Polizisten in Chatrooms als verdeckte Ermittler?
Sind Polizisten in Chatrooms verdeckte Ermittler? Unter diesem Titel kritisiert ein Autor in der NZZ Nr. 228 vom 02.10.2007, 58, zwei Urteile der Zürcher Justiz (s. meine früheren Beiträge), welche die Ermittlungen der Polizei in Chatrooms dem BVE unterstellt haben. Dem widerspricht der Autor mit teilweise fehlgeleiteten Argumenten.
Zunächst kommt er zum Schluss, es liege gar kein Anwendungsfall nach BVE vor. Bei der verdeckten Ermittlung im Sinne des Gesetzes gehe es
um die gezielte Infiltration kriminogener Strukturen unter Verheimlichung der wahren Identität des verdeckten Ermittlers sowie um Feststellung und Beweis deliktischer Aktivität der überwachten Person.
Anders beim chattenden Polizisten:
Ein chattender Polizist lebt aber auch nicht gewissermassen über längere Zeit unter einer Legende, sondern geht kurzfristig unter einem Nickname online. Dabei verheimlicht er zwar seinen Chatpartnern gegenüber seine wahre Identität, doch tun das alle anderen Chatter in der Regel umgekehrt auch. Und selbst das Vorspiegeln unwahrer Angaben zur Person dürfte weitverbreitet sein, ist es doch gerade eines der Merkmale eines Chats, dass er weitgehend anonym und ohne tatsächliche Kontrollmöglichkeiten zwischen den Chatpartnern erfolgt. Ein Nickname sowie die anlässlich eines Chats gemachten unwahren Angaben können jedenfalls nicht als eine Art Legende qualifiziert werden.
Anschliessend bringt der Autor die bürokratische Keule zur Anwendung:
Bei Ermittlungen in Chatrooms handelt es sich also um einen enorm schnelllebigen Bereich polizeilicher Gefahrenabwehr, der sich mit den Formen und Fristen des BVE (Einreichen des begründeten und mit Akten versehenen Begehrens innert 48 Stunden; Entscheid durch die Genehmigungsbehörde innert 5 Tagen) nicht verträgt.
Am Ende hofft der Autor auf höchstrichterliche Klärung und fordert gar einen “wirkungsvollen Kampf gegen Pädophile”:
Dabei ist zu hoffen, dass im Rahmen von Verhältnismässigkeitsüberlegungen dem öffentlichen Interesse an einer effizienten Strafverfolgung und einem wirkungsvollen Kampf gegen Pädophilie ein grösseres Gewicht eingeräumt wird, zumal sowieso fraglich erscheint, ob beziehungsweise inwiefern Grundrechte des Beschuldigten in einem virtuellen Umfeld tangiert werden können, umso mehr, wenn er sich unzulässigerweise in einem Kindern vorbehaltenen Chatroom aufhält, dessen virtuelles Betreten mit der Information über mögliche Überwachungsmassnahmen seitens des Providers sowie dem Hinweis auf die einschlägigen Straftatbestände einhergeht.
Vielleicht hat der Autor in einem Punkt sogar Recht. Vielleicht sind chattende Ermittler tatsächlich nicht dem BVE zu unterstellen. Die Konsequenz aus dieser Auffassung wäre dann doch aber eine ganz andere: Mangels gesetzlicher Grundlage darf es chattende Ermittler gar nicht geben. Aber ich gebe zu, dass dieses Verständnis des Legalitätsprinzips nicht mehr sehr modern ist.
Was soll die Polizei denn zukünftig machen? Sich in den Chatrooms mit “Eins, Zwei…Polizei!” anmelden?
Schließlich finde ich hier die durch den Chat-Anbieter vorgegebene Anonymität entscheidend. Als Chatroom-Benutzer kann man sich eben nicht darauf verlassen, das kein Polizist mithört. Ich “willige” ein, dass jeder der im Chatroom anwesend ist, meine Aussagen liest.
Ich kann auch nicht in eine Menschenmenge brüllen “Person X ist ein Arschloch!” und mich dann beschweren, weil ein anwesender Zivilpolizist deswegen weitere Ermittlungen gegen mich anstrengt.
Wer seine strafbaren Ansinnen an solch’ unsicheren Plätzen äußert, kann sich wohl kaum auf ein Verwertungsverbot berufen …zumindest hier in Deutschland.
Hiwihalle, so einfach ist es halt nicht, auch in Deutschland nicht. Es geht um Erwarungen an Privatsphäre, um bewilligungspflichtige Kommunikationsüberwachung und hier auch um Fragen des “agent provocateur” (ihr nennt den Lockspitzel).