Fehlgeleitetes Bundesgericht?

In BGer 6B_430/2007 vom 17.03.2008 kassiert das Bundesgericht die Verurteilung eines Sozialpädagogen wegen Freiheitsberaubung (Art. 183 StGB). Er hatte zusammen mit seiner Ehefrau eine damals 17-Jährige (Beschwerdegegnerin) gegen ihren Willen – aber mit Zustimmung ihres Beistands – im Auto zu einer Pflegefamilie geführt. Auf der Fahrt hatte die Beschwerdegegnerin zweimal versucht, auszusteigen. Der Beschwerdeführer zog sie jeweils wieder zurück ins Fahrzeug. Durch die Auseinandersetzungen zog sich die Beschwerdegegnerin eine grosse Hautschürfung an der Halsbasis zu.

Den Schuldspruch hatte die Vorinstanz wie folgt begründet:

Die Vorinstanz hat den Tatbestand der Freiheitsberaubung mit der Begründung bejaht, der Beschwerdeführer habe vorsätzlich die Fortbewegungsfreiheit der Beschwerdegegnerin während der rund eine Stunde dauernden Autofahrt aufgehoben. Um den Tatbestand gemäss Art. 183 StGB auszuschliessen, käme namentlich der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung des zuständigen Beistands in Betracht. Dieser habe zwar der Verbringung der Beschwerdegegnerin nach Kirchberg, nicht jedoch der Zwangsanwendung zugestimmt. Vor dem Einsatz von Gewalt hätte der Beschwerdeführer zwingend mit dem Beistand Rücksprache nehmen müssen, was auch ohne Weiteres möglich gewesen wäre. Im Übrigen hätte der Beschwerdeführer die “Übung” abbrechen müssen, als die Situation im Auto eskaliert sei (E. 5.2, Hervorhebungen durch mich).

M.E. verirrt sich das Bundesgericht mit seiner Begründung vollständig. Es prüft, ob der Beistand zur Anordnung der Umplatzierung in eine Pflegefamilie (und damit zur rechtsgültigen Einwilligung) zuständig war, was ja aber gerade nicht der Grund für die Verurteilung war.

Zuständig zur Abänderung der rechtskräftigen Heimeinweisung der Beschwerdegegnerin bzw. zur Anordnung der Umplatzierung wäre vielmehr der Gemeinderat als Vormundschaftsbehörde am Wohnsitz der Beschwerdegegnerin respektive allenfalls die Sozialvorsteherin oder der Sozialvorsteher gewesen. Der Beistand konnte daher mangels Zuständigkeit nicht rechtsgültig in die Versetzung der Beschwerdegegnerin nach Kirchberg einwilligen (E. 5.4.3).

Das Bundesgericht billigt dann dem Beschwerdeführer einen Irrtum über die vormundschaftsrechtliche Zuständigkeitsordnung zu und schliesst auf indirekten Verbotsirrtum (Art. 21 StGB):

Vorliegend wähnte der Beschwerdeführer somit den Beistand fälschlicherweise für befugt, den Transport der Beschwerdegegnerin nach Kirchberg anzuordnen. Er irrte mithin über die geltende Zuständigkeitsordnung. Er verkannte insoweit die Grenzen des Rechtfertigungsgrunds der stellvertretenden Einwilligung, indem er unzutreffenderweise nicht nur die Vormundschaftsbehörde, sondern auch den Beistand als zur Erteilung der Einwilligung berechtigt ansah. Der Beschwerdeführer unterlag daher im Ergebnis einem sog. indirekten Verbotsirrtum i.S.v. Art. 21 StGB (vgl. hierzu Guido Jenny, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, 2. Aufl. 2007, Art. 21 N. 6 ff.). Gemäss dieser Bestimmung mit der Marginalie “Irrtum über die Rechtswidrigkeit” handelt nicht schuldhaft, wer bei Begehung der Tat nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält. War der Irrtum vermeidbar, so mildert das Gericht die Strafe (E. 5.5).

Die Sache geht zurück an die Vorinstanz. Diese wird gemäss Bundesgericht die Vermeidbarkeit des Irrtums zu prüfen haben, wozu sie im ersten Entscheid keinen Anlass hatte, weil sie die Zuständigkeit des Beistands im Gegensatz zum Bundesgericht ja bejaht hatte. Gemäss Bundesgericht sei entscheidend, 

ob sich auch ein gewissenhafter Mensch in die Irre hätte führen lassen, oder aber der Beschwerdeführer in seiner Funktion als Heimleiter hinreichend Anlass gehabt hätte, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens – d.h. des Transports der Beschwerdegegnerin nach Kirchberg – zu erkennen respektive in Erfahrung zu bringen. Stuft die Vorinstanz bei ihrer Neubeurteilung den indirekten Verbotsirrtum des Beschwerdeführers als unvermeidbar ein, wird sie ihn vom Tatbestand der Freiheitsberaubung freizusprechen haben. Qualifiziert sie den Irrtum hingegen als vermeidbar, hat eine Strafmilderung zu erfolgen (E. 5.5).

Falsch! Für die Vorinstanz war nicht die Einwilligung in die Umplatzierung ausschlaggebend, sondern die Einwilligung in die Zwangsanwendung. Dazu äussert sich das Bundesgericht nicht. Seine Ausführungen über den indirekten Verbotsirrtum sind wohl interessant, aber einfach irrelevant.