reformatio in peius im Massnahmenrecht

Das Bundesgericht hat auf staatsrechtliche Beschwerde hin zu prüfen, ob die vom Obergericht des Kantons Luzern angeordnete Arbeitserziehung (Mindestdauer: 1 Jahr) gegen das Verbot der reformatio in peius verstiess. Erstinstanzlich war der Beschwerdeführer zu 10 Monaten Gefängnis und zu einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung ohne Strafaufschub verurteilt worden.

Das Bundesgericht (Urteil 6P.73/2006 vom 29.06.2006) hielt zunächst fest, dass das strafprozessuale Verschlechterungsgebot nicht zu den verfassungsmässigen Rechten zähle. Zum Sinn und Zweck hielt es fest:

Das Verbot der reformatio in peius will verhindern, dass der Angeklagte aus Angst vor einer strengeren Bestrafung davon absieht, ein Rechtsmittel einzulegen (E. 3).

Zur Frage, ob das Verschlechterungsverbot auch für Massnahmen gilt, fasst das Bundesgericht verschiedene Lehrmeinungen zusammen:

Während unbestritten ist, dass unter dem Aspekt des Verbots der reformatio in peius eine schärfere bzw. höhere Strafe nicht ausgesprochen werden kann als dies die erste Instanz getan hat, sind die Ansichten, wie es sich diesbezüglich bei Massnahmen verhält, die gegebenenfalls strenger als die ausgefällte Freiheitsstrafe wirken, geteilt (E. 3).

Ohne die Frage selbst zu beantworten kommt das Bundesgericht dann zum Sinn und Zweck der Arbeitserziehung,

Die Einweisung in eine Erziehungsanstalt bildet damit eine sozialpädagogische-therapeutische Massnahmeform, in deren Rahmen der im Kindes- und Jugendstrafrecht vorherrschende Fürsorge- und Erziehungsgedanke nachwirkt (E. 4).

leitet dann über zum kantonalen Recht (§236 Abs. 2 StPO/LU) und schützt die Auffassung der Vorinstanz, wonach

die Neuanordnung der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt gemäss Art. 100bis StGB nicht unter das Verschlechterungsverbot nach § 236 Abs. 2 StPO/LU falle, weil diese Norm nur Sanktionen mit Strafcharakter erfasse, was auf die bessernde Massnahme von Art. 100bis StGB, welche die Integration des Betroffenen in die Gesellschaft bezwecke, gerade nicht zutreffe. Sinngemäss geht es dabei davon aus, dass bei einer bessernden Massnahme wie Art. 100bis StGB der Gesichtspunkt eines allenfalls längeren Freiheitsentzugs bzw. einer gegebenenfalls weitergehenden Freiheitsbeschränkung in den Hintergrund tritt. Diese Auffassung des Obergerichts lässt sich sachlich vertreten (E. 5).

Damit war natürlich die willkürliche Anwendung kantonalen Strafprozessrechts zu verneinen und die Beschwerde abzuweisen.

Ob der Entscheid richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Wenn ich in Zukunft einen Klienten vertrete, dem eine Massnahme droht, die er (subjektiv) als schwerwiegender empfindet als eine Gefängnisstrafe, muss ich ihn auf das Risiko des Rechtsmittels aufmerksam machen. Wahrscheinlich wird er dann aus Angst vor als schwerwiegender empfundenen Massnahme auf das Rechtsmittel verzichten. Es tritt also genau das ein, was das Verschlechterungsverbot ausschliessen sollte.