Rechtswidrige oder unberechtigte Haft?
Es kommt erstaunlich oft vor, dass Beschuldigte in Verfahren in Untersuchungshaft versetzt werden, die später mit Freispruch oder Einstellung enden. Ob, in welchem Umfang und nach welcher Bestimmung die beschuldigte Person dadurch Genugtuungsansprüche zustehen, ist teilweise unklar.
Das Bundesgericht unterscheidet zwischen rechtswidriger und unberechtigter Haft, so auch in einem neuen Urteil (BGer 6B_1076/2016 vom 12.01.2017). Es schliesst sich der Auffassung an, dass ein Anspruch sowohl bei ungerechtfertigter (Art. 429 StPO) und rechtswidriger (Art. 431 Abs. 1 StPO) als auch bei Überhaft (Art. 431 Abs. 2 StPO) besteht.
Rechtswidrig im Sinne von Art. 431 Abs. 1 StPO ist eine Haftanordnung, wenn sie von allem Anfang an ungesetzlich war. Die blosse Tatsache, dass sie sich im Nachhinein als unberechtigt erweist, lässt sie als ungerechtfertigt, nicht aber als rechtswidrig erscheinen (…). Vorliegend war eine Präventivhaft angeordnet worden (…). Die Voraussetzungen der Haftanordnung waren unbestritten gegeben. Es konnte keine Anrechnung erfolgen, weil das Verfahren eingestellt wurde. Die Haftanordnung war für die Dauer ihrer Anordnung gerechtfertigt und stellte sich nachträglich aufgrund der Verfahrenseinstellung als ungerechtfertigt heraus (…) [E. 3.2].
Dennoch sind die Unterschiede zu beachten, denn ungerechtfertigte Haft begründet u.U. gar keine Ansprüche:
3.4. Wird das Verfahren gegen die beschuldigte Person eingestellt, so hat sie gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO Anspruch auf Genugtuung für besonders schwere Verletzung ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug. Diese gesetzliche Grundlage für den Anspruch auf Schadenersatz und Genugtuung wurde im Sinne der Kausalhaftung ausgestattet. Die Genugtuung wird regelmässig gewährt, wenn sich die beschuldigte Person in Untersuchungs- oder Sicherheitshaft befand (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1329).
Die Strafbehörde kann die Entschädigung oder Genugtuung gemäss Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO herabsetzen oder verweigern, wenn die beschuldigte Person rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt hat. Ein solches Verhalten schliesst im Allgemeinen jegliche Pflicht des Staates zur Gewährung einer Entschädigung oder Genugtuung aus; liegt bloss ein leichtes Verschulden vor, kann eine herabgesetzte Entschädigung oder Genugtuung in Betracht kommen (Botschaft, a.a.O., S. 1330). Es sind dies die gleichen Gründe, die nach Art. 426 Abs. 2 StPO eine Auflage der Verfahrenskosten erlauben; liegen solche Gründe vor, sind Entschädigung und Genugtuung im Regelfall ausgeschlossen (SCHMID, a.a.O., Rz. 1820, 1821) [E. 3.4].
Das Bundesgericht hat das angefochtene Urteil kassiert, weil die Vorinstanz einen Anspruch wegen Überhaft bejaht hatte. Überhaft ist immer zu entschädigen. Die Vorinstanz muss neu nach Art. 429 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO prüfen. Die ursprünglich zugesprochene Genugtuung von CHF 2,600.00 wackelt.