Rechtsmissbräuchliche Verteidigung?
Ein amtlich verteidigter Beschuldigter hat sich erfrecht, in einem Berufungsverfahren eine Eingabe zu machen, welche das Berufungsgericht zurückgeschickt hat. Dies hat er vor Bundesgericht erfolglos als unzulässig gerügt (BGer 6B_1270/2015 vom 14.06.2016).
Zum Sachverhalt gemäss Bundesgerichtsentscheid:
Der Beschwerdeführer reichte – nachdem sein amtlicher Verteidiger am 6. November 2014 Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts vom 28. Oktober 2014 erklärt [recte wohl: angemeldet] hatte – am 25. November 2014 bei der Vorinstanz eine persönliche Eingabe ein, welche er mit „Berufungserklärung & Einsprache gegen Bezirksgerichtsurteil […]“ betitelte (…). Das Gericht retournierte ihm diese mittels Rückweisungsverfügung vom 28. November 2014 mit der Begründung, er sei anwaltlich vertreten und nicht berechtigt, selber mit Eingaben ans Gericht zu gelangen (…). Der Beschwerdeführer sieht darin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 2 lit. c und d StPO, Art. 6 Abs. 2 StPO, Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK sowie von Art. 29 und 32 BV.
Die Theorie fasst das Bundesgericht wie folgt zusammen:
Die Bestellung eines Rechtsbeistands schliesst nach der Lehre eine eigene Verteidigung nicht aus. Die beschuldigte Person behält namentlich ihre Postulationsfähigkeit, d.h. sie kann unabhängig von der Verteidigung selbstständig prozessual handeln und etwa selber Beweisanträge stellen oder den Rückzug von Rechtsmitteln erklären (…). Strittig ist im Schrifttum jedoch, ob die beschuldigte Person, wenn das Gesetz im Rechtsmittelverfahren genau festlegt, welche Eingaben gemacht werden können, neben ihrer Verteidigung noch eine weitere Eingabe machen darf (bejahend: LIEBER, a.a.O., N. 5 zu Art. 129 StPO; verneinend: STUCKI, a.a.O., S. 111) [E. 2.2].
Den Beschwerdeführer watscht es dann aber mit Rechtsmissbrauch ab:
Wie es sich damit verhält, kann vorliegend offenbleiben, da das Vorgehen des Beschwerdeführers jedenfalls als rechtsmissbräuchlich angesehen werden muss. Dem Beschwerdeführer wurde ein amtlicher Verteidiger beigegeben, weil er sich ausserstande sah, sich im gegen ihn geführten Verfahren selber zu verteidigen (vgl. Art. 132 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 StPO). In seiner „Berufungserklärung“ vom 25. November 2014 legte er einleitend dar, dass er nicht in der Lage sei, seine Sprache auf Erwartungshaltungen des Gerichts anzupassen und Redundanz in Kauf genommen werden müsse. Er verwies zudem auf die zusätzliche Eingabe seines amtlichen Verteidigers, die er bestätige (…). Seine Eingabe stellte auch keine blosse Ergänzung derjenigen seines Anwalts dar, da die schriftliche Berufungsbegründung erst am 5. Februar 2015 erfolgte. Der Beschwerdeführer äusserte sich vielmehr ausserhalb der im Berufungsverfahren vorgesehenen Eingaben und offenbar auf eine äusserst weitschweifige Weise, da seine „Berufungserklärung“ vom 25. November 2014 gemäss eigenen Angaben „in der Form sehr ähnlich“ war wie diejenige im Verfahren KG 4M 12 69 (…). Ein solches Vorgehen verdient keinen Rechtsschutz.
Da sich der Beschwerdeführer am 28. November 2014 mit dem schriftlichen Verfahren einverstanden erklärte (kant. Akten, Bel. 12) und er am 5. Februar 2015 über seinen Anwalt eine schriftliche Berufungsbegründung einreichen liess sowie Beweisanträge stellen konnte (kant. Akten, Bel. 14 und 19), kann der Vorinstanz zudem nicht zum Vorwurf gemacht werden, sie habe dessen Verteidigungsrecht beschnitten. Dieser legt im Übrigen in keiner Weise dar, mit welchen Argumenten sich das Gericht noch hätte befassen müssen. Auch behauptet er nicht, Beweisanträge seien aufgrund der Rückweisung seiner persönlichen Eingabe zu Unrecht nicht behandelt worden (E. 2.3).
Das Gericht war an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden. Dass der Beschwerdeführer sich angeblich trotz formulierter schriftlicher Beschwerde ausser Stande „sah“, sich selbst zu verteidigen, ist eine Sachfrage; das Gericht hätte diesen Umstand also nur feststellen können, wenn die Vorinstanz offensichtlich unrichtig erkannt hätte, und hätte zumindest die vorinstanzlichen Erwägungen zur selbstbehaupteten fehlenden Verteidigungsfähigkeit beurteilen müssen. E2.3 und dem Rest des Urteils entnehme ich jedoch nichts dergleichen, die vorgebrachten Umstände (seine Verweise auf Verteidigerschriften, mangelnde juristische Sprachkenntnisse, seine redundante Sprache, seine „äusserste Weitschweifigkeit“ in der Formulierung – mehr macht das Urteil in der Sache nicht geltend) befassen sich nicht mit der Vorinstanz und stützen die gerichtliche Folgerung nicht.
Die laut Gericht offenbar sauber begründete Eingabe (vgl E4.1 2. Satz, sein Vorbringen bezüglich des Laptops ist unbeschadet der Richtigkeit sofort nachvollziehbar) zeigt genau das Gegenteil, nämlich dass der Beschwerdeführer verständlich argumentiert und sich sehr wohl zu verteidigen weiss. Dass man bei einem Laptop, der nicht mehr auf Knopfdruck startet, nach der Lebenserfahrung zumindest die Batterie herausnimmt und wieder einsetzt, damit der Stromkreis unterbrochen wird, bevor man auf Schaden schliesst, hat das Urteil nicht berücksichtigt, was der Revision den Weg öffnet.