RECHTSWIDRIGE BLUTENTNAHME!
Erneut wird das Bundesgericht mit einem Sachverhalt konfrontiert, bei dem eine polizeiliche Blutentnahme eine Rolle spielt (BGer 6B_563/2017 vom 11.09.2017). Man gewinnt den Eindruck, die Polizei setze sich systematisch über das geltende Recht hinweg. Aber im vorliegenden Fall ging es darum, dass sich das Obergericht des Kantons Aargau bei der Kostenliquidation über das geltende Recht hinweg setzte und von Lausanne gestoppt werden musste:
Die Strafbehörden des Kantons Aargau haben ein Strafverfahren wegen Verdachts auf Fahrunfähigkeit wegen Betäubungsmittelkonsums eröffnet (Anlass waren u.a. die berühmten geröteten Augen, die in einigen Kantonen besonders häufig beobachtet werden) . Die (widerrechtlich) durchgeführte Blutentnahme führte dann aber zu einem negativen Ergebnis, sodass sich der Verdacht als unbegründet herausstellte.
Weil der Betroffene anlässlich der Befragung aber ausgesagt hatte, er habe vor anderthalb Tagen einen Joint geraucht, wollte man ihm – nebst einem in Rechtskraft erwachsenen Strafbefehl für den Konsum – auch noch die Kosten des eingestellten Verfahrens auferlegen. Dafür hatte das Bundesgericht kein Verständnis:
1.6. Der Beschwerdeführer hatte an der Verkehrskontrolle erklärt, am 16./17. Mai 2016, 23.00 – 00.00 Uhr, “1 Marihuana-Joint” geraucht zu haben (Protokoll bei Verdacht auf Drogenkonsum, act. 23). Die Polizei hegte angesichts des Vortests (Art. 10 Abs. 2 SKV) den Tatverdacht (vgl. Urteil 6B_109/2016 vom 12. Oktober 2016 E. 4.2) und zog eine Blutprobe in Betracht. Sie ordnete diese gesetzwidrig in eigener Kompetenz an. Die Unterzeichnung der “Einverständniserklärung” ändert daran nichts. Er hatte sich kooperativ verhalten. Verfahrensgegenstand war einzig der Verdacht auf Fahrunfähigkeit wegen Betäubungsmittelkonsums. Somit hatte der Beschwerdeführer die Einleitung des Strafverfahrens (wegen Fahrunfähigkeit) entgegen der Vorinstanz nicht “widerrechtlich”, d.h. rechtswidrig und schuldhaft adäquat-kausal im Sinne von Art. 426 Abs. 2 StPO bewirkt. Die Verfahrenskosten können ihm nicht auferlegt werden. Im “Normalfall” der Verfahrenseinstellung werden keine Verfahrenskosten auferlegt (BGE 143 IV 91 E. 1.5).
1.7. Der Beschwerdeführer wendet zutreffend ein, der an der Polizeikontrolle vom 18. Mai 2016 erklärte Cannabiskonsum sei gesondert vom vorliegenden Verfahren zu betrachten. Der Drogenkonsum wurde denn auch bereits mit Strafbefehl geahndet (vgl. oben Bst. B).
Den Kommentar habe ich nur freigeschaltet, weil mir die neuste Rechtsprechung des Obergerichts des Kantons Zürich zu Ehrverletzungsdelikten bekannt ist.
Der war gut 🙂
Wenn ein Autolenker aussagt, vor anderthalb Tagen einen Joint geraucht zu haben, dann stellt sich die Frage hat er noch eine relevante Restmenge THC im Blut, so dass er gegebenenfalls nicht mehr fahrfähig wäre. Da THC – anders als Alkohol – keine lineare Abbaurate hat und diese bei jedem Individuum anders schnell ist, dürfte diese Frage auf Platz für die Polizisten kaum zu beantworten sein. Eine Blutentnahme ist in dieser Situation also angezeigt. Ist die Blutentnahme negativ, erfolgt betreffend Fahren in fahrunfähigem Zustand ein Freispruch, jedoch eine Verurteilung wegen Konsums von Cannabis. In dieser Situation empfinde ich es als stossend die Kosten der Blutentnahme und -anlayse der Allgemeinheit aufzubürden.
Ich finde es stossend, rechtswidrige Blutentnahmen durchzuführen.
Was gilt, wenn der Beschuldigte die Blutentnahme wünscht, die Staatsanwaltschaft aber nicht (zB um sich zu entlasten, wie hier; vgl SV A)?
Freie Beweiswürdigung. Der Richter müsste gestützt auf die polizeilichen Feststellungen (rote Augen, Drugwipe, etc.) entscheiden, ob X. fahrfähig war. Das kann er aber ohne Gutachten nicht, sodass er in dubio freisprechen müsste.
Ich würde zu Protokoll geben, dass man keine Ausfallerscheinungen hat, notfalls handschriftlich über das gesamte Blatt rüberkritzeln. Und betreffend des Arztes, der die Blutprobe vornimmt, wäre zu überlegen ob nicht nicht eine Anzeige wegen Körperverletzung das Mittel der Wahl ist.
Kann mir jemand den Unterschied zu BGE 1B_180/2012 vom 24. Mai 2012 erklären? Wieso wurde die Kostenauflage bei einem Kokainkonsumenten nicht aber bei einem Cannabiskonsumenten geschützt? Immerhin gilt es zu bedenken, dass im Kanton Zürich im Jahr 2012 die Anordnung der Blutprobe wohl auf einer generellen und damit unzulässigen Anordnung der Oberstaatsanwaltschaft beruhte, womit die Anordnung der Blutprobe ebenfalls nicht verwertbar war, wie sich das Bundesgericht neuerdings ausdrückt.
Der Gerichtsschreiber.
kj: Strafrechtlich einverstanden. Gegenfrage: Im Verwaltungsrecht gilt ein niedrigeres Beweismass, da können die geröteten Augen und das Drogenkonsumgeständnis für einen Führerscheinentzug bereits reichen. Ein Führerscheinentzug ist für nicht wenige Menschen im Arbeits- und Freizeitleben eine erheblich einschneidendere Massnahme als eine Strafe im Bereich von Tausend Franken. Da hätte man gerne, dass die Polizei auf seine Anweisung hin auch entlastende Beweise erhebt, also die Blutkontrolle durchführen lässt. Sie privat durchzuführen, also im Taxi ins Krankenhaus zu fahren, und dort zu sagen, man wolle aber die Stawa nicht, wird dort eher zu allgemeiner Heiterkeit führen. Und das Amt wird die inoffizielle Blutprobe nicht anerkennen und den Schein einziehen.
km: Korrekte Beobachtung, das ist m.E. eine Praxisänderung. Die vorauseilende Zwangsmassnahmenblankoanordnung der Staatsanwaltschaft ist gemäss meiner Erinnerung erst seit einem diesbezüglichen Bundesgerichts-Urteil, das hier verdankenswerterweise gepostet wurde, von vor Kurzem bundesrechtswidrig. Der Staat kann keine Kosten erheben für illegale Staatshandlungen (hier Blutentnahme ohne Anordnung; verallgemeinert wohl auch jede Art unvernünftiger Durchsuchung). Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer sie durch sein rechtswidriges Verhalten (in beiden Fällen Konsum nicht verkehrsfähiger Betäubunsmittel) selbst veranlasst oder ihr zugestimmt hat. Ich werde das Urteil heraussuchen und den Link nachliefern.
6B_532/2016 E1.4.2, Satz “Wie der …”.
https://www.strafprozess.ch/rechtswidrige-blutentnahme/ -> vgl auch meinen damaligen Kommentar, 2. und 3. Absatz.