Praxisänderung beim (Computer)betrug
In einem neuen, zur Publikation vorgesehenen Urteil (BGE 6B_831/2023 vom 24.04.2024) ändert das Bundesgericht seine Meinung zur Abgrenzung des Betrugs vom Computerbetrug:
Entgegen der im Urteil 6B_24/2018 vom 22. Mai 2019 E. 2.3.1 noch vertretenen Auffassung ist es für die Anwendung von Art. 147 StGB bei einem Kauf auf Rechnung somit sehr wohl von Bedeutung, ob nicht nur der Bestellvorgang, sondern auch der Versand der Waren vollautomatisiert wurde. Sind Personen in den Versandvorgang involviert, findet die Vermögensverschiebung zulasten Dritter nicht durch die Datenverarbeitungsanlage statt, sondern durch Menschen, welche getäuscht werden, wenn der Käufer in Wirklichkeit nicht zahlungswillig ist und folglich gar kein verbindlicher Kaufvertrag zustande kam.
Die Vortäuschung des Zahlungswillens im Online-Handel fällt daher trotz der teilweise vollautomatisierten Abwicklung der Bestellvorgänge unter den Straftatbestand des Betrugs im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB, wenn – wovon vorliegend auszugehen ist – die Bestellungen von Menschen entgegengenommen werden, welche die bestellten Waren verpacken und versenden. Unerheblich ist, dass den für den Versand zuständigen Mitarbeitern in Bezug auf die Frage, ob sie die bestellten Waren versenden wollen oder nicht, keine oder kaum Entscheidungsbefugnis zukommt. Nicht anders verhält es sich in einem arbeitsteiligen Umfeld beim stationären Detailhandel, wenn bei grösseren Unternehmen die Verkaufsbedingungen durch andere Mitarbeiter festgelegt werden. Entscheidend ist, dass die Mitarbeiter berechtigt und wohl auch verpflichtet sind, die Bestellung zu stornieren, wenn sie bei einem Kauf auf Rechnung Kenntnis vom fehlenden Zahlungswillen erlangen und sie bzw. die Gesellschaft, für welche sie handeln, die Waren daher im Irrtum über den Zahlungswillen des Käufers und das Vorliegen eines verbindlichen Kaufvertrags versenden (E. 4.9.2).
Mir leuchtet das nicht ein, aber vielleicht verstehe ich einfach nicht, was das Bundesgericht zu dieser Praxisänderung (ist es überhaupt eine solche?) veranlasst hat.
Schräg ist dann auch, was das Bundesgericht daraus macht. Es heisst die Beschwerde gut, macht aus dem Computerbetrug aber reformatorisch einen Betrug. Es nimmt also eine andere Würdigung in 22 Fällen vor, ohne das angefochtene Urteil zu kassieren. Damit bleibt das angefochtene Urteil bundesrechtswidrig:
Der Beschwerdeführer ist entgegen der Vorinstanz im Sinne eines reformatorischen Entscheids (vgl. Art. 107 Abs. 2 BGG) bezüglich Ziff. I.B.5 der Anklageschrift vom 5. Dezember 2019 daher auch in den 22 Fällen, in welchen die Bestellung (möglicherweise) vollautomatisch abgewickelt wurde, des gewerbsmässigen Betrugs im Sinne von Art. 146 Abs. 1 und 2 StGB schuldig zu sprechen, wovon zuvor bereits das Strafgericht im erstinstanzlichen Urteil (vgl. E. 2.6.2 S. 183) ausging und was auch der Anklage entspricht. Für die rechtliche Würdigung im Sinne von Art. 146 Abs. 1 und 2 StGB kann vollumfänglich auf die übrigen Schuldsprüche wegen gewerbsmässigen Betrugs verwiesen werden (vgl. oben E. 3).
Eine Rückweisung an die Vorinstanz erübrigt sich, da sich die neue rechtliche Würdigung weder auf die Strafzumessung (vgl. dazu hinten E. 5.4.3) noch die Kostenfolgen im kantonalen Verfahren auswirkt. Eine Abänderung des vorinstanzlichen Urteilsdispositivs ist ebenfalls nicht erforderlich, da die Vorinstanz den Schuldspruch wegen gewerbsmässigen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage im Dispositiv des Urteils vom 12. Januar 2023 nicht erwähnt.
Auf einen Schriftenwechsel (vgl. Art. 102 Abs. 1 BGG) kann ausnahmsweise trotz der teilweisen Gutheissung der Beschwerde verzichtet werden, da die Staatsanwaltschaft selbst im vorinstanzlichen Verfahren noch einen Schuldspruch wegen gewerbsmässigen Betrugs beantragte (E. 4.10).
Das ist so eine absurder herleitung, mangelnder Zahlungswille, wie wird das abgegrenzt von mangelender Zahlungsfähigkeit? Da wird einfach vom Zivilrecht in Strafrecht verschoben.
Okay, mal wieder für den Laien: wenn man schon keine Ahnung von Strafrecht hat, dann redet man nicht mit! Wer nicht zahlungsfähig ist, ist auch nicht zahlungswillig. Ist das angekommen?
@pk Wenn man z.B. eine Bestellung während Zahlungsunfähigkeit tätigt und davon ausgeht, dass man bei Fälligkeit der Rechnung zahlungsfähig ist (z.B. Lohn kommt bald), dann ist man trotzdem zahlungswillig, selbst wenn man aufgrund irgendwelcher unvorhersehbarer Umstände zahlungsunfähig bleiben sollte… gibt noch zig Beispiele, aber grundsätzlich benötigt Zahlungsunwilligkeit einen Vorsatz/Willen, wie der Name schon sagt.
Auf die sonstigen infantilen Äusserungen braucht angesichts des Gesagten nicht weiter eingegangen zu werden.
“Mir leuchtet das nicht ein, aber vielleicht verstehe ich einfach nicht, was das Bundesgericht zu dieser Praxisänderung (ist es überhaupt eine solche?) veranlasst hat.”
Das kann ich Ihnen erklären: offenbar soll auch die Riesenmenge an Fällen strafrechtlich erfasst werden, in denen die (meist jungen) Besteller über ihre Verhältnisse leben, jedoch noch unter korrektem Namen und Anschrift bestellen können, weil sie mangels Zahlungsausständen noch nicht vom Händler gesperrt worden sind, m.a.W. Fälle, die man früher zumindest bei automatisiertem Bestellprozess mangels falscher Dateneingabe eingestellt hat.
@Laie: Zunächst einmal wird in der Strafrechtsdogmatik alles ex post betrachtet und beurteilt und somit, wenn von mangelnder Zahlungsfähigkeit die Rede ist, davon ausgegangen, dass diese sowohl im Tat- wie im Beurteilungszeitpunkt gegeben ist! Zweitens wird die mangelnde Zahlungsfähigkeit eben zur Objektivierung des mangelnden Zahlungswillens herangezogen, d.h. es wird daraus auf den Vorsatz geschlossen!
Ist das eine Strategie, dass man das bereits Festgestellte in Kompliziert verpackt und mit Ausrufezeichen versieht, so als wäre es eine neue Erkenntnis, oder einfach Ihre Art?
Zum einen: Ja, natürlich wird bei davon ausgegangen, dass die Zahlungsunfähigkeit zum Tat-und Beurteilungszeitpunkt gegeben ist. Hat das jemand bestritten? In meinem Beispiel ist man sowohl zum Tatzeitpunkt – bei der Bestellung – als auch zum Beurteilungszeitpunkt zahlungsunfähig. Bei der Bestellung geht man noch – begründeterweise – von einem baldigen Lohneingang aus, hat aber kein Geld auf dem Konto, beim Fälligkeitsdatum hat man aufgrund unvorhergesehener Umstände keinen Lohn erhalten, somit immer noch kein Geld auf dem Konto. Wenn man aber vernünftigerweise davon ausgehen konnte, dass man pünktlich seinen Lohn erhalten wird, dann ist man selbstverständlich nicht zahlungsunwillig zum Zeitpunkt der Bestellung und selbstredend wird dann niemand von der Zahlungsunfähigkeit – zum Tat – und Beurteilungszeitpunkt – auf Zahlungsunwillen schliessen. Nicht umsonst werden regelmässig weitere Hinweise zur Feststellung des Zahlungswillens genutzt wie z.B. ob man neue E-Mails erstellt hat, um die Bestellung zu tätigen o.ä.
Ich vermute die Motivation zur Praxisänderung (m.E. eher eine Präzisierung) ergibt sich aus E. 4.4.1.:
“Des Weiteren seien mit Verfügung vom 4. November 2022 bei den diversen geschädigten Firmen amtliche Erkundigungen eingeholt worden zur Frage, ob bei Online-Bestellungen alle Abläufe elektronisch absolviert worden oder in gewissen Schritten Angestellte der Firma involviert gewesen seien, welche – z.B. bei der Bonitätsprüfung oder beim Entscheid, ob und unter welchen Bedingungen eine Lieferung erfolgen soll – Entscheidungen treffen (angefochtenes Urteil S. 32). Zwar handle es sich im vorliegenden Fall um Internetbestellungen, welche bereits vor einiger Zeit erfolgt seien, doch hätten die allermeisten angefragten Geschädigten zum konkreten Fall Stellung nehmen bzw. rekonstruieren können, wie sich die Bestellung zum Tatzeitpunkt abgewickelt habe. Wo dies nicht möglich gewesen sei, werde im Zweifel von Art. 147 StGB ausgegangen.”
Das Bundesgericht hat sich wahrscheinlich gedacht, dass mit so aufwändigen Abklärungen, nur um zu klären unter welche von zwei gleichwertigen Strafbestimmungen ein Verhalten zu subsumieren ist, niemandem gedient ist. Möglicherweise hat auch die “in dubio pro 147”-Logik der Vorinstanz nicht wirklich überzeugt.
Ich finde den Entscheid sinnvoll.