Präzisierung zum Rechtsüberholen auf Autobahnen
In einem zur Publikation in der AS vorgesehenem Entscheid hält das Bundesgericht an seiner als zu streng kritisierten Rechtsprechung ausdrücklich fest (BGE 6B_374/2015 vom 03.03.2016). Es präzisiert aber den
Begriff des Kolonnenverkehrs und die damit verbundene Gefahrenbewertung unterschiedlicher Geschwindigkeiten auf den einzelnen Fahrspuren.
Die Präzisierung wird wohl dazu führen, dass nicht mehr serienweise Automobilisten bestraft werden, die sich an sich korrekt verhalten und insbesondere keine erhöhte Gefahr schaffen.
Das erreicht das Bundesgericht, indem es auf das Gesamtverkehrsaufkommen abstellt:
Bei derartigen, regelmässig auftretenden Verkehrssituationen ist namentlich bei mehr als zwei gleich gerichteten Fahrspuren die Beurteilung, ob paralleler Kolonnenverkehr vorliegt, anhand des konkreten Gesamtverkehrsaufkommens, das sich dem Fahrzeuglenker bietet, vorzunehmen. Kolonnenverkehr auf der Normalspur mit der Begründung zu verneinen, die Abstände zwischen den Fahrzeugen auf der Normalspur seien rund doppelt so gross wie diejenigen zwischen den Fahrzeugen auf der (linken und/oder mittleren) Überholspur, widerspricht dem Rechtsfahrgebot und lässt sich mit den geltenden Abstandsregeln und dem heutigen Verkehrsaufkommen nicht mehr in Einklang bringen. Die Verkehrsdichte müsste bei vorschriftsmässigem Verhalten der Verkehrsteilnehmer (grundsätzlich) von der Normal- (über die Mittel-) zur linken Fahrspur abnehmen. Langsamer Kolonnenverkehr auf der (mittleren und/oder linken) Überholspur würde grundsätzlich voraussetzen, dass auf der Normalspur ebenfalls langsam fliessender (Kolonnen-) Verkehr herrscht, jedenfalls dürfte der Verkehr auf der Normalspur nicht schneller vorankommen. Dies ist häufig nicht der Fall bzw. sogar die Ausnahme. Zudem wird ausser Acht gelassen, dass bei dichtem Verkehr die Abstände zwischen den Fahrzeugen auf der (linken und mittleren) Überholspur – im Gegensatz zu denen auf der Normalspur – in der Regel nicht dem einzuhaltenden erforderlichen Mindestabstand entsprechen (vgl. Art. 34 Abs. 4 SVG; Art. 12 Abs. 1 VRV). Die Ausnahmeregelung, bei Kolonnenverkehr ausnahmsweise rechts überholen zu dürfen (Art. 8 Abs. 3 Satz 1 VRV), muss bei einer solchen Verkehrssituation auch für den vorschriftsmässig auf der Normalspur fahrenden Fahrzeuglenker beim (passiven) Rechtsvorbeifahren mit konstanter Geschwindigkeit zur Anwendung gelangen, und zwar unabhängig davon, ob bzw. dass die Abstände zwischen den Fahrzeugen auf der Normalspur grösser sind als zwischen denen auf der linken (und mittleren) Überholspur. Andernfalls würden insbesondere die das Rechtsfahrgebot und häufig die Abstandsvorschriften ignorierenden Fahrer auf der mittleren Überholspur privilegiert, bei denen aufgrund (zu) geringer Abstände zwischen den Fahrzeugen paralleler Kolonnenverkehr mit der linken Überholspur zu bejahen wäre, mit der Folge, dass sie sowohl links (die auf der Normalspur fahrenden Autos) als auch rechts (die auf der zweiten Überholspur fahrenden Autos) überholen dürfen. Der vorschriftsmässig auf der Normalspur fahrende Fahrzeuglenker kann jedoch nicht für ein Vorfahren gebüsst werden, weil er das Rechtsfahrgebot einhält und Abstandsvorschriften beachtet. Paralleler Kolonnenverkehr ist bereits dann anzunehmen, wenn es auf der linken (und mittleren) Überholspur zu einer derartigen Verkehrsverdichtung kommt, dass Fahrzeuge auf der Überholspur faktisch nicht mehr schneller vorankommen als diejenigen auf der Normalspur, mithin die gefahrenen Geschwindigkeiten annähernd gleich sind. Dass die Abstände zwischen den Fahrzeugen auf beiden Fahrspuren nicht identisch sind und die auf den Fahrsstreifen gefahrenen Geschwindigkeiten verkehrsbedingt geringfügig differieren, ist unvermeidlich und ohne Bedeutung (E. 4.2.1, Hervorhebungen durch mich).
Damit im Neubeurteilungsverfahren nicht anbrennt, macht das Bundesgericht den Sack über den subjektiven Tatbestand endgültig zu:
Vorliegend fehlt es zudem auch am subjektiven Tatbestand. Die verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz enthalten keinerlei Anhaltspunkte, die auf ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrsregelwidriges Verhalten des Beschwerdeführers schliessen lassen. Selbst wenn man im vorliegenden Fall das „passive Überholen“ oder Rechtsvorfahren als Verkehrsregelverletzung qualifizieren würde, liesse sich weder ein schweres Verschulden noch grobe Fahrlässigkeit bejahen (E. 5.4).
Man wird sehen, wie sich diese Präzisierungen, die eher Änderungen sind, bewähren werden. Ich bin aber guter Hoffnung, dass dieses Urteil der viel zu rigiden und an der Wirklichkeit vorbeigehenden Praxis endlich einen Riegel schiebt.
Hallo, sehen sie Auswirkungen auf die Beurteilung auf die „schwere“ der Straftat „Rechtsüberholen“? Bisher wurde das klassische Rechtsüberholen automatisch als „schwere“ Verkehrsregelverletzung gewertet, weil „der andere Verkehrsteilnehmer mit Blick auf die diesbezüglich geltenden Verkehrsregeln nicht mit diesem Überholmanöver rechts rechnen und dadurch überrascht und zu einem Fehlverhalten verleitet werden könnte“.
Aufgrund der nun geänderten Verkehrsregeln, muss der rechts Überholte bei vorherrschendem Kolonnenverkehr neu mit Verkehr von rechts rechnen. Deshalb muss sollte das Vergehen „rechtsüberholen“ doch in Zukunft als leichte Verkehrsregelüberletzung eingestuft werden (vor allem bei regulärer Geschwindigkeit, und bei „Kolonnenverkehr“. Was meinen sie? Falls ja: Braucht es dazu erst wieder ein Präzedenzurteil vor Bundesgericht?
Ihr Argument macht Sinn. Es wird aber wohl auf die konkreten Umstände ankommen bzw. darauf, wie stark die Anzeiger den Beanzeigten belasten.
Das Urteil gilt nur für Autobahnen mit mehr als zwei Spuren, richtig?
Nein, das denke ich nicht.
Sind sie sicher? Ich habe diese Info von hier: http://www.law-news.ch/2016/03/verkehrsrecht-rechtsvorbeifahren-ist-nicht-rechtsueberholen
Im Urteilsbegründung selber wird die Anpassung der Definition von Kolonnenverkehr mehrfach mit Argumenten der Dreispurigen Autobahn begründen.
Aber ich hoffe, sie haben Recht, und es gilt auch bei zweispurigen Autobahnen.
Das Urteil ist eine Praxisänderung, wie kj anmerkt: Vor diesem Urteil war gesetzeskonformes Rechtsvorbeifahren auf Autobahnen bei Kolonnenverkehr für praktische Zwecke mit dem Risiko mehrjähriger Haftstrafen verbunden. In der Praxis kam, wie Autobahnbenutzende erfuhren, Rechtsvorbeifahren dennoch oft vor; das Risiko beschränkte sich darauf, ob zufällig eine Streife das Manöver sah. Das Urteil erkennt nun die bisherige Rechtssprechung als zu eng und damit als bundesrechtswidrig.
Die Auswirkung auf die Netzüberbelastung bleibt abzuwarten, ein linderndes Szenario ist jedoch möglich – die folgende Rechnung bezieht sich auf eine zweispurige Autobahn, den häufigsten Staufall: Laut Verkehrsmessungen ist die Fahrzeugdichte auf der linken Spur auf überlasteten Abschnitten auch bei wenig Schwerverkehr derzeit erheblich höher als auf der rechten Spur. Das heisst, dass sich auf der rechten Spur weniger Fahrzeuge pro Kilometer als auf der linken bewegen, es gibt also auf der rechten Spur längere Fahrzeugabstände. Die Praxisänderung kann durch Rechtsvorfahrer bewirken, dass sich diese Lücken schliesen und sich die rechte Spur besser auffüllt. Die Fahrzeugdichte steigt und damit der Durchsatz.
Das lindernde Szenario wäre wünschbar, jedoch bei genauer Überlegung eigentlich nicht möglich, wenn ich nun nämlich in den vom BGE behandelten Situationen rechts vorbeifahren darf, werden ich früher oder später auf einen noch langsamer fahrenden auf der rechten Fahrspur treffen (welcher der Grund ist warum ja alle anderen links fahren, da Sie je zu den schnelleren gehören) nun habe ich eigentlich nur die Möglichkeit abzuwarten bis das letzte Fahrzeug welches ich rechts passiert habe mich wiederum links passiert hat bevor ich Ausscheren kann, anschliessend befinde ich mich wiederum auf der linken verstopften Spur, nach dem einen Hindernis ist die rechte meist wieder frei, das ein und ausscheren bleibt jedoch stets verboten wenn damit Fahrzeuge überholt werden, in praktischer Hinsicht dürfte das dem Verkehrsfluss gar nichts bringen, denn das was dem Verkehrsfluss etwas bringen würde, bleibt stets verboten. Fraglich bleibt, wenn man jemanden rechts vorfährt und der anschliessend hinter einem auf die rechte Spur einschert, darf ich dann vor ihm Ausscheren ? oder habe ich damit unzulässig durch ein und ausscheren in verbotener Weise rechts überholt. Auch interessant wird die Frage sein, gilt dies dann noch als grobe Verkehrsregelverletzung ? Man wir zukünftig kaum noch argumentieren können der Automobilist sei überascht worden und hätte zu Fehlverhalten geleitet werden können wenn ich zulässig rechts vorbeifahre, dann aber unzulässig ausschere. Ausser in ganz klassichen Rechtsüberholfällen, wo noch übersetzte Geschwindigkeit hinzukommt, dürfte es zukünftig auch in ganz anderen Konstellationen schwer sein die grobe zu Rechtfertigen, da mit er Erlaubnis in gewissen Fällen rechts vorzufahren das Überaschungsmoment und die Möglichkeit einer Fehlreaktion deutlich reduziert wird, da ja zukünftig damit gerechnet werden muss das rechts vorgefahren wird, zu mindest immer dann wenn ich nicht die signalisierte Höchstgeschwindigkeit einhalte.
Die Vorredner beweisen, dass diese ganze Rechtsüberhol-Bestrafung komplett „überholt“, rückständig, nicht Verkehrssichernd sondern ausschliesslich verkehrsbehindernd ist und ledgilich noch der Abzocke von unbescholtenen Autofahrern dient.
Diese ganze Regelung gehört abgeschafft und rechts überholen gehört erlaubt.
Die ach so fortschrittlichen Politiker in der Schweiz sollten einfach mal auf ihr Volk hören und den Mist bereinigen! Dann hätte die Totalverwirrung der Autofahrer auch ein Ende und man könnte sich als Fahrer wieder auf das Fahren und Verhindern von Unfälle sorgen anstatt um Juristische Spitzfindigkeiten.