Rechtsanwendung von Amtes wegen!

Im Kanton Thurgau ist ein Erpresser verurteilt worden, der von einem Advokaturbüro wegen angeblicher Berufsgeheimnisverletzung CHF 350,000.00 innert Monatsfrist verlangt hatte. Dafür wurde er wegen versuchter räuberischer Erpressung verurteilt (Art. 156 Ziff. 3 StGB). Vor Bundesgericht verlangte der Beschuldigte einen Freispruch. Das Bundesgericht kommt nun aber zum Schluss, dass sowohl der Beschwerdeführer als auch die Vorinstanz falsch liegen. Die Verurteilung wegen versuchter Erpressung (die es so ja so gar nicht erfolgte) verletze zwar kein Bundesrecht, diejenige wegen versuchter räuberischer Erpressung hingegen schon (BGer 6B_1082/2013 vom 14.07.2014):

Soweit die Vorinstanz den Beschwerdeführer aber wegen der angedrohten ernstlichen Nachteile der versuchten räuberischen Erpressung schuldig spricht, verstösst sie gegen Bundesrecht. Die Androhung ernstlicher Nachteile reicht für eine solche Qualifikation nicht aus. Zudem unterlässt es die Vorinstanz zu prüfen, ob die vom Beschwerdeführer angedrohte Gewalt gegen Leib und Leben gegenwärtig im Sinne von Art. 156 Ziff. 3 StGB ist. In seinem Schreiben von Ende März setzt er den Adressaten eine Zahlungsfrist von über einem Monat. Die im Falle eines Zahlungsverzugs angedrohte Gewalt ist somit nicht unmittelbar. Indem die Vorinstanz den Beschwerdeführer der versuchten qualifizierten Erpressung schuldig spricht, verletzt sie Bundesrecht (E. 2.5).

Dank der grosszügigen Zahlungsfrist kommt der Beschwerdeführer somit in den Genuss des deutlich tieferen Strafrahmens von Art. 156 Ziff. 1 StGB. Prozessual griff das Bundesgericht dabei übrigens in die Trickkiste des BGG:

Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist nicht an die Begründung der Parteien gebunden und kann die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder den Entscheid mit einer Begründung bestätigen, die von jener der Vorinstanz abweicht (BGE 138 II 331 E. 1.3 mit Hinweis). Unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht prüft es – vorbehältlich offensichtlicher Fehler – nur die in seinem Verfahren geltend gemachten Rechtswidrigkeiten (BGE 135 II 384 E. 2.2.1) [E. 2.3.4].

Und wo war nun die Rechtswidrigkeit oder der offensichtliche Fehler? Jedenfalls weist das Bundesgericht die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück, der ja nun aber lediglich die „Variante“ Verurteilung wegen versuchter (unqualifizierte) Erpressung bleibt.

P.S. Eigentlich ein Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: „Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.“ Immer wenn er auftaucht (sich das Bundesgericht also gleichsam selbst daran erinnert, das Recht nicht nur einfach so, sondern von Amtes wegen anzuwenden) lohnt es sich, das Urteil etwas genauer anzusehen.