Richter in eigener Sache?
Ein Beschwerdeführer verlangte in einer Strafrechtsbeschwerde den Ausstand des Präsidenten der Strafrechtlichen Abteilung unter Hinweis auf dessen “linksgrüne” Parteizugehörigkeit. Andere, strafrechtlich relevante Anwürfe gegenüber dem Präsidenten gingen dem Bundesgericht dann aber zu weit (BGer 6B_620/2018 vom 09.10.2018).
Es büsste den Beschwerdeführer gestützt auf Art. 33 Abs. 1 BGG, der da lautet:
Wer im Verfahren vor dem Bundesgericht den Anstand verletzt oder den Geschäftsgang stört, wird mit einem Verweis oder einer Ordnungsbusse bis zu 1000 Franken bestraft.
Wer die Busse ausspricht, steht übrigens nicht Gesetz. Es dürfte aber kaum sachgemäss sein, wenn es der Spruchkörper selbst ist, dem der beschimpfte (und strafantragsberechtigte) Richter selbst angehört.
Analogie zu Art. 63 und 64 StPO? Da kann auch die Verfahrensleitung – bspw. der Staatsanwalt – Personen bestrafen, die den Geschäftsgang, den Anstand verletzen etc. mit Ordnungsbusse bestrafen.
Sehr geehrte LeserInnen
Es trifft zu, dass diese Art der Sanktionierung des Beschwerdeführers nicht mit der Menschenrechtskonvention vereinbar ist. Dies wurde bereits durch den Gerichtshof in dem Fall Kyprianou v. Cyprus entschieden. Passend mit dem Tite dieses Artikels „Nemo Index in sua causa“
https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-71671#{“itemid”:[“001-71671”]}
Irgendwie erinnert mich dieses Vorgehen des Bundesgerichts an unzählige Kostenauflagen an einen „Rechtsanwalt B“
D.h. Art. 64 Abs. 1 StPO ist ihrer Einschätzung nach EMRK-widrig, wenn eine Verletzung des Anstands gegenüber dem Gericht vorliegt? Die Anhänger der SBI werden sich freuen.
Wie muss es denn richtigerweise ablaufen, wenn der Anstand gegenüber dem Gericht z.B. in einer Verhandlung missachtet wird und eine Ordnungsbusse ausgesprochen werden soll?
Sehr geehrter “Anonymous”
Wenn Sie das Urteil Kyprianou v. Cyprus lesen, werden Sie feststellen, dass nicht die Busse als solche, sondern die Verurteilung durch die gleichen Personen, die von der Sache selbst betroffen waren, das Problem darstellte. Dass in solch einem Fall der Betroffene Zweifel an der Neutralität und Unvoreingenommenheit hegt, dürfte wohl nachvollziehbar sein. Um nichts anderes ging es da.
Und hinsichtlich der SBI: So sehr ich den Gedanken der Initianten nachvollziehen kann, wird dies den internationalen Vertragspartnern ziemlich gleichgültig sein, ob die SBI durch einen Volksentscheid legitimiert sein wird, oder nicht. Schauen Sie doch einmal in Art. 26 und 27 (sowie Art. 46) des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge. Bei dem Grundsatz “pacta sunt servanda” handelt es sich zudem um Völkergewohnheitsrecht mit absoluter Geltung.
Wenn also die SBI angenommen werden sollte, dann wird die Schweiz aller Voraussicht nach auf internationaler Ebene erheblichen Problemen entgegensehen. Dies gilt auch bei einem Austritt aus der EMRK, da diesen Gedanken auch die britische Premierministerin Theresa May anlässlich des Brexit äusserte:
https://www.theguardian.com/politics/2016/apr/25/uk-must-leave-european-convention-on-human-rights-theresa-may-eu-referendum
https://www.bbc.com/news/uk-politics-eu-referendum-36128318
Die Ähnlichkeiten in der Argumentationslinie zwischen May und der SBI sind beeindruckend.
Die Europäische Union hat indes jedwede Vertragsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit an den Verbleib in der Menschenrechtskonvention gekoppelt (unter Anwendung einer Guillotine-Klausel), worauf Theresa May plötzlich doch nichts mehr von einem Austritt aus der EMRK wissen wollte:
https://www.independent.co.uk/news/uk/politics/conservative-manifesto-uk-echr-european-convention-human-rights-leave-eu-next-parliament-election-a7742436.html
https://www.independent.co.uk/news/uk/politics/brexit-human-rights-european-court-echr-leave-after-theresa-may-tories-european-parliament-eu-a8096546.html
https://www.theguardian.com/law/2018/jun/18/brussels-seeks-to-tie-uk-to-european-human-rights-court-after-brexit
Dies dürfte sehr anschaulich aufzeigen, was die SBI für Folgen haben könnte. Auch die Guillotine-Klausel kennt man bereits aus den Bilateralen Verträgen. Am 26. November 2018 kann dieses Thema allenfalls vertieft werden. Bis dahin wäre alles andere reine Spekulation. Jedoch sollte dies den Anhängern der SBI vor der Abstimmung evtl. erklärt werden, über was da konkret abgestimmt wird.
Mit freundlichen Grüssen
Oliver Lücke, Rechtsanwalt
@ Lücke: Was heisst das denn nun, wenn nicht die Busse, sondern die Verurteilung das Problem waren? Wenn ein Gericht eine Ordnungsbusse ausspricht, kann es nachher nicht mehr in der Sache urteilen?