Raser und Geldstrafen
Per 1. Oktober 2023 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eingeführt, Raserdelikte auch mit Geldstrafen zu ahnden,
wenn [der Täter] nicht innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Tat wegen eines Verbrechens oder Vergehens im Strassenverkehr mit ernstlicher Gefahr für die Sicherheit anderer, respektive mit Verletzung oder Tötung anderer verurteilt wurde (Art. 90 Abs. 3ter SVG).
Auf eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft GE hat das Bundesgericht nun entschieden, dass die 10-Jahresfrist nicht erst ab Erwerb des Führerausweises zu laufen beginnt (BGE 6B_1372/2023 vom 13.11.2024, Publikation in der AS vorgesehen, Medienmitteilung).
Die Stiftung RoadCross Schweiz, die 2010 die Volksinitiative «Schutz vor Rasern» lanciert hatte, kritisiert den BGE als «Freifahrtschein für Raserei – und das ausgerechnet für jene Altersgruppe, die statistisch am häufigsten durch Raserdelikte auffällt.»
https://www.srf.ch/news/schweiz/bundesgericht-milde-strafen-fuer-rasende-neulenker
Vgl. die Statistik des BfS «Schwerverunfallte im Strassenverkehr nach Alter und Geschlecht, 2023»:
https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/mobilitaet-verkehr/unfaelle-umweltauswirkungen/verkehrsunfaelle/strassenverkehr.assetdetail.31686870.html
„Freifahrtsschein“ ist es ja schon nicht. Bestraft werden sie ja trotzdem.
Die bisherige Rechtsprechung hat bei Raserdelikten bei Ersttätern so oder so meist noch Strafen ausgefällt, bei denen der bedingte Vollzug noch möglich war. Bei der Gesetzeslage scheint dieser BGE die einzige logisch-sinnvolle Konsequenz. Ob man das Gesetz gut findet, ist dann wiederum eine rein politische Frage.
@Thomas Lieven: Danke dafür, sehe es genauso.
@Thomas Lieven: Die Statistik der nächsten Jahre wird zeigen, ob die Geldstrafe – vor allem, wenn sie nur bedingt ausgesprochen wird (wie vorliegend, Sachverhalt B.) -, allgemein und auf den Täter abschreckend wirkt.
Eine unbedingte Freiheitsstrafe müssen sowohl Bedürftige als auch Wohlhabende absitzen, was insofern Rechtsgleichheit schafft.
(Unbedingte) Geldstrafen wirken auf Täter mit wohlhabendem Umfeld schwächer – wenn z.B. Mama und Papa dafür aufkommen (können): Papa bezahlt Miete und einen Teil der Lebenshaltungskosten des hier beurteilten Rasers (23- oder 24-jährig) und Tennislehrers (1’500/Mt., Sachverhalt B.b.).
Das wissen sowohl das Eidg. Parlament (bei der Gesetzesänderung) als auch das Bundesgericht …
Ausserdem eilt dem Bundesgericht nicht der Ruf voraus, strikt nach Gesetzeslage logisch-sinnvoll zu entscheiden.
Zur Sache des „Rasers“ sei erinnert an: Marcel Niggli, Die Aufklärung ist vorbei, https://www.contralegem.ch/2021/11/17/editorial-2021-3/#top
„Das ausserordentlich Beunruhigende an dieser Entwicklung wird am Beispiel des Strafrechts offenbar: Knüpft ein Vorwurf nicht an der Tat, sondern am Täter an, nennen wir das nicht Tat-, sondern Täterstrafrecht, ihre entsprechen nicht Tat-, sondern Lebensführungsschuld. Die sog. Kieler Schule hat zu Beginn der 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts genau dies propagiert, indem sie insbesondere gegen den Tatbestand, der eben das fragliche Verhalten umschreibt, Sturm gelaufen ist. Dass sich im deutschen Strafgesetzbuch noch nationalsozialistische Formulierungen finden (vgl. § 211 Abs. 2 D-StGB: «Mörder ist, wer…») ist historisch zu erklären und auch der Reaktion auf das nationalsozialistische Regime geschuldet. Dass aber derartige Formulierungen auch in der Schweiz Verwendung finden, ist doch eher verstörend. So hatte etwa die sog. «Raser-Initiative» im Jahr 2010 (BBl 2010 2639) eine Ergänzung der Verfassung gefordert (Art. 123c Schutz vor Raserinnen und Rasern), wonach «als Raserin oder Raser mit Freiheitsstrafe» zu bestrafen sei (Abs. 1), bei Tod oder Körperverletzung anderer «die Raserin oder der Raser» höher bestraft sein sollten (Abs. 2), die Fahrzeuge «von Raserinnen und Rasern» eingezogen würden (Abs. 3), die «Führerausweise von Raserinnen und Rasern» entzogen würden (Abs. 4) und diese Führerausweise «einer Raserin oder einem Raser» erst nach bestimmten Voraussetzungen wieder erteilt würden (Abs. 5). Die Verwendung des nationalsozialistischen, auf den Täter und nicht die Tat fokussierten Vokabulars war also zweifellos kein Versehen, sondern bewusste Brandmarkung. Denn die Formulierung «wer …, wird mit … bestraft» gewinnt natürlich nichts an definitorischem Gehalt, wenn sie ergänzt wird nach dem Modell «wer …, wird als Raser mit … bestraft», überhaupt nichts, ausser eben der Brandmarkung. Diese Versessenheit auf die Brandmarkung der Täter mutet umso seltsamer an, als dass zu den namentlich genannten Urhebern u.a. die Nationalräte Ruth Humbel, Daniel Jositsch, Philipp Müller und Luc Recordon gehörten, was zumindest bei einem Strafrechtsprofessor einigermassen irritiert. Die Initiative ist inzwischen, obwohl zurückgezogen, praktisch tale quale Gesetz geworden, wenn auch glücklicherweise ohne die Nazi-Formulierungen. Nichtsdestotrotz ist noch im Jahr 2014 eine Dissertation mit dieser zweifellos nationalsozialistischen Wortwahl erschienen («Der Raser im Strafrecht»).“