Private Videoaufnahmen im öffentlichen Raum als Beweismittel
In einem heute publizierten Grundsatzentscheid hatte das Bundesgericht die Verwertbarkeit von Videoaufnahmen im öffentlichen Raum durch Private zu beurteilen (BGE 6B_1133/2021 vom 01.02.2023, Fünferbesetzung). Konkret ging es um die Videoüberwachung eines aus welchen Gründen auch immer anonymisierten Flughafenparkhauses U.
Zuerst prüfte das Bundesgericht, ob die Videoaufnahmen den Grundsätzen von Art. 4 Abs. 4 DSG entsprachen. Es lässt die Frage offen, denn
Selbst wenn der Grundsatz der Transparenz verletzt sein sollte, wäre eine Persönlichkeitsverletzung des Beschwerdeführers durch ein überwiegendes privates Interesse gerechtfertigt (E. 2.4.1.).
Die Datenbearbeitung erweise sich nicht als widerrechtlich, denn die Betreiberin verfüge über ein überwiegendes Sicherheitsinteresse:
Wenn die Vorinstanz im Ergebnis von einem überwiegenden Sicherheitsinteresse der Betreiberin (und Dritter) ausgeht, ist dies nicht zu beanstanden. Damit erweist sich die Datenbearbeitung nach Art. 13 DSG als nicht widerrechtlich. die Datenbearbeitung nach Art. 13 DSG als nicht widerrechtlich (Art. 2.4.3.)
Um die Sicherheit ging es hier ja aber ganz offensichtlich nicht einmal im Ansatz. Aber im Ergebnis hiess das, dass nach dem Schema Wohlers (FP Sonderheft 1/2020 204), den das Bundesgericht hier merkwürdigerweise nicht einmal zitiert, gar keine rechtswidrige Beweisverwertung vorlag, womit sich Art. 141 StPO gar nicht zur Diskussion stehen konnte.
Was sagen die Datenschutz-Cracks dazu? Kann eine solche Videoüberwachung nach den Massstäben des Bundesgerichts überhaupt widerrechtlich sein?
Der Ausflug der strafrechtlichen Abteilung ins Datenschutzrecht überzeugt in der Methodik der Interessenabwägung leider überhaupt nicht…
Es kann zwar durchaus argumentiert werden, dass eine Videoüberwachung einem Sicherheits- und Beweissicherungszweck im Hinblick auf Straftaten dient und deshalb i.S.v. Art. 13 DSG gerechtfertigt werden kann. Im vorliegenden Fall hätte aber abgewogen werden müssen, ob eine (potentiell) nicht transparente bzw. nicht erkennbare Videoüberwachung gerechtfertigt ist. Worin liegt das spezifische überwiegende Interesse der (potentiell) geheimen, nicht transparenten Videoüberwachung im Hinblick auf die Verhinderung von Straftaten bzw. Sicherheitsinteressen und Beweissicherung? Zumindest hätte man thematisieren müssen, ob dann nicht vielmehr die klar erkennbare und ausgeschilderte Videoüberwachung das geeignetere Mittel zur Verhinderung/Vorbeugung von Straftaten und zur Sicherheit der anwesenden Personen wäre, oder aber zumindest nicht weniger geeignet, womit es die Verhältnismässigkeit (auch in der Interessenabwägung) geboten hätte, eine erkennbare Videoüberwachung zu bevorzugen.
Indem das BGer die Frage der Verletzung des Transparenz- und Erkennbarkeitsgrundsatzes (Art. 4 Abs. 4 DSG) offen lässt, erspart es sich ganz einfach eine Auseinandersetzung mit diesem Punkt, sondern fügt einfach allgemein Argumente auf.
Ganz lustig wird die Lage de lege ferenda mit Inkrafttreten des neuen Datenschutzrechtes. Ab dann ist die grundsätzlich jede Verletzung der Informationspflicht über eine Datenbearbeitung strafbar…
Für mich ist – gleich wie für Dich –
nicht nachvollziehbar, weshalb eine an sich verbotene Videoaufzeichnung, die aber wegen eines angeblichen Rechtfertigungsgrundes, der allerdings nichts mit der konkreten Verwendung des Videos zu tun hat – auch im Hinblick auf die nicht durch die Rechtfertigung gedeckte Verwendung rechtmässig sein soll. Wenn ich auf jemanden in Notwehr schiesse, mag das im Hinblick auf den Angreifer rechtmässig sein, Daraus kann jedoch nicht automatisch die Rechtmässigkeit abgeleitet werden, wenn ich auch noch einen Unbeteiligten verletze.
Der Entscheid beantwortet noch eine andere Grundsatzfrage (Geltungsbereich Schweizer SVG im Zollgebiet, wenn Widerhandlung auf Deutschem Staatsgebiet erfolgte). Ich bin gespannt, im Hinblick auf welche Frage der Entscheid publiziert werden soll.
Jedenfalls hat die Verteidigung beachtlich. argumentiert.
Der Mechanismus ist vergleichbar: Wenn mich eine Person telefonisch anruft und z.B. erpresst oder bedroht, so kann ich das Telefonat aufnehmen. Dabei erfülle ich ggf. den Tatbestand des unbefugten Aufnehmens von Gesprächen (Art. 179ter StGB) ich kann mich aber wohl auf den Rechtfertigungsgrund (Notwehr/Notstand) berufen und das Beweismittel ist damit rechtmässig. Ähnliche Konstellation: Ich sehe wie eine Person bei meinem Nachbarn einbricht und filme diese und greife damit ggf. in das Persönlichkeitsrecht des Einbrechers nach Art. 28 ZGB (Recht am eigenen Bild usw.). Dieser Eingriff ist aber offensichtlich gerechtfertigt (überwiegendes privates Interesse nach Art. 28 Abs. 2 ZGB oder wieder Notstands-/Notwehrhilfe) und wiederum verwertbar.
Eine ganz andere Frage im hier konkreten Fall ist freilich, ob das Bundesgericht bei der Interessenabwägung (Art. 13 DSG) korrekt vorgegangen und zum richtigen Schluss gekommen ist.
@ Tom. Ich gebe zu, das von Ihnen gewählte Beispiel mit dem Filmen des Einbruchs beim Nachbarn ist deutlich treffender als mein Beispiel. Angenommen, in Ihrem Beispiel sieht man auf der Aufnahme des Einbruchs, dass beim Nachbarn ein gestohlenes Bild im Wohnzimmer hängt oder dass der Nachbar gerade seine Frau schlägt. Dann müsste man die Frage der Verwertbarkeit dieser Erkenntnis wohl über die Frage der Verwertbarkeit eines Zufallsfundes lösen. Oder sehe ich das falsch?
Wie verhält es sich diesbezüglich in dem hier zur Diskussion stehenden Fall?
Ja das wäre wohl eine andere Konstellation und ein (privater) Zufallsfund. Aber ist es auch eine Beweisausforschung (analog zum Kamera-Urteil des BGer)?
Liegt hier nicht ein Widerspruch zum BGer “Dashcam” (BGer 6B_1188/2018) vor? Dort wird ja implizit gesagt, dass die Rechtfertigung nach StPO und nicht DSG zu prüfen ist…
E. 3.3 “Dieser Auffassung ist beizupflichten. Bei der Frage, ob ein Rechtfertigungsgrund gemäss Art. 13 Abs. 1 DSG vorliegt, ist eine Abwägung zwischen den Interessen des Datenbearbeiters und denjenigen der verletzten Person vorzunehmen. Bei der Frage der strafprozessualen Verwertbarkeit eines Beweismittels sind hingegen der Strafanspruch des Staates und der Anspruch der beschuldigten Person auf ein faires Verfahren in erster Linie entscheidend; die Interessen des privaten Datenbearbeiters treten dabei zurück. “
Ja, das Bundesgericht ist in BGE 146 IV 226 E. 3 (Dashcam-Urteil) unter Berufung auf eine (!) Lehrmeinung erstmals von einer autonomen Rechtswidrigkeitsdefinition im (Straf-)Verfahrensrecht ausgegangen. Das wurde dann in BGer 6B_810/2020 E. 2.6.2 und BGE 147 IV 9 E. 1.3.2 bestätigt. Bereits in BGE 147 IV 16 E. 5 ist das Bundesgericht, diesmal unter Aufführung der absolut h.L. wieder zurückgeschwenkt. Insofern dauerte dieser höchstrichterliche Ausflug gerade Mal ein gutes Jahr; vom 26. September 2019 bis zum 13. November 2020 (vgl. dazu z.B. Reber/Di Gallo, Verwertung von durch Privatpersonen rechtswidrig erlangten Beweismitteln, ZStrR 2022 S. 460 ff., S. 467 f. und aus neuerer kantonaler Praxis OGer Bern SK 22 397 E. 8).
Es ist nicht zutreffend das das BGE in BGE 147 IV 16 zurückgeschwenkt wäre auch in diesem Fall war die Go Pro Aufnahme nicht verwertbar, da Sie immer läuft fällt die Rechtfertigung bereits ausser betracht und Vertösse gegen SVG Art 90 Abs 1&2 sind keine schwere Verbrechen im Sinne von Art 141 Stgb….solange es somit um SVG Verstösse geht bleiben Dash Cam Aufnahmen die immer laufen was ja der Zweck einer Dashcam ist stets unverwertbar. Anders wäre es ggf wenn diese einen Mord aufzeichnet….
@Yoda: Das war nicht der Inhalt meines Kommentars…
Jaja, die liebe Beweisverwertung. Welcher Jurist hat dazu eigentlich noch keinen Artikel publiziert? Wohlers, Guhl, Maeder, Gächter/Meier, Teichmann/Weiss, Berger, nochmals Wohlers, Bürge, Arnosti, bla, bla, blubb. Alles gelesen, am Ende dümmer als davor. Ob wohl wenigstens das Bundesgericht eine einheitliche Linie fährt? Oder sind die Begriffe mal wieder so schwammig („üBeRwIeGeNdE iNtErEsSeN“), dass man innerhalb einer Linie alles begründen kann? Wieso merkt der durchschnittliche Jurist sowas nie?
Als ich begriffen habe, dass das Ergebnis meistens vor der Begründung kommt (und durch das Frühstück mitbestimmt wird) und sich alles begründen lässt, habe ich mich gleich exmatrikuliert. Das war wohl so in der dritten Woche an der UZH. Da wollte ich nicht mitmachen, das geht nur mit schlechtem Gewissen (so oder ähnlich sagte es mal der junge Niggli bei Sternstunde Philosophie). Der Dozent sagte noch (also in meinem Kopf): „Ja, bitte, gehen Sie schnell, ich will mir nicht eingestehen, dass ich seit 20 Jahren Luftschlösser baue.“
Manche Juristen lernen das ein Leben lang nicht und echauffieren sich dann darüber, was das BGer oder die Lehre so macht. Darüber sollte man mal einen Aufsatz schreiben: „Über das Wesen des Juristen und die Wertlosigkeit seines Tuns“. Aber Strafverteidiger mag ich von allen Juristen noch am meisten.
Um die Frage zu beantworten, was die Datenschutzexperten dazu sagen: Der eine das, ander andere dies.
Der Durchschnittliche Jurist interessiert sich weniger für Recht sondern vielmehr für die Rechnungen die er schreibt….und da auch ein unterdurchschnittlicher Jurist Problemlos 250.00 bei den Rechtsschutzversicherungen abrechnen kann, lässt es sich ganz gut leben, von den Luftschlössern….ist halt Pech für die Kläger und Beschuldigten..