Prozessfalle elektronischer Rechtsverkehr
Nach Art. 91 Abs. 3 StPO gilt eine Frist bei elektronischer Übermittlung als gewahrt, wenn der Empfang bei der Strafbehörde spätestens am letzten Tag der Frist durch ihr Informatiksystem bestätigt worden ist.
Nun gibt es tatsächlich Strafbehörden, die ihr Informatiksystem so eingerichtet haben, dass die Eingaben nicht automatisch von der Plattform heruntergeladen und damit bestätigt werden. Die Zustellungsbestätigung wird erst abgesetzt, wenn die Eingabe manuell heruntergeladen und geöffnet wird. Damit bestimmt im Ergebnis die Behörde, ob sie eine (an sich rechtzeitig versendete) Eingabe auch als rechtzeitig zugestellt behandeln will.
Ob das so gedacht war?
Für Zivilsachen in Zürich gilt:
“So lange die Zustellplattform des Obergerichts dem Absender einer elektronischen Eingabe keine Eingangsbestätigung im Sinne von Art. 143 Abs. 2 ZPO zustellt, ist auf den fristgerechten Eingang abzustellen und auf das Erfordernis einer entsprechenden Bestätigung vor Fristablauf durch die Zustellplattform zu verzichten.”
http://www.gerichte-zh.ch/fileadmin/user_upload/entscheide/oeffentlich/LY120016.pdf
Sehr schön, danke. Das ist aber für den Rechtssuchenden keine Lösung: Wenn mir nur der Versand quittiert wird, weiss ich eben nicht, ob die Zustellung geklappt hat. Damit bleibt mir auch in Zürich nur die übliche Postaufgabe, wenn ich nicht darauf vertrauen will, der Eingang sei schon noch rechtzeitig erfolgt.
Könnte man nicht Abs. 4 zu Hilfe ziehen und dann einfach an eine Privasphere Adresse senden? St. Gallen und Thurgau benutzen Privasphere und dort wird immer die Eingangsbestätigung quittiert.
Wenn ich nun “versehentlich” die elektronischen Eingabe anstelle der Staatsanwaltschaft XX in Zürich an die Staatsanwaltschaft YY in St. Gallen richte, wäre dann dann nicht Abs. 4 anwendbar?
Doch, das müsste wohl gehen. Oder geht das nur, wenn der Absender Kunde von PrivatSphere ist?
Das geht auch ohne. SG und TG stellen Formular bereit für den elektronischen Versand. Formular ausfüllen, qualifiziert signiertes Dokument anfügen und absenden. Die Quittung kann dann sogleich selbst runtergeladen werden und wird auch nochmals an die angegebene Email zugesandt.
http://www.gerichte.sg.ch/home/dienstleistungen/elektronischer_rechtsverkehr/elektronischer_rechtsverkehr.html
http://www.staatsanwaltschaft.sg.ch/home/Elektronischer_Rechtsverkehr_Staatsanwaltschaft.html
http://www.gerichte.sg.ch/home/dienstleistungen/elektronischer_rechtsverkehr/elektronischer_rechtsverkehr1.html
http://www.gerichte.sg.ch/home/dienstleistungen/elektronischer_rechtsverkehr/elektronischer_rechtsverkehr0.html
http://www.erechtsverkehr.tg.ch/xml_124/internet/de/application/f12028.cfm
Die grundsätzlichen Überlegungen zum Thema sind in http://www.erv.arbeitsrechtler.ch/files/AwR_05-12_Chanson_ERV-Fristwahrung.pdf gut aufgearbeitet und Vertreter des Bundesamtes für Justiz wie auch des BGERs erachten diese Auslegung als korrekt.
Ob das Zürcher Obergericht dies in sein für die Modernisierung des Rechtsverkehrs kaum dienliche Urteil einbezogen hat, ist nicht sehr wahrscheinlich.
Wieso ist das Urteil nicht dienllich? Verstehe die Kritik nicht.
> nicht dienlich:
Wenn ein Anwalt auf der Sihlpost in Zürich eine Papier-Eingabe an ein Berner Gericht abgibt hat er seine Frist gewahrt.
In Analogie bedeutet das Urteil, dass die Frist nur gewahrt ist, wenn die elektronisches Eingabe vor Fristablauf auf der Berner Hauptpost angekommen ist.
Dies ist ein vom Gesetzgeber nicht vorgesehenes, zusätzliches Riskio für den Anwalt, das er erst noch nicht beeinflussen kann.
An sich ja völlig einverstanden. Aber die Analogie zur Papier-Eingabe wollte der Gesetzgeber doch offensichtlich nicht. Art. 91 Abs. 3 StPO verlangt doch ausdrücklich, dass der Empfang vom judex ad quem bzw. seinem Informatiksystem bestätigt worden ist, und dies vor Ablauf der Frist.
Hhhm, wenn man mit den Vertretern des BJ spricht, die die Gesetzes- und Verordnungstexte verfasst haben, war die Analogie (allenfalls mit weiteren e-bedingten Vereinfachungen) eigentlich schon die Absicht. Bitte den Artikel http://www.erv.arbeitsrechtler.ch/files/AwR_05-12_Chanson_ERV-Fristwahrung.pdf lesen!
Das mag ja alles sein, ändert aber nichts am klaren Wortlaut des Gesetzes.
kj: “Das mag ja alles sein…” – sagen Sie das *VOR* oder nach der Lektüre von AwR_05-12_Chanson_ERV-Fristwahrung.pdf ?
Vor und nach. Als Anwalt brauche ich Rechtssicherheit und kann nicht darauf vertrauen, dass eine Behörde einer in einem Aufsatz vertretenen Meinung (die ich durchaus teilen kann) folgt. Und nochmals: wenn ich den Gesetzestext lese, dann lese ich zwar Unsinn, aber eben gesetzlichen Unsinn. Der Wortlaut erscheint mir als klar. Davon abweichen kann man vielleicht wie im zitierten Aufsatz bei plattformübergreifenden Zustellungen. Wir bekämpfen das Problem, das der Gesetzgeber (oder allenfalls die Gerichtspraxis) lösen müsste.