Prozessrechtsverhältnis
Ein aktueller Entscheid des Bundesgerichts (BGer 6B_1085/2022 vom 20.12.2023) veranlasst mich, einmal mehr auf die vom Bundesgericht erfundene angebliche Bürgerpflicht hinzuweisen, dafür sorgen zu müssen, für die Strafbehörden jederzeit per Post erreichbar zu sein, sobald ein Prozessrechtsverhältnis begründet wurde.
Das Prozessrechtsverhältnis ermöglicht es zusammen mit den gesetzlichen Zustellungs- und Rückzugsfiktionen, beschuldigte Personen ohne Anhörung rechtskräftig zu verurteilen. Damit nimmt der “Rechtsstaat Schweiz” ganz bewusst strafrechtliche Fehlverurteilungen in Kauf bzw. fördert sie sogar. Solche Fehlurteile zeiht er einem fairen Verfahren vor. Hier die Zusammenfassung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung:
Die Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses verpflichtet die Parteien, sich nach Treu und Glauben zu verhalten und unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen behördliche Akten zugestellt werden können, welche das Verfahren betreffen (BGE 146 IV 30 E. 1.1.2; 141 II 429 E. 3.1; 138 III 225 E. 3.1; Urteile 6B_1057/2022 vom 30. März 2023 E. 1.1.; 6B_368/2022 vom 29. Juni 2022 E. 3; 6B_548/2022 vom 30. Mai 2022 E. 3.4; 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publiziert in: BGE 142 IV 286; je mit Hinweisen). Von einer verfahrensbeteiligten Person wird namentlich verlangt, dass sie für die Nachsendung ihrer an die bisherige Adresse gelangenden Korrespondenz besorgt ist und der Behörde gegebenenfalls längere Ortsabwesenheiten mitteilt oder eine Stellvertretung ernennt (E. 3).
Selbst wenn man ein solches Prozessrechtsverhältnis und die daraus fliessenden Pflichten anerkennen wollte, müsste man darüber nachdenken, was die angemessenen Folgen einer solchen Pflichtverletzung sind. Nach schweizerischem Recht besteht die Folge darin, dass sämtliche Verfahrensgarantien und sogar der sonst so hoch gehaltene Grundsatz der Wahrheitsfindung vollständig, ersatzlos und unwiederbringlich gestrichen werden. Wer seine Verurteilung auf dem Korrespondenzweg nicht ermöglicht, gilt als rechtskräftig verurteilt, egal ob schuldig oder unschuldig. Auch wer unschuldig ist, muss daher seine Verurteilung ermöglichen. Tut er es nicht, ist er rechtkräftig verurteilt.
Im vorliegenden Fall hatte die Vorinstanz übrigens angekündigt, sie werde im Beschwerdeverfahren auch gleich über die Fristwiederherstellung entscheiden, was sie dann aber unterlassen hat. Dabei ist sie nicht in Rechtsverweigerung verfallen, denn das Bundesgericht sagt, sie habe sich durchaus geäussert, wenn auch nur implizit:
Dies dahingehend, dass sie auf ihre prozessleitende Ankündigung – dass vorgesehen sei, über das bei der Staatsanwaltschaft hängige Gesuch um Fristwiederherstellung im bei ihr hängigen Beschwerdeverfahren zu entscheiden – zurückgekommen ist, und zwar mit der Begründung, dass solches nicht Gegenstand des bei ihr hängigen Beschwerdeverfahrens sei. Inwiefern sie damit gegen das Recht gemäss Art. 95 BGG verstösst respektive damit eine Rechtsverweigerung einhergeht, ist nicht ersichtlich (E. 5.3).