Prozessuale Regeln mit Schlagseite

In einem neuen Grundsatzentscheid bestätigt das Bundesgericht seine Rechtsprechung, wonach auf Teilnahme- und Konfrontationsrechte verzichtet werden kann, und zwar auch stillschweigend (BGE 6B_1320/2020 vom 12.01.2022).

Im vorliegenden Fall hatte der Beschwerdeführer bei den fraglichen Untersuchungshandlungen (Einvernahmen) keine Teilnahmerechte, weil er damals noch gar nicht tatverdächtig war. Daran änderte offenbar auch nichts, dass seine Verurteilung auch auf die Aussagen in diesen Einvernahmen stützte (wie das im vorliegenden Fall überhaupt sein konnte, erkenne ich aus dem Urteil nicht). Die Verteidigung hat in der Folge keine ausdrücklichen Wiederholungs- oder Konfrontationsanträge gestellt. Damit waren die Einvernahmen zuungunsten des Beschwerdeführers verwertbar:

Die Vorinstanz nimmt jedoch in zulässiger Weise einen Verzicht auf das Konfrontationsrecht an. Der Beschwerdeführer hätte spätestens im Berufungsverfahren ausdrücklich eine Wiederholung der streitigen Befragungen verlangen müssen (siehe E. 4.2.3 oben). Er behauptet nicht, entsprechende Beweisanträge gestellt zu haben, sondern führt lediglich aus, vor der Vorinstanz explizit nicht auf die Wiederholung unverwertbarer Beweisabnahmen verzichtet zu haben, wobei er einräumt, dass dies im Kontext der geltend gemachten ungenügenden Verteidigung geschehen sei. In diesen – in anderem Zusammenhang getätigten – generellen Ausführungen des Beschwerdeführers, welche keinerlei Bezug zu den an dieser Stelle genannten angeblich unverwertbaren Einvernahmen aufweisen und diese auch nicht konkret benennen, kann kein hinreichender Beweisantrag auf Wiederholung erblickt werden (siehe auch Urteil 6B_1196/2018 vom 6. März 2019 E. 3.1). [E. 4.4.2, Hervorhebungen durch mich].

Teilnahme- und Konfrontationsrechte sind nicht Selbstzweck. Sie machen letztlich nur deshalb Sinn, weil sie geeignet sind, die Wahrheitsfindung zu fördern. Die Aussagen müssen belastbar sein, was sie kaum sein können, wenn sie nicht vor Gericht erhoben und konfrontiert wurden. Umgekehrt soll “in dubio pro reo” nur zur Anwendung kommen, wenn das Gericht – notfalls von sich aus – alles gemacht hat, was ihm ein objektives Urteil ermöglicht. Ob die Ankläger Beweisanträge stellen und ob sie rechtzeitig gestellt wurden, interessiert insofern überhaupt nicht.