Rechtswidrige Honorarkürzungen
Das Obergericht AG unterliegt erneut und zwar gleich zehnfach vor Bundesstrafgericht, weil es Honoraransprüche von amtlichen Verteidigern gekürzt hat. Hier der Beitrag von Schweiz Aktuell und nachfolgend die Entscheide aus Bellinzona zum Nachlesen und Staunen:
- BB.2019.274
- BB.2019.209
- BB.2020.5
- BB.2019.256
- BB.2019.269
- BB.2019.77
- BB.2020.1
- BB.2019.280
- BB.2019.203
- BB.2019.118
Das Ganze ist nicht nur im Aargau ein leidiges Thema, das v.a. daran krankt, dass Richter die Honorarnoten der Verteidiger bei Lichte betrachtet unmöglich beurteilen können. Die meisten Richter haben selbst nie eine Strafverteidigung geführt und auch nach vielen Jahren Berufserfahrung als Verteidiger kann man Honorarnoten praktisch nicht beurteilen. Die meisten Verteidiger tun übrigens im Hinblick auf Kürzungen ohnehin nicht zu viel für ihre Mandanten, sondern zu wenig. Ziel erreicht?
Also ist der vorschlag von Ihnen, dass man honorarnoten unkritisch übernimmt? Schliesslich lässt sich ja die angemessenheit (gemäss Ihnen) nicht überprüfen.
@H. Onorar: wäre eine Option. Gilt ja bspw. auch bei Gutachterhonoraren. Richtig wäre wohl ein Moderationsverfahren, das der Staat anstrengen muss, wenn er das Honorar als zu hoch empfindet. Kennen Sie einen Bereich, in dem der Staat einseitig einem Dienstleister das Entgelt kürzen darf?
Da die Verteidiger grundsätzlich ein Systemerfordernis für ein faires Verfahren sind, ist eine faire und grosszügige Entschädigung zwindend. Eine gewisse Kontrolle dieser Kosten ist aber auch erforderlich, anderenfalls dies (möglicherweise nicht von der mehrheit der Verteidiger, aber sicher von einzelnen Exponenten) mit übertriebenen und unverhältnismässigen Aufwänden ausgenützt würde.
Ein Moderationsverfahren wäre wohl wünschenswert, führt allerdings auf allen Seiten zu mehr Aufwand und Kosten. Die Praxis im Kanton Aargau war offensichtlich unhaltbar rigide. Aber immerhin kann man festhalten, dass das Beschwerdeverfahren den Verteidigern letztendlich recht gab. Ausserdem hat der Schweizerische Anwaltsverband gemäss dem Beitrag Schweiz Aktuell festgehalten, dass die Praxis im Kanton Aargau nicht die Regel bildet.
Freundliche Grüsse aus dem Kanton Zürich
Ich sehe das schweizerische System mit der Bestrafung von guten Anwälten durch Kürzungen sehr kritisch. Hier konnte ich schon einige erschreckende Berichte lesen. Ein weiteres Unding ist bei ihnen nach meiner Meinung auch die Eigenart die Differenz zwischen Amtlichen Honorar und Privaten Honorar der zu verteidigenden Person im Kostenpunkt aufzuerlegen.
Ich empfehle der Schweiz ein System was wir in Litauen anwenden und von der Bundesrepublik Deutschland vor 20 Jahren übernommen haben. Vorher hatten wir auch ein ähnliches System wie sie welches aber genau zu diesen “Bestrafungen” von guten Anwälten führte. Wir Anwälte haben uns erfolgreich dagegen gewährt.
Die Höhe der anwaltlichen Vergütung ergibt sich entweder aus der Rechtsanwaltshonorarverordnung oder aus einer Vergütungsvereinbarung.
In gerichtlichen Verfahren können die gesetzlichen Gebühren nicht durch Vereinbarungen unterschritten werden. Die Vereinbarung einer höheren als der gesetzlichen Vergütung ist jederzeit bei Privatverteidigung möglich. In der “Amtlichen Verteidigung” wird stets die Rechtsanwaltshonorarverordnung angewendet was nur pauschalen kennt zbs. im Zivilverfahren 1X Schriftwechsel, 1 Vorgespräch, 1X Gütetermin und 1X HV bei einem Streitwert unter 3000 Euro = Honorarstufe A1, unter 5000 Euro dann A2 usw…
Zwar bleibt man auch oft auf Kosten sitzen jedoch kann ein Richter nicht zu grossen finanziellen Einfluss auf gute Verteidiger nehmen.
@kj: oha? Der anwalt als dienstleister des staates? Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Aber abgesehen davon: Ja, es gibt einen anderen Bereich: das Sozialversicherungsrecht. Das Bundesgericht behält sich vor, bei willkürlich hohen Gutachtenskosten einzuschreiten (vgl. 8C_113/2017 E. 7.3). Dem betreffenden Entscheid lässt sich auch entnehmen, dass zwischen Dienstleistern (Gutachterstellen) und Staat (BSV) fixe Preise abgemacht werden (BSV-Tarif). Ein polydisziplinäres Gutachten kostet zum voraus definiert z. B. gut 10’000 Fr. (vgl. 9C_541/2016 E. 1.2). Wäre das auch etwas für den Strafprozess? 12000 fix für eine Berufung bei einem Betrug. Nach Ihrer Ansicht wohl kaum, oder? Insofern ist der Vergleich mit den Gutachtern nicht so treffend.
@H. Onorar: Sie verstehen es nicht oder tun jedenfalls so. Der Staat ist auf Verteidiger angewiesen, um ein verfassungsgemässes faires Verfahren überhaupt gewährleisten zu können. Die V sind zwar ausschliesslich den Interessen ihrer Klienten verpflichtet. Das ist ganz nebenbei halt eben auch eine Voraussetzung für ein faires Verfahren. Ohne wirksame Verteidigung kein faires Strafverfahren. Der Staat braucht Verteidiger und die Anwälte sind verpflichtet, amtliche Verteidigungen zu übernehmen. Sie sind aber nicht verpflichtet, über die Kosten diszipliniert und bisweilen auch gedemütigt zu werden. Im Strafrecht bleibe ich beim Vergleich mit Gutachtern. Was nicht verfängt ist wohl eher ihr Abstecher ins Sozialversicherungsrecht, aber da kenne ich mich ehrlich gesagt nicht so gut aus wie Sie.
Und noch was: es ist mühsam, sich mit Phantomen wie Ihnen auszutauschen, u.a. weil man nicht weiss, was man voraussetzen oder eben noch erklären muss. Ich weiss bei Ihnen beispielsweise nur, dass Sie wohl keine Strafverteidigerin sind.
Das Problem ist viel breiter als das OG AG, welches m.E. relativ mutig versucht, ein verbreitetes Übel anzugehen:
Ich denke, es dürfte unbestritten sein, dass die Anwaltskosten in den letzten 10 Jahren regelrecht explodiert sind. Genauso wie im übrigen die Anzahl der “Strafrechtsexperten”. Wo es vor 20 Jahren noch eine Handvoll gab, sind es heute wohl weit über Hundert. Erinnerlich habe ich für den Kanton Luzern mal etwas von einer VERFÜNFFACHUNG der amtlichen Honorarkosten gehört. Zahlen dazu gibt es ja kaum.
Rein empirisch habe ich schon gesehen, dass in bereits vergleichsweise kleinere Verfahren von Anwälten sechsstellige Summen eingegeben werden. Das hat im übrigen nichts mit Strafverteidiger oder so zu tun, den gleichen Aufwand betreiben teilweise auch Privatklägervertreter (wobei der Beschuldigte dann diese aberwitzigen Honorare zahlen muss)
Es gibt für die Kostenexplosion verschiedene Gründe, bspw. die Teilnahmerechte bzw. die frühe Einmischung der Parteien ohne die Möglichkeit von seriösen Vorermittlungen und die in formeller und in materieller Hinsicht immer komplexer werdenden Verfahren. Eine gewisse Mitursache liegt also beim Bund (als StPO-Gesetzgeber) und beim Bundesgericht.
Wesentliche Mitursachen liegen aber auch bei den Anwälten. Es gibt immer mehr davon. Und jeder hat das Gefühl, er muss einen Aufwand betreiben, als sei er von Homburger und der Klient ein Grosskonzern. Und das oftmals ohne Plan: Endlose Gespräche und Abklärungen, sinnlose und letztlich dem Klienten schadende Verfahrenshandlungen, etc. (sie werden nicht glauben, was es da alles gibt…). Ob man überhaupt einen sinnigen Plan hat (oder aufgrund des begrenzten Wissens überhaupt haben kann), spielt keine Rolle, man sitzt einfach mal überall rein, macht einfach mal alles und schreibt alles auf. Irgendwer wird die aberwitzige Honorarnote ja dann schon zahlen.
Sie sagen nun, das sei per se alles notwendig: Hier bin ich ganz klar anderer Ansicht. Das würde daraufhin hinauslaufen, dass der Staat letztlich eine ganze, ansonsten freischaffende und bereits schon erheblich privilegierte Berufsgruppe durchfinanziert.
Einiger Ausweg sind in meinen Augen Pauschalen wie im Sozialversicherungsrecht. Es liegt hier am Gesetzgeber, eine entsprechende sinnige Ordnung von Pauschalentschädigungen für amtliche Mandate, erbetene Mandate und Privatklägerentschädigungen zu schaffen. Pauschalen sind schliesslich weit verbreitet.
PS: Es wäre wünschenswert, wenn auch die Frage der Gutachterkosten gleichzeitig angegangen würde. Hier besteht das gleiche Problem wie bei den Anwaltskosten.
PPS: Ja, ich war jahrelang auch mal Anwalt. Wie auch Verwandte und Bekannte.
@Verfassungsrechtler: Strafverteidiger waren Sie offensichtlich nicht. Wer eine Strafverteidigung übernimmt, ist gesetzlich verpflichtet, überall reinzusitzen. Das Reinsitzen ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass Strafverteidiger die bestverdienenden Anwälte sind.
@ kj: Danke, Sie müssen mir nichts erklären. Es reicht aus, wenn Sie Ihre Argumente präsentieren. Alles, was ich mache, ist, mit Gegenargumenten zu reagieren. Mag sein, dass Sie das mühsam finden. Wir können auch jederzeit aufhören. Dass die Argumente von einem Phantom stammen, spricht aber jedenfalls nicht gegen deren Stichhaltigkeit. Ihr Hinweis zeigt vielmehr, dass meine Argumente vielleicht doch nicht so schlecht sind. Zur Sache: Dass Anwälte für ein faires Verfahren nötig sind: klar. Dass sie eine wichtige Arbeit machen und angemessen entschädigt werden müssen und nicht gedemütigt werden dürfen: klar. Dass das OG AG zu weit geht: geschenkt. Das heisst aber alles nicht, dass Honorarnoten unkritisch übernommen werden müssten und Gerichte schlechterdings nicht in der Lage sein sollten, eine Angemessenheitsprüfung vorzunehmen. Nur nebenbei noch: auch Ärzte dürfen zulasten der Krankenversicherung nicht unendlich abrechnen. Das nennt sich Überarztung und wird gekürzt. Jetzt höre ich aber auf mit Sozialversicherungsrecht.
@H. Onorar: Sie haben durchaus Argumente, das ist nicht der Punkt. Man weiss einfach nicht, aus welcher Küche es kommt. Das heutige System ist einfach sachwidrig und zwingt Verteidiger dazu,
– detaillierte Kostennoten einzureichen und damit das Berufsgeheimnis und die Verteidigungstaktik gegenüber auch der Staatsanwaltschaft offenzulegen. Daran änder auch nichts, wenn ich die Honorardetails anonymisieren darf.
– sich immer auf dem schmalen Grat zwischen Sorgfaltspflichtverletzung und unangemessenem Aufwand zu bewegen, der dann immer ex post von Richtern beurteilt wird, die in der Regel keine Ahnung haben, was ein solches Mandat verlangt. Ich selbst betreibe immer wieder Aufwand, den ich als notwendig erachte, der sich im Nachhinein aber als unnötig oder sogar als kontraproduktiv herausgestellt hat (zB eine abgewiesene Haftbeschwerde oder eine wichtige Beweiseingabe, die sich im Nachhinein als obsolet herausgestellt hat (was ich mangels Akteneinsicht nicht wissen konnte).
Auch ärgerlich, wenn man von einem Staatsanwalt weiss, dass er sich mehrere Tage auf die Verhandlung vorbereitet hat, das Gericht der Verteidigung aber nur 4 Stunden entschädigt.
Ich könnte noch lange weiterreden. Ich löse einen Teil des Problems, dass ich keinen Pikettdienst leiste und so keine amtlichen Mandate kriege. Aber auch ich muss meine Mandanten darauf hinweisen, dass sie Anspruch auf amtliche Verteidigung haben. So komme auch ich um die amtliche Verteidigung und den halbierten Stundenansatz nicht herum.
Der Punkt ist, dass die meisten Richter, die unsere Honorarnoten beurteilen, Und aber Sie begründen Es braucht einfach eine andere Lösung her.
@ Verfassungsrechtler: Ziemlich “mutig” das OG AG, das Honorare ohne ausreichende Begründung kürzt, als mutig zu bezeichnen. Gäbe es einen guten Grund für die Kürzung bzw. wäre tatsächlich ein bekanntes Übel anzugehen, müsste das Gericht eine Begründung liefern können. Da Strafverteidiger bekanntlich detaillierte Honorarnoten einreichen, liesse sich auch detailliert begründen, welcher Aufwand angeblich zu hoch ist.
Im Übrigen sehe ich es ähnlich wie kj: es dürfte schon sehr schwierig sein, eine Honorarnote zu beurteilen, wenn eine Richterin nie als Anwältin bzw. Strafvertreidigerin gearbeitet hat. Hingegen hätte ich nicht vermutet, dass Strafverteidiger die bestverdienenden Anwälte sind – aber ich mag es ihnen natürlich gönnen.
@ kj: Ich verstehe nicht, warum es erheblich sein soll, aus welcher Küche Argumente kommen. Aber lassen wir das. Ich verstehe ja Ihren Ärger und Ihre Bedenken durchaus. Es lässt sich aber vermutlich einfach nicht alles haben. Wenn der Anwalt vom Staat entschädigt wird, darf der Staat m.E. den Anspruch prüfen und unnötigen Aufwand nicht übernehmen. Das erfordert eine Offenlegung des Aufwands. Dass das in einem Spannungsfeld zum Berufsgeheimnis steht, leuchtet mir ein, ist zu einem gewissen Grad aber hinzunehmen. Was wäre die Alternative (unkritische Übernahme der Honorarnoten m.E. bekanntlich nicht)? Vielleicht wären doch Pauschalen das Richtige. Immerhin würden sie Rechtssicherheit und -gleichheit schaffen. Dies aber zulasten des Einzelfalls. Was schliesslich ebenfalls helfen könnte, ist gegenseitiges Verständnis. Gerichte können nicht alles einfach unkritisch entschädigen, müssen sich aber auch der nicht zu unterschätzenden Verteidigungsarbeit in einem Straffall (inkl. der aufgezeigten Spannungsfelder) bewusst sein. Dies sollte dazu führen, dass moderat bzw. angemessen gekürzt wird und das OG AG eine Ausnahme bleibt (was gemäss Fernsehbericht auch so ist).
Ich wollt einmal dem Kollegen zwischen 1 min 40 und 2 min meine Gratulation klatschen. Stimme ihm voll zu. Ich finde es kommt einfach viel zu kurz das Sinn und Zweck eines Verteidigers die ordentliche und pflichtgemässe Verteidigung von Mandanten ist. Ich habe einen krassen Fall aus dem Kanton Solothurn vor einigen Tagen erlebt wo ein Arbeitnehmer fast vollständig obsiegte und der Beklagten auferlegt wurde statt 42 000 Franken nur 17 500 Franken zu bezahlten. Der werte Kollege sagte mir dann auch das sei völlig normal bei dem Gericht. Dumm hier natürlich für den “Sieger”.
@kj: Ich habe damals praktisch alle Rechtsgebiete gemacht. Und ich kann Ihnen hier problemlos bestätigen, dass es in keinem anderen Rechtsgebiet möglich ist, sich seinen Lohn auf Staatskosten “zu ersitzen”.
@Malovini: Ja, solche Entscheide sind meiner Meinung nach mutig. Beim Honorar geht es ans eingemachte. Das ist nicht einfach, das konkreten Personen, die man vielleicht sogar kennt, wegzustreichen, zumal das auch teilweise (falscherweise) als persönliche Kränkung verstanden wird. Da braucht es m.E. richtig Mut und Rückgrat, die staatlichen Interessen wahrzunehmen, anstatt einfach blindlings eine überrissene Honorarnote zu genehmigen (à la: das zahlt ja “nur” der Staat und nicht der Richter…).
Fakt ist, dass teilweise der eine Anwalt die gleiche Arbeit dreimal so schnell und doppelt so gut macht, wie ein anderer Anwalt. Das ergibt sich alleine schon daraus, dass nicht alle Anwälte über den gleichen Erfahrungsschatz verfügen. Dem wird nicht Rechnung getragen, indem man einfach blind alle Honorarnoten genehmigt.
@Vetfassungsrechtler: damals fast alle Rechtsgebiete ist zum Glück vorbei (Stichwort Übernahme verschulden). Und ja, wir sitzen stundenlang in Einvernahmen, die mangels Aufzeichnung doppelt so lange dauern als nötig. Das ist aber mit Abstand der mühsamste Teil unserer Arbeit, auf den wir nicht verzichten dürfen (Berufspflichten).
Es braucht “richtig Mut und Rückgrat” für eine Reduktionen ohne Begründung? Muss nur ich lachen?
Richtig lachen muss ich dann, wenn ich gleichzeitig an die (ohne Geschäftskontrolle ausbezahlten) Löhne der oberen Richtern denke.
Wenn die Richter begründungslos kürzen dürfen, dann müsste jede Kassation/Rückweisung durch die obere Instanz einen Malus geben.
@RA: Nein, nicht nur Sie. Ich wundere mich sowieso, wenn in der Schweiz von mutigen Entscheiden oder von Richtern mit Rückgrat die Rede ist. Ich wüsste nicht, was so heroisch daran ist, Recht zu sprechen. Mut braucht doch nur, wer bewusst Unrecht spricht. Aber auch das hat ja keine Konsequenzen für den Mutigen. Ein bisschen Mut braucht vielleicht, wer gegen die veröffentlichte Meinung urteilt. Aber solange er das Recht hinter sich hat …. in einem Rechtstaat … nein, Richter brauchen weder Mut noch Rückgrat. Sie brauchen viel juristisches Know-How und intellektuelle Redlichkeit. Dafür werden sie gewählt und bezahlt, aber nicht für die Schonung der Staatskasse. Das können sie der Politik und der Verwaltung überlassen, wenn sie unabhängig sind.
@ kj: Ich bin einverstanden, dass die Entscheide des OG AG jenseits sind. Ich sehe hier auch keine heroische Tat. Ihre Auffassung, dass es keinen Mut braucht, wenn man als Gericht nur das Recht auf seiner Seite habe, wir würden ja in einem Rechtsstaat leben, halte ich, verzeihen Sie bitte, für etwas naiv. Ich teile diese Meinung ganz und gar nicht. Es fängt schon dort an, dass wir nicht nur in einem Rechtsstaat leben, sondern ebenso in einem Medienstaat. Es braucht, entgegen Ihrer Ansicht, eine gehörige Portion Mut und Rückgrat, noch unabhängig Recht zu sprechen, wenn eine Medienkampagne läuft. Schliesslich kommt hinzu, dass das Fällen von Entscheiden per se und immer (wenn man das Entscheiden ernst nimmt) Mut und Rückgrat erfordert. Entscheiden heisst, einen Sprung machen, zu einem Ende kommen, andere Möglichkeiten ausschliessen, und dies immer im Wissen darum, dass es “die” objektiv richtige Möglichkeit resp. “den” objektiv richtigen Entscheid nicht gibt. Gerichte entscheiden Unentscheidbares. Dazu gehört Mut und Rückgrat. Und noch was: Sie tun gerade so, als ob intellektuelle Redlichkeit eine selbstverständlich akzeptierte Eigenschaft in unserer ach so vernunftbasierten Gesellschaft wäre. Das ist mitnichten der Fall. Es braucht mitunter schon für intellektuelle Redlichkeit Mut und Rückgrat.
@H. Onorar; Ihr Bild über den Zustand des Rechtsstaats ist ja noch hoffnungsloser als meines.
@ kj: Nicht unbedingt. Der Rechtsstaat ist nicht das Problem. Der ist, etwas salopp und sinnigerweise ausgedrückt, schon recht. Er hat halt seine Stärken und Schwächen. Dazu gehört, dass man Entscheide fällen und auch mal einen Anwalt verärgern muss, weil die Honorarnote gekürzt wird. Ihr Bild des Rechtsstaats, so scheint mir (aber das ist vielleicht eine unzutreffende Unterstellung, wofür ich mich entschuldige, wenn es so wäre), ist insofern hoffnungsloser, als dass Sie den Rechtsstaat selber (v.a. seine Unvollkommenheiten und Schwächen) nicht aushalten, was, wie ich finde, nicht unbedingt gegen Sie sprechen würde. Nur scheint mir, dass insbesondere der Blick auf die Gerichte und ihre Tätigkeit bisweilen etwas milder ausfallen würde, wenn die Schwächen oder vielleicht besser Grenzen des Rechtsstaats und der Blickwinkel der Gerichte vermehrt einbezogen würden.
Frage an die Runde
Was spricht gegen ein https://www.gesetze-im-internet.de/rvg/RVG.pdf bei Ihnen in der Schweiz?
Ich habe so manche Einstellungsverfügung gelesen die braucht nur 2 Minuten für die nachträgliche Rechtfertigung der Zwangsmassnahmen und 25 Minuten für die Verweigerung des geforderten Honorars des Strafverteidigers. Man hat schon den Eindruck es ist ein echtes Problem bei ihnen.
Es besteht auch im Sozialversicherungsrecht das Problem, dass die in einer Beschwerde begehrte und durch eine Aufstellung des Zeitaufwand für verschiedene Arbeiten belegte Höhe des Zeitaufwands und die Höhe des Stundensatzes für die Parteientschädigung von den kantonalen Versicherungsgerichten mit nichtssagenden Begründungsformeln ohne die begehrte Höhe oder die Aufstellung des Zeitaufwands überhaupt zu erwähnen massiv gekürzt werden können und keine wirksame Möglichkeit zur Beschwerde beim Bundesgericht besteht, weil dieses bei solchen Begründungen weder eine Verletzung der Begründungspflicht als Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör sieht noch eine Verletzung des Willkürverbots sieht, weil die Festlegung der konkreten Höhe der Parteientschädigung kantonales Recht ist. Die Begründungen, mit denen man abgefertigt wird, sind gelinde gesagt äusserst lapidar und die aus den Akten ersichtliche Realität wird einfach ignoriert und wird weder vom kantonalen Sozialversicherungsgericht noch vom Bundesgericht in der Urteilsbegründung wiedergegeben. Im Urteil ZL.2014.00092 des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich wird die zugesprochene Höhe der Prozessentschädigung von 1’100 Franken (anstatt der beantragten 7’252 Franken für 29.01 Stunden à 250 Franken, also eine Kürzung um 85 Prozent) mit der folgenden nichtssagenden Formel begründet “Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, der Beschwerdeführerin eine angemessene Prozessentschädigung auszurichten (§ 34 des Gesetzes über das Sozialversicherungsgericht). Beim praxisgemässen Stundenansatz von Fr. 145.– (zuzüglich Mehrwertsteuer) sowie unter Berücksichtigung der Bedeutung der Streitsache sowie der Schwierigkeit des Prozesses wird diese auf Fr. 1’100.– (inkl. Barauslagen und Mehrwertsteuer) festgelegt” (= 7 Stunden à 156.60 Franken). § 34 Abs. 3 lautet: “Die Höhe der gerichtlich festzusetzenden Entschädigung bemisst sich nach der Bedeutung der Streitsache, der Schwierigkeit des Prozesses und dem Mass des Obsiegens, jedoch ohne Rücksicht auf den Streitwert”. Aus den Akten war ersichtlich, dass die Versicherte selbst eine Einsprache gegen die Verfügung eingereicht hatte (und dabei einige Fehler in der Verfügung übersehen hatte, welche der nach dem Erlass des Einspracheentscheids beigezogene Rechtsvertreter in der Beschwerde und in der Ergänzung der Beschwerde rügen und so weit möglich mit Beweismitteln belegt hat). In der beim Bundesgericht eingereichten Beschwerde wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dem Rechtsvertreter nach einem Akteneinsichtsbegehren die Akten erst nach der Beschwerde vom 4. September 2014 am 10. September 2014 zugestellt wurden und deshalb in der Ergänzung der Beschwerde vom 22. September 2014 für das Studium der Akten und für die Ergänzung der Beschwerde ein zusätzlicher Aufwand von 3,4 Stunden geltend gemacht wurde. Die vom Rechtsvertreter zu lesenden Akten für das erste der beiden Verfahren waren sehr umfangreich weil es um die rückwirkende Zusprache von Ergänzungsleistungen und kantonalen Beihilfen zu einer im Invaliditätsgrad schwankendenüber einen fast fünfjährigen Zeitraum mit von Jahr zu Jahr und teilweise auch während den jeweiligen Jahren schwankenden anrechenbaren Einnahmen, anerkannten Ausgaben, Vermögen und Schulden ging. Im ersten Verfahren hatte die Verfügung allein 16 Seiten mit einem riesigen Stapel an Akten mit Belegen, der Einspracheentscheid 5 Seiten, die einen integrierenden Bestandteil des Einspracheentscheids bildende Verfügung noch einmal 5 Seiten, die Beschwerde vom 4. September 2014 hatte 24 Seiten, die Ergänzung der Beschwerde vom 22. September 2014 hatte 8 Seiten, die Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vom 7. Oktober 2014 hatte 7 Seiten, die Replik vom 11. Februar 2015 zur Stellungnahme vom 7. Oktober 2014 hatte 17 Seiten, die Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vom 26. März 2015 zur Replik vom 11. Februar 2015 hatte 3 Seiten und die Replik vom 15. August 2015 hatte 10 Seiten. Das Urteil ZL.2014.00092 der Vorinstanz umfasste 17 Seiten. Nachdem die Vorinstanz das Mass des Obsiegens nicht quantifiziert hat, hat das Bundesgericht in Erwägung 3.3.3 nachträglich gerechtfertigt, dass von einem höchstens hälftigen Obsiegen auszugehen sei. Mit Bezug auf die beantragte Beihilfe sei die Beschwerde abgewiesen worden. Allerdings besteht gemäss der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 61 lit. g ATSG bei einem teilweisen Obsiegen eine reduzierte Parteientschädigung und sind bei deren Bemessung die gesetzlichen Bemessungskriterien “ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses” zu beachten. Lediglich 23 Prozent der Seiten in der Beschwerde, in der Ergänzung der Beschwerde und in den beiden Repliken , in denen es um Sozialversicherungsleistungen geht, befassten sich mit der kantonalen Beihilfe und der Anrechnung eines Naturaleinkommens für die freie Kost während zwei Monaten in einer Klinik, bei denen die Beschwerdeführerin mit ihren Anträgen unterlegen war.
In der Erwägung 3.3.3 wird die Kürzung vom Bundesgericht nachträglich damit gerechtfertigt, dass der Rechtsvertreter unaufgefordert eine Replik (vom 11. Februar 2015) eingereicht hätte und nicht ersichtlich sei, inwiefern die Replik erforderlich war. Ein Blick des Bundesgerichts in die zuvor ergangene Stellungnahme des Amts für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich vom 7. Oktober 2014 zur Beschwerde vom 4. September 2014 und zur Ergänzung der Beschwerde vom 22. September 2014 hätte gezeigt, dass das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich darin vom Einspracheentscheid abweichende oder darin überhaupt nicht enthaltene neue Argumente vorbringt. Das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich hat in seiner Stellungnahme zur Beschwerde nicht, wie dies die Regel ist, einfach auf seinen zuvor erlassenen Einspracheentscheid verwiesen und nicht einfach nur die Abweisung der Beschwerde beantragt. Das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich hat dann zusätzlich eine Stellungnahme vom 26. März 2015 zur Replik des Rechtsvertreters vom 11. Februar 2015 eingereicht und darin wiederum neue Argumente vorgebracht. Das Bundesgericht erwähnt nicht einmal, dass der Rechtsvertreter eine Replik vom 15. August 2015 zur Stellungnahme vom 26. März 2015 eingereicht hat und darin auf die neuen Argumente reagiert hat und nicht einfach bereits gerügtes wiederholt hat. In der Erwägung 3.3.3 wird die Kürzung vom Bundesgericht nachträglich zusätzlich damit gerechtfertigt, dass die Ausführungen zur Parteientschädigung für das Beschwerdeverfahren breiten Raum eingenommen hätten. In der mit der Beschwerde beim kantonalen Sozialversicherungsgericht eingereichten Aufstellung des Zeitaufwands des Rechtsvertreters wurde ausdrücklich in einer Anmerkung darauf hingewiesen, dass der Zeitaufwand für das Verfassen der Beschwerde fast ausschliesslich für die Rügen in Bezug auf die Sozialversicherungsleistungen angefallen ist und der Text für den Anspruch auf Parteientschädigung weitgehend aus vorgefertigten Textbausteinen zusammengestellt werden konnte. Mit anderen Worten ist in dem Verfahren für die den Anspruch auf Parteientschädigung betreffenden Seiten in der Beschwerde also fast kein Zeitaufwand angefallen und somit auch nicht als Parteientschädigung begehrt worden. Da für die Ausführungen zur Parteientschädigung kaum Zeitaufwand angefallen ist und kaum geltend gemacht wurde, ist es willkürlich den für andere Punkte, in denen obsiegt wurde angefallenen Zeitaufwand drastisch zu kürzen. Hierbei ist noch nicht berücksichtigt, dass gemäss der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts gemäss dem Verursacherprinzip wegen einer Verletzung der Begründungspflicht der Beschwerdegegnerin auch bei der kantonalen Beihilfe und beim Naturaleinkommen, in denen die Beschwerdeführerin unterliegen war, Anspruch auf eine (teilweise) Parteientschädigung bestanden hätte (lapidar “Verweigerung BH aufgrund § 18 ZLG” bzw. “Übrige Einnahmen”). § 18 ZLG lautet: “Die Beihilfe kann gekürzt oder verweigert werden, soweit sie für den Unterhalt nicht benötigt wird.”. Eine Begründung, warum die Beihilfe für den Zeitraum 1. Dezember 2010 bis 31. März 2013 nicht benötigt wird und um welche übrigen Einnahmen es sich handelte, fehlte.
Urteil 9C_485/2016 vom 21. März 2017
https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://21-03-2017-9C_485-2016&lang=de&zoom=&type=show_document
Frage: Was machen bei ihnen den die Anwaltskammern? wie schon geschrieben gab es bei uns auch solche Zustände in den 90er Jahren. Richter und Staatsanwälte haben unliebsame Verteidiger mit der gekürzten Honorarnote abgestraft. Ich habe schmerzliche Erfahrungen sammeln müssen und oft konnten Mieten nicht gezahlt werden. Unsere Anwaltskammer sowie mehrere Anwaltsstreiks haben im Justizministerium geworben und das aus Deutschland stammende Gesetz über die Anwaltshonorare als Grundlage genutzt um eine Verordnung für die Anwaltshonorare einzuführen. Zu einem Gesetz ist es aber nie geworden. Seit dieser Zeit können weder Gerichte noch Staatsanwälte grösseren Einfluss auf die Honorarnoten nehmen. Nach meinem Empfinden sind wir dann auch besser geworden. Insbesondere bei ihren doch sehr hohen Lebenshaltungskosten sowie Mieten und Eigenmietwerten ist dieser Knüppel des Einflussnehmens doch eine Gefahr für eine ordentliche Verteidigung. Immer wieder höre ich in Gesprächen das nötiger Aufwand gescheut wird aus Angst für den Aufwand nicht entschädigt zu werden. Für meine Ohren hört sich das tatsächlich frmdlich an und noch mehr verwundert mich wieso sie nicht auf die Strasse gehen oder mal mit Abgeordneten reden. Ist es die tatsächliche Möglichkeit sein Geld doch beim Mandanten einzutreiben?
Haben Sie das verlinkte Urteil des Bundesgerichts 9C_485/2016 vom 21. März 2017 bereits durchgelesen? Darin ist ersichtlich, dass es um die Parteientschädigung bei Vertretung durch einen Nichtanwalt geht. Ich bezweifle, dass es die kantonalen Anwaltskammern interessiert, wenn Parteientschädigungen für die Vertretung durch Nichtanwälte gekürzt ohne nachvollziehbare Begründung werden oder bei der Parteientschädigung bei Vertretung durch Nichtanwälte von den unterlegenen Sozialversicherungsträgern nur ein viel tieferer Stundensatz entschädigt werden muss als bei Vertretung durch Rechtsanwälte, obwohl im Sozialversicherungsrecht im Verwaltungsverfahren, im Beschwerdeverfahren vor den meisten kantonalen Versicherungsgerichten und vor Bundesgericht kein Anwaltsmonopol besteht. Die kantonalen Anwaltskammern sind die Standesvertretung der Rechtsanwälte und werden sich wahrscheinlich nicht für wettbewerbsverzerrende staatliche Eingriffe der Gerichte interessieren mit denen die nichtanwaltlichen Konkurrenten der Rechtsanwälte im Wettbewerb um die Kunden benachteiligt werden. Ich schicke Ihnen gerne eine Kopie meiner beim Bundesgericht eingereichten Beschwerde, damit Sie sich ein umfassenderes Bild machen können. Das Urteil ZL.2014.00092 ist in der Entscheiddatenbank auf der Webseite des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich einsehbar, wenn man als Suchbegriff die Urteilsnummer eingibt.
https://chid003d.ideso.ch/c050018/svg/findexweb.nsf/suche.xsp
Bei einer Vertretung von Personen, welche Ergänzungsleistungen zur AHV/IV beziehen, besteht in der Regel keine tatsächliche Möglichkeit sein Geld beim Mandanten einzutreiben, weil die Renten der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), der Invalidenversicherung (IV) und die Ergänzungsleistungen (EL) gemäss dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs unpfändbar sind und die EL den Zweck haben gemeinsam mit diesen Renten und den anderen anrechenbaren Einnahmen das Existenzminimum zu sichern. Es kommt hinzu, dass die Gerichte Nichtanwälten die Bestellung zum unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verwaltungsverfahren der Sozialversicherungen verweigern, obwohl in Art. 37 Abs. 4 ATSG der Begriff “Rechtsbeistand” und nicht der Begriff “Rechtsanwalt” verwendet wird, die Rechtsprechnung des Bundesgerichts zu Art. 29 Abs. 3 BV, in dem auch der Begriff “Rechtsbeistand” benutzt wird eine unentgeltliche Verbeiständung durch Nichtanwälte (z.B. Anwaltspraktikanten) zulässt und die Parteien gemäss Art. 127 Abs. 4 StPO jede handlungsfähige, gut beleumundete und vertrauenswürdige Person als “Rechtsbeistand” bestellen können. Vor der Einführung des ATSG waren in den meisten Sozialversicherungszweigen die kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetze als Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahren bei den Sozialversicherungsträgern anwendbar und in mehreren Kantonen wurden dort auch Nichtanwälte zum unentgeltlichen Rechtsbeistand bestellt. Im Kanton Zürich ist das immer noch so und dort können Nichtanwälte (z.B. Betriebswirtschafter) Mandanten im Steuerecht oder in sonstigen Bereichen des kantonalen Verwaltungsrechts gegenüber Behörden vertreten. In den Materialen zum ATSG und im Amtlichen Bulletin des Ständerats und des Nationalrats wird keine Wille zu einer Änderung der bisherigen Praxis erkennbar. Es existiert kein Anwaltsmonopol im Verwaltungsverfahren im Bundessozialversicherungsrecht, sodass es unsinnig ist, ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage ausgerechnet nur für bedürftige Versicherte bei der unentgeltlichen Verbeiständung ein Anwaltsmonopol durch die Rechtsprechung der Gerichte einzuführen. Sozialversicherungsrecht ist in der Regel im rechtswissenschaftlichen Studium an Schweizer Universitäten kein Pflichtfach (oder ein Kurs mit Sozialversicherungsrecht in a nutshell als Literatur) und wird in der Regel bei der Anwaltsprüfung der Kantone nicht geprüft. In der Praxis finden ohnehin wenige Versicherte innerhalb der kurzen Rechtsmittelfristen einen Rechtsvertreter und reichen oft ihre Beschwerden ohne Vertreter ein, was oft zu einem Nichteintreten der Gerichte auf die Beschwerden oder zu einer Abweisung der Beschwerden führt. In dem Leitentscheid des Bundesgerichts, der gerne als Grund für die Verweigerung der Bestellung von Nichtanwälten zum unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verwaltungsverfahren der Sozialversicherungen angegeben wird, wurde übrigens einem bei einem Rechtsdienst eines Berufsverbands angestellten Rechtsanwalt die Bestellung zum unentgeltlichen Rechtsbeistand primäre damit verweigert, weil dieser auf Grund seiner Anstellung bei dem Berufsverband nicht unabhängig war. In diesem Leitentscheid war die Frage nicht zu beurteilen, ob selbständig erwerbstätige Nichtanwälte zum unentgeltlichen Rechtsbeistand bestellt werden können oder nicht.
@ Tades Brasauskas: Die Anwaltskammer ist die Aufsichtsbehörde der Anwältinnen. Sie beurteilt insbesondere Verstösse gegen die Berufsregeln, setzt sich aber nicht dafür ein, dass Anwälte von den Gerichten ein höheres Honorar zugesprochen wird. Meinen Sie allenfalls den (schweizerischen) Anwaltsverband? Diesem ist die Thematik sicherlich bekannt, ich weiss allerdings nicht inwiefern er sich damit befasst.
Im Übrigen ist es ja nicht so, dass (amtliche) Strafverteidigerinnen reihenweise den Hungertod sterben, weil ihnen die Honorare übermässig gekürtzt werden. Für mich besteht das Problem eher darin, dass der Staat einen finanziellen Anreiz schafft, amtliche Verteidigungen weniger sorgfältig zu führen, und damit das Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Damit erhöht er das Risiko von Fehlurteilen insbesondere zu Ungunsten von mittellosen Beschuldigten. Immerhin lassen sich meiner Erfahrung nach die meisten Anwälte von zu erwartenden Honorarkürzungen nicht davon abhalten, sich voll und ganz für ihre Klientinnen einzusetzen.
@Fabian: Genauso ist es. Und es kommt noch etwas dazu: Etliche Kollegen legen nur einen Teil ihres Aufwands offen und prahlen dann auch noch damit, Ihnen sei noch nie eine Kostennote gekürzt worden. Es gibt sogar welche, die dann die Differenz (also den auf der Kostennote nicht ausgewiesenen Teil) bei ihren Klienten zu holen versuchen. Das System ist voller Fehler und Fehlanreize. Denken wir nur daran, dass der amtliche Verteidiger einen Nachforderungsanspruch gegenüber seinem (u.U. vermögenden) Klienten nur dann hat, wenn Letzterer verurteilt wird (Anreiz zur Schlechtverteidigung). Sowas gibt es wohl nur im Gelobten Land Schweiz, der Wiege des Rechtsstaats.
Meldet man solche Probleme bei den Anwaltskammern? Wenn ja, wie reagieren die Kammern?
@Anonymous
Vielen Dank für die sehr interessanten Ausführungen im Bereich Sozialversicherung. Danke auch für die Links. Tatsächlich dachte ich auch das Rechtsagenten, Rechtshelfer usw. ebenfalls durch Anwaltskammern vertreten werden bzw. auch als Verteidigung bestellt werden können. Ich traf in meiner Arbeit vor Jahren schon zbs. im Kanton St Gallen “Rechtsagenten” die meine Klienten (ich vertrat fast hautsächlich in Arbeitssachen in Litauen oder Deutschland) im Bereich Sozialversicherung in der Schweiz vertraten. Das hier so stark eingeschränkt wird war mir nicht klar.
@Fabian Malovini @kj
Danke für die interessanten Eindrücke. Ja, ich dachte den Schweizerischen Anwaltsverband. Unser Verband sieht sich eher als politische Vertretung unseres Berufsstandes und wirkt doch sehr oft bei der Regierung oder im Parlament für unseren Berufsstand hin. Die ordentliche Bezahlung bleibt weiter ein Thema.
Wenn hier kein Kanzleibankrott stattfindet dann wird es doch nicht so ein massives Thema sein. Wenn man die Urteilsdatenbanken des Bundesstrafgerichts durchliest dann fällt es als unbefangener Leser schon stark auf wie hier um jeden Franken gekämpft wird. Irgendwie erinnerte mich das an unsere 90er Jahre.
In Litauen – wie gesagt an Deutschland angelehnt – empfande ich den Wechsel von der damals von uns praktizierten ” Privatautonomie” zwischen Staat und Anwalt + gerichtliches Ermessen nach Billigkeit zum bis in die letzten Züge geregelte “Pauschalsystem” aus Deutschland als Qualitätserhöhung für die Mandanten. Dieses weil nach meiner Meinung der litauische Anwalt Angst hatte vom Richter “bestraft” zu werden für halt “auffallende” Verteidigung. Ich kenne genug Beispiele die ihre Kanzlei in den 90er geschlossen hatten und sich als Wirtschaftsanwälte für Ausländische Firmen beworben haben nur weil sie entweder die zugesprochenen Gelder zu spät bekommen haben oder ihre Arbeit so massiv gekürzt wurde. Es gab tatsächlich diesen Anreiz einen Mandanten der zbs. ethnisch Russisch war oder früher beim KGB gearbeitet hatte schlechter zu verteidigen, nur weil man genau wusste das Richter X oder Y ein Fremdenfeind war und mit grosser Sicherheit das Honorar für zu gute Verteidigung kürzte. Ich war hier selber stark betroffen. Das schuf den Anreiz solche Mandanten schlecht zu verteidigen. Hier spielte aber natürlich auch unsere starke Inflation in den 90er eine Rolle die unsere Mieten stark verteuerte.
@Tades Brasauskas:
Ich schicke Ihnen noch zwei Urteile des Bundesgerichts, in denen es um Beschwerden gegen die Kürzung der Höhe der Parteientschädigung durch das Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich jeweils bei einem vollumfänglichen Obsiegen ging. Im ersten Fall wurde vor dem Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom Rechtsvertreter eine Kostennote für die Entschädigung eingereicht. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hat in seiner Begründung weder die Kostennote erwähnt, noch eine Begründung für die Kürzung erwähnt, sondern die von ihm zugesprochene Höhe der Parteientschädigung lediglich als “angemessen” bezeichnet. Das bereits erwähnte, besonders stossende Urteil 9C_485/2016 vom 21. März 2017 unterscheidet sich vom Urteil 8C_136/2016 vom 11. August 2016, dadurch, dass nur ein teilweises Obsiegen vorlag und deshalb nur für die Punkte, in denen obsiegt wurde oder die bereits von der Behörde nicht ausreichend begründet wurden und deshalb auf Grund des Verursacherprinzips zu entschädigen gewesen wären, zu entschädigen waren. Man kann darüber spekulieren, ob sich das Bundesgericht überhaupt die Akten von der Vorinstanz hat senden lassen, da man sonst kaum auf die Idee kommt, dass die Replik auf die Beschwerdeantwort unnötig war, wenn in der Beschwerdeantwort der Behörde Argumente enthalten waren, welche nicht im Einspracheentscheid enthalten waren und die Beschwerdeführerin im Einspracheverfahren noch nicht durch ihren Rechtsvertreter vertreten war und somit die Akten erst im Beschwerdeverfahren zu lesen waren. Allein der Stapel an Akten war sehr hoch und die Behörde mit ihrer Beschwerdeantwort und ihrer Duplik zu Replik ist ständig mit neuen Argumenten gekommen. Im Urteil U 249/02 vom 11. November 2002 hat das Bundesgericht wenigstens nachvollziehbar quantifiziert welcher Anteil für den Punkt angefallen war, in dem unterlegen wurde. Auch das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (das später in das Bundesgericht integriert wurde) vom 30. Mai 1995 i.S. X in SVR 1995 MV Nr. 4 S. 11 ff. ist ein gutes Beispiel, dass auch bei einem teilweisen Obsiegen bei der Festsetzung der Höhe der Parteientschädigung die gesetzlichen Bemessungskritieren für die Höhe der Parteientschädigung einzuhalten sind.
Urteil 8C_136/2016 vom 11. August 2016 = Beschwerde gegen das Urteil UV.2014.00115 vom 18. Januar 2016 des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich, wo man dessen nichtssagende formelhafte Begründung für die Höhe der Parteientschädigung nachlesen kann.
https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://11-08-2016-8C_136-2016&lang=de&zoom=&type=show_document
Urteil 8C_262/2014 vom 3. Juli 2014 = Beschwerde gegen das Urteil UV.2010.00159 vom 7. Januar 2013, , wo man dessen nichtssagende formelhafte Begründung für die Höhe der Parteientschädigung nachlesen kann.
https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://03-07-2014-8C_262-2014&lang=de&zoom=&type=show_document
Urteil U 249/02 vom 12. November 2002
https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://12-11-2002-U_249-2002&lang=de&zoom=&type=show_document
Heute hat das Bundesgericht ein Urteil veröffentlicht, in dem das Bundesgericht eine Beschwerde gegen die Höhe der Parteientschädigung von 1’615.50 Franken gemäss Art. 95 ZPO in einem familienrechtlichen Berufungsverfahren des Kantonsgerichts Luzern und den Antrag stattdessen eine Parteientschädigung von mindestens 6’000 Franken zuzusprechen abgewiesen hat. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wurde wegen der Aussichtslosigkeit der Beschwerde abgewiesen, aber wenigstens auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet. Der Rechtsanwalt hatte es unterlassen vor dem Urteil des Kantonsgerichts Luzern bei diesem seine Honorarnote einzureichen. Ich bezweifle allerdings, dass das Kantonsgericht Luzern dann anders geurteilt hätte. Das Urteil des Bundesgerichts zeigt eindrücklich, dass kantonale Gerichte nicht in ausreichend nachvollziehbarer Weise begründen müssen, wie sie die Höhe der Parteientschädigung ermittelt haben und, dass es keine ausreichend wirksame Möglichkeit gibt die Höhe der Parteientschädigung beim Bundesgericht anzufechten.
Urteil 5A_457/2019 vom 13. März 2020
https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://13-03-2020-5A_457-2019&lang=de&zoom=&type=show_document
Heute wurde ein Urteil des Bundesgerichts veröffentlicht, in dem dieses die Beschwerde eines Rechtsanwalts gegen die Kürzung der Höhe seiner Entschädigung als unentgeltlicher Rechtsbeistand durch das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich abgewiesen hat. Da im kantonalen Verfahren teilweise obsiegt wurde entspricht die Summe aus der vom kantonalen Gericht zugesprochenen Parteientschädigung für das teilweise Obsiegen und der Entschädigung als unentgeltlicher Rechtsbeistand für das teilweise Unterliegen von 2’600 Franken (bei einem Stundensatz von 220 Franken zuzüglich Mehrwertsteuer) im Vergleich zu den in der Honorarnote verrechneten 3’437 Franken einer Kürzung um fast ein Viertel (24 Prozent). Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich zeigt exemplarisch auf, wie unsorgfältig solche Kürzungen der Entschädigungen von Rechtsvertretern durch kantonale Gerichte oft erfolgen. Das kantonale Gericht hat unter Anderem einen Zeitaufwand von je 15 Minuten für das Lesen von zwei Schreiben des kantonalen Gerichts selbst und das Verfassen eines Kurzbriefs an den Klienten als Reaktion auf eines dieser Schreiben des Gerichts mit der Begründung verweigert, dass diese beiden Schreiben des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich nicht in den Akten des Gerichts enthalten sind. Das Bundesgericht hat in der Erwägung 5.3 der Begründung seines Urteils immerhin festgestellt, dass die Behauptung des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich, dass zwei seiner eigenen Schreiben nicht existierten, aktenwidrig ist. Die Nichtentschädigung des Zeitaufwands von insgesamt 30 Minuten für diese beiden Schreiben des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich macht immerhin 3 % der Honorarnote aus und ist damit ein wesentlicher Teil der Kürzung von insgesamt 24 Prozent. Das Bundesgericht sieht die Höhe der gesamten Kürzung der Entschädigung “im Ergebnis” aber trotzdem nicht als willkürlich und weist die Beschwerde ab. Meines Erachtens ist eine solche Vorgehensweise “im Ergebnis” ein Ersetzen des fehlerhaft, weil das Bundesgericht einfach das vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wegen dessen Übersehen von zwei seiner eigenen Schreiben fehlerhaft ausgeübte Ermessen durch seine eigenes Ermessen ersetzt. Meiner Ansicht würde das Bundesgericht keinen Eingriff in die Ausübung des Ermessens durch das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich begehen, wenn es stattdessen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich aufhebt und das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich anweist neu über die Höhe der Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistands zu entscheiden. Dann hat das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Gelegenheit zu entscheiden, ob es seinen Fehler einsieht und die Kürzung um den Aufwand für die 30 Minuten Bearbeitung dieser beiden existierenden Schreiben rückgängig macht oder eine neue Begründung findet, warum es irgendwo zusätzlich 30 Minuten als angeblich unnötig oder nicht angemessen kürzt. Überraschende “Heilungen” von Fehlern durch das Bundesgericht sind der Rechtssicherheit und dem Anspruch auf rechtliches Gehör zu neuen formelhaften Ersatzbegründungen nicht dienlich. Das Bundesgericht hätte dem Rechtsanwalt gemäss dem Verursacherprinzip eine reduzierte Parteientschädigung für das Verfahren vor Bundesgericht zusprechen können, weil das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich durch seine aktenwidrige Behauptung den Aufwand verursacht hat in einer Beschwerde beim Bundesgericht die Aktenwidrigkeit der behaupteten Nichtexistenz von zwei Schreiben des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich zu rügen.
Urteil 9C_433/2019 vom 25. März 2020 Erw. 5.2 und Erw. 5.3
https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://25-03-2020-9C_433-2019&lang=de&zoom=&type=show_document