Praxisänderungen im Verjährungsrecht

Das Bundesgericht ändert seine in BGE 134 IV 328 E. 2.1 begründete Rechtsprechung, wonach die Verjährung nicht mehr eintritt, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist (aArt. 70 Abs. 3 StGB, Art. 97 Abs. 3 StGB). Unter erstinstanzlichen Urteilen im Sinne dieser Bestimmung sind neu nicht nur verurteilende, sondern auch freisprechende Erkenntnisse zu verstehen. Seine ausführlichen Erwägungen fasst das Bundesgericht wie folgt zusammen (BGE 6B_771/2011 vom 11.12.2012, Publikation in der AS vorgesehen):

Es bestehen keine sachlichen Gründe, vom klaren Wortlaut abzuweichen. Im Gegenteil ergibt sich aus dem auch aus der Botschaft des Bundesrates erkennbaren Zweck der Bestimmung, wonach im Rechtsmittelverfahren die Verjährung nicht mehr eintreten soll, sowie aus dem Gebot der Gleichbehandlung, dass Art. 97 Abs. 3 StGB auch freisprechende erstinstanzliche Urteile erfasst (E. 1.5.9).

Im selben Entscheid kommt das Bundesgericht zudem zum Schluss, dass der Strafbescheid kein erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB ist, wenn das Einspracheverfahren übersprungen wird.

Dass jeder Strafverfügung ein Strafbescheid vorauszugehen hat (vgl.  BGE 133 IV 112 E. 9.4.4) gilt damit wohl nicht mehr.

 Ist aber der Strafbescheid (Art. 64 VStrR) kein erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB, so gilt dies nicht nur, wenn ihm auf Einsprache (Art. 67 ff. VStrR) hin eine Strafverfügung (Art. 70 VStrR) folgt, sondern auch, wenn die Einsprache gegen den Strafbescheid als Begehren um gerichtliche Beurteilung behandelt (Art. 71 VStrR) und somit zufolge Überspringens des Einspracheverfahrens keine Strafverfügung erlassen wird. Denn das Überspringen des Einspracheverfahrens ändert an der Rechtsnatur des Strafbescheids nichts, und bei dessen Erlass ist ungewiss, ob eine allfällige Einsprache als Begehren um gerichtliche Beurteilung behandelt werden wird.

In den Fällen, in welchen das Einspracheverfahren übersprungen wird (Art. 71 VStrR), ist somit nicht der Strafbescheid (Art. 64 VStrR), sondern der erstinstanzliche Gerichtsentscheid im gerichtlichen Verfahren (Art. 73 ff., Art. 79 VStrR) als erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB zu qualifizieren, nach dessen Ausfällung vor Ablauf der Verjährungsfrist die Verjährung nicht mehr eintritt (E. 1.4.5).