Praxisänderung: Keine Beschwerde gegen Haftentlassung
Heisst das Zwangsmassnahmengericht ein Haftentlassungsgesuch gut, steht der Staatsanwaltschaft nach einem neuen Grundsatzentscheid des Bundesgerichts kein Beschwerderecht (mehr) zur Verfügung (BGE 1B_ 614/2022 vom 10.01.2023, Praxisänderung, Publikation in der AS vorgesehen):
Damit ist hier die seltene Konstellation gegeben, in welcher der Gesetzgeber zum Ausdruck brachte, dass entgegen der Auffassung des Bundesgerichts kein gesetzgeberisches Versehen vorliegt, sondern ein Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft tatsächlich nicht gewollt ist. Aufgrund dieser besseren Erkenntnis, wonach sich das Beschwerderecht nicht auf eine Grundlage in der StPO stützen kann, besteht für das Bundesgericht Anlass, auf die als unzutreffend erkannte Praxis zurückzukommen und sie aus eigener Erkenntnis anzupassen. Die Gewaltenteilung bzw. der Respekt vor dieser erfordert eine unverzügliche Änderung der Rechtsprechung. Die Voraussetzungen einer Praxisänderung sind aufgrund der besseren Erkenntnis des Gesetzeszwecks bzw. dieses unmissverständlichen Ausdrucks des gesetzgeberischen Willens erfüllt (vgl. BGE 145 V 304 E. 4.4; 141 II 297 E. 5.5.1; je mit Hinweisen) [E. 2.4].
Endlich!!! Der Entscheid ist sehr zu begrüssen, aber was sollen denn diese Ausführungen?
“Da es sich jedoch um eine Änderung der Rechtsprechung handelt, welche nicht vorhersehbar war, ist dem Antrag des Beschwerdeführers auf unverzügliche Haftentlassung nicht stattzugeben; insofern sind die Beschwerden abzuweisen. Es stellt sich namentlich die Frage, ob das Zwangsmassnahmengericht die unverzügliche Haftentlassung auch angeordnet hätte, wenn es gewusst hätte, dass sein Entscheid ohne Anfechtungsmöglichkeit sofort vollstreckbar würde, da es letztinstanzlich entscheidet.”
Da stellen sich mir die Haare zu Berge…
Obwohl mir bekannt war, dass dies der Standpunkt des BGer sein würde (Medienmitteilung), konnte ich es dennoch nicht fassen. Ich weiss wirklich nicht wie (mindestens) drei Bundesrichterinnen und Bundesrichter auf die Idee kommen so etwas zu schreiben. Allein auf Basis dieser Erwägung qualifiziert sich der Entscheid als Fehlurteil des Jahres. Im Prinzip nichts weiter als die höchstrichterliche Bankrotterklärung des ZMG. Mit welcher Argumentation will der ZMG-Richter nun sein Urteil ändern? „Jaa also ich habe mir das nochmal überlegt, und jetzt wo ich endgültig entscheiden muss bin ich mir nicht mehr so sicher….“ Sollte das ZMG seine Position ändern, wäre das automatisch klar willkürlich und müsste vom BGer auf Beschwerde des Inhaftierten wiederum festgestellt werden…
«Freiheit gibt es auch nicht, wenn die richterliche Befugnis nicht von der legislativen und von der exekutiven Befugnis geschieden wird. Die Macht über Leben und Freiheit der Bürger würde unumschränkt sein, wenn jene mit der legislativen Befugnis gekoppelt wäre, denn der Richter wäre Gesetzgeber. Der Richter hätte die Zwangsgewalt eines Unterdrückers, wenn jene mit der exekutiven Gewalt gekoppelt wäre.» Montesquieu, Vom Geist der Gesetze.
Demut und Fairplay, insbesondere mit Anstand verlieren können, erachte ich nicht nur bei Richter als hohe Tugenden. Schade, da hat das Bundesgericht etwas verpasst.