Rechtskräftig verurteilt – auch ohne Kenntnis des Urteils
In Fünferbesetzung hat das Bundesgericht eine Beschwerde abgewiesen, bei der es – einmal mehr – um die Frage der Zustellung eines Strafbefehls ging (BGer 6B_753/2018 vom 13.02.2019).
Der Beschwerdeführer hatte geltend gemacht, den per Einschreiben zugestellten Strafbefehl nicht erhalten zu haben. Als er ihn dann per A-Post erhalten habe, habe er Einsprache erhoben. Für das Bundesgericht war aber die erste Zustellung massgeblich. Der Beschwerdeführer gilt somit als rechtskräftig verurteilt, weil er nicht beweisen konnte, dass er das Einschreiben nicht erhalten hat:
Abgesehen davon verkennt der Beschwerdeführer, dass die immer bestehende Möglichkeit von Fehlern bei der Poststelle für die Widerlegung der Vermutung der korrekten Avisierung im Briefkasten nicht genügt. Es müssen vielmehr konkrete Anzeichen für einen Fehler vorhanden sein. Dass und inwiefern die Vorinstanz in Willkür verfallen sein könnte, indem sie solche konkreten Anhaltspunkte für einen Fehler bei der Zustellung des Strafbefehls vom 13. Dezember 2017 bzw. der Abholungseinladung verneinte, legt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde jedoch weder dar noch ist solches ersichtlich.
Auch der von ihm angeführte Umstand, er habe nach Erhalt des am 15. Januar 2018 durch die Staatsanwaltschaft erneut verschickten Strafbefehls unverzüglich reagiert und Einsprache erhoben, kann für sich nicht als Indiz für eine fehlerhafte Zustellung des früher per Einschreiben versandten Strafbefehls dienen und vermag daher die Vermutung der ordnungsgemässen Zustellung ebenfalls nicht umzustossen (E. 5).
Was das Bundesgericht verlangt, ist nicht erfüllbar. Wie soll man “konkrete Anzeichen” für einen Fehler nennen, den man ja gerade wegen des Fehlers nicht bemerkt? Oder anders: ist die Behauptung der Nichtzustellung kein konkretes Anzeichen dafür, dass der Strafbefehl nicht zugestellt wurde? Und wieso um Himmels Willen stellt die Staatsanwaltschaft den Strafbefehl nochmals per A-Post zu, wenn angeblich das Einschreiben schon zugestellt war?
Das Bundesgericht hat es verpasst, ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit in das Strafbefehlsverfahren zurückzubringen. Es nimmt im Ergebnis sehenden Auges in Kauf, dass Beschuldigte allein deshalb unschuldig verurteilt werden, weil ein nicht beweisbarer Zustellungsfehler passiert.
Guten Tag Herr Jeker
Ich schätze Ihren Blog, vielen Dank dafür. Aber in letzter Zeit sind Sie m.E. zu oft und ohne handfeste Gründe zu negativ gegenüber dem BGer eingestellt. Hier bspw. scheinen Sie die Figur der Zustellfiktion nach erfolgter Avisierung durch die Post – –) track&trace – zu verkennen.
Kollegiale Grüsse P.K.
@P.K. Danke für den Hinweis. Zumindest in diesem Fall war ich ja aber offenbar nicht ganz allein mit der Kritik.
Ich habe in den letzten 3 Jahren 3 „Abholungsanzeigen“ von meinen Nachbarn in meinem Briefkasten erhalten: Bekannte erzählen mir ähnliche Geschichten. Ich denke die Zustellung sollte wie in anderen Ländern ohne funktionierendes Postsystem gemacht werden. Also durch einen Weibel oder andere Wege.
Ich wollte mal einen Einschreibebrief bei der Post abholen. Aber bei uns gibt es halt nur den Volgladen. Die konnten den Einschreibebrief nicht mehr finden. Ich weiss bis heute nicht um was es sich gehandelt hat. Unsere Bananen Justiz hat bis heute nicht gemerkt, dass Post heute nicht mehr wie früher ist. Heute verwaltet eine einfache Verkäuferin oder Lehrling die eingeschriebenen Briefe. Bis das der Gesetzgeber oder Richter mal zur Kenntnis nehmen dauert das bestimmt nochmals 20 Jahre.