Pyrrhussieg vor Bundesgericht?
Das Appellationsgericht BS muss einen Wirtschaftsstraffall (ungetreue Geschäftsbesorgung, Geldwäscherei) aus mehreren Gründen neu beurteilen. Die Rechtsfehler, die ihm das Bundesgericht vorwirft sind ebenso erstaunlich wie das Fazit des Bundesgerichts, das mit Veruntreuung und Betrug Straftatbestände ins Spiel bringt, die zwar vom Sachverhalt her in der Anklage enthalten zu sein scheinen, für die aber eine Verurteilung weder beantragt noch erfolgt ist (BGer 6B_604/2022 vom 11.01.2024).
Die Verurteilungen wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung zerstört das Bundesgericht mit eher banalen Argumenten, die man im Basel aber offenbar nicht einmal gesehen hat:
Die Vorinstanz wirft den Beschwerdeführern im Zusammenhang mit dem Schuldspruch wegen mehrfacher ungetreuer Geschäftsbesorgung vor, sie hätten pflichtwidrig nicht im Interesse der D. Ltd. gehandelt und für diese mit den Geldern der Bank E. AG keinen Mehrwert geschaffen bzw. die Gelder teilweise für sich selbst verwendet, wozu sie auf die zu Art. 717 Abs. 1 OR ergangene Rechtsprechung verweist. Diese Argumentation greift bei einer ausländischen Briefkastengesellschaft ohne ersichtlichen Gesellschaftszweck zu kurz. Ob der Beschwerdeführer 1 als formelles Organ und der Beschwerdeführer 2 als faktisches Organ ihre Pflichten gegenüber der D. Ltd. verletzten, beurteilt sich grundsätzlich nach dem englischen Gesellschaftsrecht (vgl. Art. 154 i.V.m. Art. 155 IPRG). Dazu äussert sich die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid mit keinem Wort.
Die vorinstanzlichen Schuldsprüche wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung zum Nachteil der D. Ltd. verstossen bereits aus diesem Grund gegen Bundesrecht. Im Übrigen weist der Beschwerdeführer 2 zutreffend darauf hin, dass beispielsweise die Vergabe zinsloser Darlehen durch eine Aktiengesellschaft an nahestehende Personen (insb. Mitarbeiter) selbst nach schweizerischem Recht nicht zwingend als Pflichtverletzung zu qualifizieren ist (E. 6.3.1, Hervorhebungen durch mich).
Auch bei der Geldwäscherei lag das Appellationsgericht falsch:
Damit verstossen auch die Schuldsprüche wegen Geldwäscherei gegen Bundesrecht, da sich aus dem angefochtenen Entscheid nicht ergibt, weshalb die von den Versicherungsgesellschaften auf das Konto der D. Ltd. bei der Bank E. AG überwiesenen Gelder im Lichte der abstrakten doppelten Strafbarkeit aus einer qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung im Sinne von Art. 158 Ziff. 1 Abs. 3 StGB und folglich einem Verbrechen im Sinne von Art. 305 bis Ziff. 1 und Art. 10 Abs. 2 StGB stammen sollen.
Offenbleiben kann daher, ob in der Verpfändung von Vermögenswerten und/oder in der Verwendung des dadurch erlangten Kredits eine Geldwäschereihandlung im Sinne von Art. 305 bis Ziff. 1 StGB zu erblicken ist (E. 7.4).
Damit ist klar, dass die Schuldsprüche kassiert werden mussten. Doch für die Beschuldigten kommt es nun knüppeldick:
Die Vorinstanz hat im Rahmen der Neubeurteilung daher zu prüfen, ob sich die Beschwerdeführer des Betrugs, eventualiter der Veruntreuung oder subeventualiter der ungetreuen Geschäftsbesorgung zum Nachteil der beiden Versicherungsgesellschaften strafbar machten. Will das Gericht den Sachverhalt rechtlich anders würdigen als die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, so eröffnet es dies den anwesenden Parteien und gibt ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme (Art. 344 StPO). Da bereits die Anklage den Sachverhalt als ungetreue Geschäftsbesorgung zum Nachteil der D. Ltd. würdigt, hat die Vorinstanz den Beschwerdeführern in Anwendung von Art. 344 StPO bezüglich der möglichen neuen rechtlichen Würdigung rechtliches Gehör zu gewähren.
Hinzu kommt dass das Bundesgericht der Vorinstanz bereits auf den Weg gibt, wohin die Reise mit Betrug und Veruntreuung zu gehen hat. Ich verstehe es nicht.
Gemäss BGer wird aus der Hintergrundgeschichte plötzlich das wahre Delikt. Auf Seiten der Geschädigten und damit der potentiellen PK kommt es dabei zu einem Parteiwechsel. Auch die Frage der Zuständigkeit müsste man neu prüfen. Das alles über Art. 344 StPO?!
Und wie sieht es mit der Verjährung aus? Zu diesem Sachverhaltskomplex bzw. zu diesem Tatvorwurf erging nie ein erstinstanzliches Urteil.
Ich bin jedenfalls gespannt, ob das App-Gericht BS den Mut hat, den Fall angesichts des in der Gesamtschau unhaltbaren Bundesgerichtsurteils einfach zu beerdigen.
Nach nochmaliger Lektüre des Entscheids geht mir langsam ein Licht auf. Wie ich es nunmehr verstehe, soll der effektiv angeklagte Tatkomplex Geldwäscherei, zu welchem gemäss BGer in der Anklageschrift auch Elemente eines Betruges geschildert werden, gestützt auf Art. 344 StPO von der Vorinstanz auch noch unter dem Aspekt des Betruges geprüft werden. Was mir nicht mehr so abwegig erscheint, wie ich erst gemeint hatte.
Ich sehe aber noch ein gar anderes Problem am bundesgerichtlichen Entscheid. Der Primärantrag war sicher, dass ein Freispruch gefordert wurde. Das BGer ist zum Schluss gelangt, dass die beiden Schuldsprüche nicht haltbar waren. Müsste es dann nicht einfach den Primärantrag gutheissen? Bleibt da effektiv noch Raum für eine Rückweisung? Bekanntlich betont das BGer gerne, dass die strafrechtliche Beschwerde ein reformatorisches Rechtsmittel sei, weshalb als Primärbegehren ein reformatorisches Begehren gestellt werden müsse.
@Markus Trottmann: Fragen über Fragen. Ich glaube aber nicht, dass es hätte freisprechen müssen. Der Sachverhalt ist ja für das Bundesgericht noch nicht abschliessend beurteilt. Der Fall zeigt, dass man eigentlich mindestens auch die Beschwerdeschriften publizieren müsste.
@ kj. Nachher gebe ich Ruhe. Wie Dein erster Spontankommentar gezeigt hat, bin nicht nur ich über diesen Entscheid etwas irritiert. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, diese Konstellation bei einem Bundesgerichtsentscheid schon mal gesehen zu haben. Was aber natürlich nicht heisst, dass sie rechtlich nicht möglich ist. Der Entscheid wirft u.a. sowohl hinsichtlich des Verfahrens vor Bundesgericht, als auch hinsichtlich der Möglichkeiten des Berufungsgerichts zentrale Fragen auf. Begrüssenswert wäre es, wenn in der Literatur dieser Entscheid diskutiert würde. Denn sollte dieser Entscheid des BGer in keinem Punkt zu beanstanden sein, würde er neue bzw. weitere Fallstricke im Rechtsmittelverfahren (Berufungsverfahren und strafrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht) aufzeigen.
“Hinzu kommt dass das Bundesgericht der Vorinstanz bereits auf den Weg gibt, wohin die Reise mit Betrug und Veruntreuung zu gehen hat. Ich verstehe es nicht.” Was ist daran nicht zu verstehen? Das BGer gibt den Weg vor, weil es – wie so oft – der Ansicht ist, dass auf jeden Fall eine Verurteilung zu erfolgen hat, wenn der Anklagesachverhalt eine entsprechende Qualifikation zulässt. Passt!
@pk: Sie wissen halt mehr als ich.
Eine grosse Erkenntnis hat mir dieser Fall eingebracht: Gemäss BSK StPO – Stefan Heimgartner/Marcel Alexander Niggli Art. 325 StPO N 44 ist es (so wie ich die dortigen Ausführungen verstehe) unter Vorbehalt von N 44a zulässig, dass in der Anklageschrift lediglich die Elemente eines alternativen Straftatbestandes geschildert werden, ohne dass explizit eine Alternativ- und Eventualanklage erhoben wird. Dann kann offenbar die stillschweigende Alternativ- oder Eventualanklage über Art. 344 StPO belebt werden. Erstaunlich.