Polizeilicher oder strafprozessualer Einsatz?

Die Polizei hat bekanntlich nicht nur präventive, sondern auch repressive Aufgaben. Für die Ersteren gilt das anwendbare Polizeirecht, für die Letzteren das anwendbare Strafprozessrecht (StPO, VStrR, MStP). Die Abgrenzung erfolgt nach Bundesgericht über die Frage des Tatverdachts. Im Grenzbereich gilt:

Stellt die Polizei im Rahmen ihrer präventiven Kontrolltätigkeit strafbare Handlungen fest, ermittelt sie nach Art. 306 ff. StPO (BGE 146 IV 11 E. 4).

Soweit so gut, auch wenn man hier noch definieren müsste, was man unter Kontrolltätigkeit genau zu verstehen hat.

Was das Bundesgericht unter Führung der besten Zivilrechtler (die keiner Strafrechtlichen Abteilung angehören) im Haus (bzw. ausser Haus) daraus macht, ist aber nicht nachvollziehbar. Um die Regeln des Strafprozessrechts aushebeln zu können, woran ein Gericht in einem Rechtsstaat doch beim besten Willen kein Interesse haben könnte, argumentiert das Bundesgericht einfach über das sog. polizeiliche Vorermittlungsverfahren (so zuletzt BGer 6B_499/2024 vom 20.11.2024 E. 3.2.2, Hervorhebungen und Klammerbemerkungen durch mich), das es spätestens seit Einführung der StPO schweizweit gar nicht geben kann:

Übt die Polizei im Rahmen ihrer vom Gesetzgeber zugewiesenen Kernaufgaben zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor dem Vorliegen eines konkreten Tatverdachts und ohne Auftrag seitens der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts Tätigkeiten im Bereich der Verbrechensverhütung aus, handelt es sich dabei um sogenannte polizeiliche Vorermittlungen [eben gerade nicht!]. Diese sind unterhalb der Schwelle des strafprozessualen Tatverdachts durchaus möglich. Solche polizeiliche Vorermittlungen werden nicht von den Bestimmungen der StPO zum Vorverfahren nach Art. 299 ff. StPO erfasst, sondern unterstehen dem kantonalen Polizeirecht (Urteil 6B_1136/2021 vom 7. November 2022 E. 4.4.2 mit Hinweisen). Typisch ist solches Handeln, wenn die Polizei Meldungen aus der Bevölkerung über verdächtige Wahrnehmungen nachgeht (BGE 140 I 353 E. 6.1). Vorermittlungen bezwecken, einen Sachverhalt so abzuklären, dass entschieden werden kann, ob ein Ermittlungsverfahren gemäss Art. 306 StPO zu eröffnen ist (vgl. statt vieler: GALELLA/RHYNER, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Schweizerische Strafprozessordnung/Jugendstrafprozessordnung, 3. Auflage 2023, N. 9 zu Art. 306 StPO).

Im konkret zu beurteilenden Fall argumentiert das Bundesgericht wie folgt (Hervorhebungen und Klammerbemerkungen durch mich):

3.3.1. Die Vorinstanz erwägt, am 4. April 2019 habe die Kantonspolizei den Gasthof B. betreten, nachdem die ESBK ein anonymes Schreiben erhalten habe, wonach sich dort Glücksspielautomaten befänden. Die Polizisten hätten festgestellt, dass die Gäste an mehreren Geräten spielten. Am 4. Mai 2019 habe eine Nachtpatrouille die gleichen Beobachtungen gemacht. Am 3. September 2019 habe die ESBK mit Unterstützung der Kantonspolizei Aargau eine Hausdurchsuchung durchgeführt.  

3.3.2. Die Vorinstanz verneint einen hinreichenden Tatverdacht, weil das anonyme Schreiben nicht erheblich und konkreter Natur gewesen sei. Sie verweist zutreffend auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach blosse Gerüchte oder Vermutungen für die Eröffnung einer Strafuntersuchung nicht genügen. Der Anfangsverdacht soll eine plausible Tatsachengrundlage haben, aus der sich die konkrete Möglichkeit der Begehung einer Straftat ergibt (Urteil 6B_178/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 2.2.2 mit Hinweisen).  

3.3.3. Die Vorinstanz betont, dass dem Hinweis im anonymen Schreiben dennoch nachgegangen werden musste, um abzuklären, ob allenfalls eine Strafuntersuchung zu eröffnen ist [was ja eigentlich der einzige Sinn einer Ermittlung ist, vgl. Art. 300 StPO]. Dies gelte unabhängig davon, ob die Kantonspolizei das anonyme Schreiben selbst erhalten oder durch die ESBK davon erfahren habe [sic!]. Zudem könne das Sekretariat der ESBK als verfolgende Behörde (vgl. Art. 20 Abs. 1 VStrR i.V.m Art. 134 Abs. 2 BGS) wie eine Staatsanwaltschaft die Akten für ergänzende Ermittlungen an die Polizei überweisen, wenn der Tatverdacht nicht hinreichend erscheine.  

3.3.4. Bezogen auf den konkreten Fall hält die Vorinstanz fest, die Vorermittlung der Polizei vom 4. April 2019 richte sich nach der Polizeigesetzgebung. § 35 Abs. 1 der damals gültigen Fassung des Polizeigesetzes des Kantons Aargau (PolG; SAR 531.200) erlaube der Polizei die (präventive) Observation an öffentlichen oder allgemein zugänglichen Orten, wenn dies zur Verhinderung oder Aufdeckung von Straftaten dient und andere Massnahmen weniger Erfolg versprechen oder erschwert wären. Der Gasthof B. sei zweifellos ein allgemein zugänglicher Ort. Entsprechend habe die Kantonspolizei das Lokal zu Vorermittlungen betreten dürfen. Im Rahmen ihrer verwaltungsrechtlichen Aufgaben habe die Kantonspolizei den Gasthof B. ohnehin betreten dürfen (§ 4 Abs. 2 lit. d PolG i.V.m. § 4 Abs. 1 lit. a Ziff. 3 Polizeidekret [PolD; SAR 531.210]).  

3.3.5. So gelangt die Vorinstanz zum Schluss, dass die Vorermittlung der Polizei vom 4. April 2019 auf Polizeirecht und damit auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgt sei. Erst danach habe sich der Verdacht erhärtet, der im anonymen Schreiben an die ESBK geäussert worden sei. Darauf sei am 3. September 2019 die Hausdurchsuchung im Gasthof B. durchgeführt worden. Diesbezüglich liege ein schriftlicher Durchsuchungsbefehl des Direktors der ESBK vor (Art. 48 Abs. 3 VStrR). Aufgrund der Feststellungen der Polizei habe ein genügend hinreichender Tatverdacht [ein neuer Begriff?] bestanden, wonach im Gasthof B. illegales Glücksspiel angeboten werde. Die Hausdurchsuchung sei daher keine unzulässige “fishing expedition” gewesen. Dass am 4. Mai 2019 eine Nachtpatrouille ein Foto des Innern des Gasthofs B. geschossen habe, sei für die Hausdurchsuchung irrelevant, da sich der hinreichende Tatverdacht bereits aus den Erkenntnissen der polizeilichen Vorermittlung vom 4. April 2019 ergeben habe und nicht auf die Erkenntnisse der Nachtpatrouille abgestellt worden sei.  

3.3.6. Mit dieser Begründung gelangte die Vorinstanz zum zutreffenden Schluss, dass keine unrechtmässige Zwangsmassnahme vorliegt, die ein Beweisverwertungsverbot gemäss Art. 141 StPO nach sich ziehen würde. Folgerichtig verwertete sie die Beweise der Hausdurchsuchung und deren Folgebeweise.  

3.4. Im Sinne einer Eventualbegründung hielt die Vorinstanz fest, die Hausdurchsuchung vom 3. September 2019 wäre selbst dann rechtmässig erfolgt, wenn das anonyme Schreiben einen hinreichenden Tatverdacht gemäss Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO begründet hätte. Denn diesfalls hätte gleichzeitig auch ein hinreichender Tatverdacht für die Hausdurchsuchung bestanden (Art. 48 Abs. 1 VStrR; vgl. auch Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO). Demnach seien die Beweise so oder anders verwertbar.  

3.5. Bei diesem Ergebnis verzichtete die Vorinstanz zu Recht auf die vom Beschwerdeführer beantragte Befragung der am E-Mail-Verkehr beteiligten Mitarbeitenden der Kantonspolizei und der ESBK. Denn in der Tat waren keine relevanten Aussagen zur Frage der Rechtmässigkeit der Hausdurchsuchung zu erwarten.  

Das Bundesgericht scheint zu übersehen, dass jeder Verdacht immer nur ein strafprozessualer Verdacht sein kann und dass es auch einen rein deliktsbezogenen Tatverdacht gibt. Verfolgt die Polizei einen Hinweis – zumal einen Hinweis einer Bundesbehörde – kann man unmöglich begründen, der anschliessende Einsatz sei rein präventiv-polizeirechtlich. Wer so argumentiert, braucht bis unmittelbar vor der Anklage keine StPO.

Nur am Rand: Der Beschwerdeführer hat eine Verletzung von Art. 300 StPO gerügt, was das Bundesgericht ausdrücklich bestätigt. In seiner Begründung erwähnt es Art. 300 StPO aber nicht.