6B_1409/2019 vom 4. März 2021 E. 1.6.2). Bei Gefahr im Verzug kann die Polizei nicht allgemein zugängliche Räumlichkeiten zur Anhaltung oder Festnahme kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung (Art. 213 Abs. 2 StPO) auch ohne Hausdurchsuchungsbefehl betreten (ALBERTINI/ARMBRUSTER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 8 zu Art. 213 StPO; CHAIX, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Auflage 2019, N. 11 zu Art. 213 StPO; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 1 zu Art. 213 StPO, N. 21 zu Art. 215 StPO; WEDER, in: Donatsch und andere [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020, N. 8 zu Art. 213 StPO, N. 29 zu Art. 215 StPO). Ein Hausdurchsuchungsbefehl muss in einem solchen Fall auch nicht nachträglich ausgestellt werden. Hierfür bietet die gesetzliche Regelung keine Grundlage. Hinweise auf eine allfällige Pflicht zur nachträglichen Ausstellung eines Hausdurchsuchungsbefehls lassen sich sodann weder der Botschaft entnehmen (vgl. Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006 1222 f. Ziff. 2.5.3.1, 1237 Ziff. 2.5.4.1), noch verlangt dies die zitierte Lehre. Der Auffassung des Beschwerdeführers, es hätte im vorliegenden Fall eines nachträglich erlassenen Hausdurchsuchungsbefehls bedurft, kann damit nicht gefolgt werden. Andere Gründe für die behauptete Verletzung von Art. 213 StPO und seiner Verfahrensrechte macht der Beschwerdeführer nicht geltend, weshalb solche auch nicht zu prüfen sind (Art. 42 Abs. 2 BGG). Seine entsprechenden Rügen erweisen sich als unbegründet. Die vorinstanzliche Auffassung zur Verwertbarkeit der erhobenen Beweismittel ist zu bestätigen.