Qualität der Strafrechtsprechung
Man könnte die Qualität der schweizerischen Strafrechtsprechung an der (Miss-)erfolgsquote von Beschwerden messen, die das Bundesgericht entscheidet. Heute hat das Bundesgericht beispielsweise 16 Entscheide mit Bezug zum Strafrecht ins Internet gestellt. Sämtliche Beschwerden der betroffenen Bürger wurden abgewiesen, soweit überhaupt darauf einzutreten war. Teilweise erfolgreich war die einzige Beschwerde gegen einen Bürger, der gemäss Staatsanwaltschaft des Kantons Tessin nicht hart genug bestraft wurde (BGer 6B_745/2013 vom 12.06.2013).
Hier die übrigen Urteile:
- 23.05.2013 1C_513/2013 Strafprozess Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung
- 10.06.2013 6B_300/2012 Droit pénal (en général) Indemnité
- 10.06.2013 6B_504/2012 StraftatenVergewaltigung, sexuelle Nötigung usw.; Beweiswürdigung, Willkür
- 10.06.2013 6B_98/2013 StraftatenQualifizierte einfache Körperverletzung, Angriff; Mittäterschaft; Strafzumessung
- 10.06.2013 6B_99/2013 Straftaten Qualifizierte einfache Körperverletzung; Angriff;
- 11.06.2013 6B_259/2013 Procédure pénale Droit d’être entendu, fixation de la peine, principe d’égalité de traitement
- 11.06.2013 6B_347/2013 Procédure pénale Décision de non-entrée en matière
- 11.06.2013 6B_386/2013 Droit pénal (en général) Irrecevabilité formelle du recours en matière pénale
- 13.06.2013 6B_17/2013 Straftaten Mehrfache Urkundenfälschung im Amt; willkürliche Beweiswürdigung, rechtliches Gehör
- 13.06.2013 6B_218/2013 Infractions Usurpation de fonction (art. 287 CP); arbitraire
- 13.06.2013 6B_266/2013 Strafprozess Einstellungsverfügung; Willkür
- 13.06.2013 6B_453/2013 Strafprozess Verlegung der Untersuchungskosten
- 13.06.2013 6B_652/2012 Strafrecht (allgemein)Strafzumessung (mehrfache qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz); Rechtsgleichheit
- 13.06.2013 6B_748/2012 StraftatenMehrfache Urkundenfälschung, mehrfache Erschleichung einer falschen Beurkundung etc.; Willkür etc.
- 14.06.2013 1B_192/2013 Procédure pénale détention provisoire
Dann ist die Qualität bei den unteren Instanzen wohl super…?
Die bundesgerichtliche Abweisungsquote von Beschwerden der betroffenen Bürgern neigt wohl gegen 100%, dafür werden die staatsanwaltschaftlichen Beschwerden gegen die betroffenen Bürger meist gutgeheissen. Sind wir Strafverteidiger einfach dümmer als die Staatsanwälte? Es scheint so.
Wenn die bundesgerichtliche Rechtsprechung wenigstens brauchbare und verlässliche „Antworten“ auf gesetzliche Unklarheiten bzw. offene Fragen (materieller und v. a. prozessualer Natur) geben würde, wäre dies ja noch hilfreich. Dies ist m.E. aber mitnichten der Fall (aber wahrscheinlich bin ich eben zu dumm).
Viele in Verteidigerbeschwerden aufgeworfenen Fragen und Probleme wären es wert, vom Bundesgericht vertieft materiell behandelt bzw. geklärt zu werden. Die meist formelhaften „Begründungen“, welche zur Abweisung / zum Nichteintreten führen, sind dazu aber nicht geeignet und für die betroffenen Bürger (und Verteidiger) einfach nur ein Riesenfrust (sofern, die Erwägungen für die Betroffenen überhaupt verständlich sind). Und wenn sich das BGer einmal mit einer offenen Frage auseinandersetzt, fällt dann die Anwort (meist) zu Gunsten der Strafverfolger aus.
Die einzige verlässliche Konstante der bundesgerichtlichen Praxis liegt in der Tatsache, dass Beschwerden praktisch aussichtslos sind und die Strafverfolger tun können, was sie wollen (das ist jetzt ein wenig übertrieben).
Das Bundesgericht ist als Höchstgericht einfach falsch konstruiert. Wenn etwa die Strafrechtliche Abteilung allein weit über 1,000 Beschwerden pro Jahr erledigt, dann kann eine vertiefte Auseinandersetzung mit Rechtsfragen gar nicht stattfinden. Dagegen gibt es m.E. nur eins: Das Bundesgericht entscheidet selbst, welche Fälle es annehmen will, verhandelt diese dann aber öffentlich. Alle. Ausnahmslos. Öffentlich müssten natürlich auch die Eingaben der Parteien sein.
Die hohe Anzahl von Beschwerden mag für die Formelhaftigkeit vieler Begründungen eine gewisse „Rechtfertigung“ sein, erkläret aber nicht die tendenziös strafverfolgungsfreundliche Rechtsprechung des BGer. Die Strafjustiz als „Fiebermesser der Rechtsstaatlichkeit“ und Mittel zur staatlichen Machtbeschränkung hat mit dem Segen des BGer weitgehend ausgedient und verkommt zur Verwaltungstätigkeit (Kafka lässt grüssen).
Als Facharzt für Demokratie und andere Formen von Bananenrepubliken halte ich es für meine Pflicht, meinen Tomatensaft dazu zu geben:
Dass es zu viele Fälle gibt, ist in der Tat kein Rechtfertigungsgrund für schwache und falsche Urteile.
Fakt ist: In USA sind es nur 9 Richter am Supreme Court. Und in DE ist das Bundesverfassungsgericht für rund 10 mal soviele Einwohner zuständig (wie lösen die das)?
Ganz zu schweigen vom Europäischen Masthof für Schweinerechte!
Zunächst mal ist festzuhalten, dass bei einer Überlastung grundsätzlich mehr Personal anzustellen ist. Ausser man lebt in Horriwil. Dort ist aufgrund eines Streits über die richtige Grösse der Gemeindeverwaltung die gesamte Exekutive zurück getreten.
Immerhin ging es da um die Frage, ob das 90%-Pensum der Gemeindeverwalterin auf 70% gekürzt werden könne und müsse.
Wieso also stellt das Bundesgericht nicht einfach mehr Leute an? Faktisch müsste man die Richterzahlen verdoppeln.
Die Qualität würde kaum sinken. Das ist bei der heutigen Fehlerquote des Bundesgerichts gar nicht möglich. Ich gehe davon aus, dass mindestens 30% aller Beschwerden inhaltlich begründet sind und mindestens teilweise gut zu heissen wären.
Bei einer realen Gutheissungsquote von 11% sind das also 19 % aller Fälle, wo das Bundesgericht schlicht versagt und sich strafbar macht.
Nicht dass es besonders überraschend wäre: Um so mehr Einblick ich in die Strafverfolgung oder auch in die Welte eines Polizei-kaders erhalte, um so mehr sehe ich, dass dort einfach etwa ein Drittel aller Leute die Sozialkompetenz und den Reifegrad eines 10-jährigen Jungen haben.
Objektiv gesehen müsste man untersuchen, ob nicht das Bundesgericht sich strafbar macht, wenn es Beschwerden willkürlich abweist und ob da nicht allenfalls eine „kriminelle Organisation“, wenn nicht gar eine „terroristische Organisation“ vorliegt.
Die Fragen sind nun:
Wie machen es andere Staaten?
Spricht etwas dagegen, einfach die Richterzahl (und damit die Zahl der Abtelungen) zu verdoppeln? (Man hättte zwar eine Überkapazität, aber eben, man könnte auch die wartenden Fälle endlcih abarbeiten).
Wenn man die Zulassung der beschwerden beschränken will, stellt sich doch die Frage, wie man die Qualität auf dem (tiefen) Niveau hält bzw steigert.
Eigentlich ist es klar: Man müsste einen Mechanismus entwickeln, mittels dem klare Fälle, über die schon entschieden wurde, rascher behandelt würden.
Beispiel:
Es könnte grundsätzlich immer ein Einzelrichter einen Fall erhalten. Dieser hat 2 Möglichkeiten: Er heisst die Beschwerde grösstenteils gut. Anderenfalls überweist er den Fall einer 5er-Kammer.
Wenn nur 10% Gutheissungen sind, heisst das, dass diese 10% künftig blitzartig erledigt sind.
Abgesehen davon finde ich die Gewaltenteilung ein Witz: Die stärksten 3 Parteien im Nationalrat sind zugleich die stärksten Parteien im Ständerat, im Bundesrat und am Bundesgericht.
Das ist einer Demokratie unwürdig.
Frage mich grad was das dann bedeutet wenn bei einer solchen Untersuchung festgestellt wird, dass sich das Bundesgericht strafbar gemacht hat, und es aufgrund der merkwürdigen Gewaltenteilungssituation einer “kriminelle Organisation” gleichkommt?
Der Sauberkeit halber müssten dann ja sämtliche Fälle die während dieser kriminellen Ära beurteilt wurden erneut beurteilt werden oder? Ansonsten wäre es wohl besser wenn man das ganze Rechtsystem einfach vergisst.
Allgemein ist es ja jetzt schon ein bisschen so, das es mit der Rechtsicherheit nicht so weit her geholt ist. Mag sein das es bei mir noch andere Einflüsse gibt die dazu geführt haben, aber ich höre es auch von anderen, dass die Rechtssicherheit irgendwo auf der Strecke liegen geblieben ist und nicht mehr wirklich existiert… Was für eine Demokratie sicher auch nicht so toll ist… Und ohnehin, haben wir den noch eine Demokratie oder ist es schon was anderes?
Ich meine wenn das oberste Gericht bereits faul ist und einer kriminellen Organisation gleichkommt, dann wird es bei der Politik auch nicht besser oder noch schlimmer sein. Dann wäre das BG nur noch so eine Art Scheindemokratieaufrechtserhaltungsinstitution. Wenn dem so wäre bräuchte es bisschen mehr als Personalaufstockung, da wäre dann was radikaleres angesagt!
Die Frage ist interessant, aber mehr als akademisch. Nur weil man mit einzelnen Entscheiden eines Gerichts nicht einverstanden ist, muss man ja nicht gleich auf kriminelle Machenschaften schliessen. Das Bundesgericht hat mit Sicherheit kein Interesse daran, bewusst Unrecht zu sprechen. Dass es bei x-tausend Entscheiden pro Jahr mal falsch liegen mag (was ich zwar glaube, aber was noch lange nicht gesichert ist) wäre ganz einfach normal.
Bei der Rechtssicherheit muss primär der Gesetzgeber über die Bücher. Es ist heute nicht mehr möglich, den Überblick zu behalten. Wer kann denn angesichts der Rechtsetzungswut heute noch wissen, was Recht ist.
Das Problem sind sicher nicht die „Fehlurteile“. Dasselbe Urteil mag für die einen ein Fehlurteil und für die anderen gerecht sein. Damit kann man / muss man leben. Auch halte ich das BG nicht für eine kriminelle Organisation, welches bewusst falsche Urteile fällt. Ebenfalls richtig finde ich, wenn das BG grundsätzlich nur zurückhaltend kantonale Urteile „korrigiert“ (diese Zurückhaltung sollte aber auch gelten, wenn das kantonale Gericht gegen die Strafverfolger entscheidet).
Die Krux liegt in der (zumindest für mich) nicht mehr wirklich erkennbaren Kohärenz und Rechtssicherheit der BG-Rechtssprechung. Gerade wegen der hemmungslosen Rechtssetzungswut des Gesetzgebers müsste das höchste Gericht soweit möglich Urteile fällen, aus denen sich für die Rechtsunterworfenen Orientierungshilfen betreffend der in Frage stehenden Rechtsfrage – eben Rechtssicherheit – ableiten lassen. Dies könnte (davon bin ich überzeugt) das BG vermehrt leisten, als es derzeit tut.
Es mag ja sein, dass es heute häufiger Gesetzesänderungen gibt und eine übertriebene Ungeduld des Gesetzgebers vorliegt (es scheint mir jedenfalls so), aber war es denn früher wirklich besser mit der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit? Ich kann es – auch aufgrund meines noch halbwegs jugendlichen Alters – nicht abschliessend beurteilen, aber da es sich bei der Rechtswissenschaft nicht um eine exakte Wissenschaft handelt und die Entscheide schon immer von einzelnen Richter/innen sprich Menschen abgehangen haben, bezweifle ich etwas, dass es früher besser war.
Tja, und als kriminelle Organisation kann man das Bundesgericht wohl wirklich nicht ernsthaft bezeichnen. Dass manche Entscheide nur auf Willkür hin geprüft werden, findet durchaus eine Grundlage im Gesetz – wenn der Gesetzgeber ein anderes Bundesgericht will, hat er es durchaus in der Hand, dafür zu sorgen. Aber solche Gesetzesanpassungen sind möglicherweise zu wenig interessant für die Parlamentarier/innen.