Richter oder Treuhänder? Beides!
Ein Beschuldigter lehnte den Präsidenten seiner Rechtsmittelinstanz erfolglos ab. Das Bundesgericht weist seine Beschwerde ebenfalls ab, was ich im vorliegenden Fall nur schwer verstehe (BGer 1B_298/2010 vom 03.11.2010). Der Beschuldigte bzw. Beschwerdeführer
führt aus, Kantonsgerichtspräsident X.Y. sei Partner der Gesellschaft Ernst & Young. Diese Gesellschaft spiele in einem Anklagepunkt eine wichtige Rolle. Er werde im Strafverfahren unter anderem beschuldigt, Anleger getäuscht zu haben in Bezug auf ein geplantes Anlagegeschäft, für dessen Seriosität er sich auf schriftliche Zusicherungen von Ernst & Young Bahamas berufen könne. Somit werde im Prozess die Rolle von Ernst & Young im betreffenden Anlagegeschäft zu würdigen sein. Die Position des Kantonsgerichtspräsidenten X.Y. als Partner von Ernst & Young sei geeignet, beim Beschwerdeführer und beim objektiven Betrachter Zweifel an seiner Unabhängigkeit zu nähren (E. 2.2)
Die Rüge erscheint zunächst als offensichtlich begründet. Dem war dann aber doch nicht so:
Es besteht aufgrund der vom Beschwerdeführer dargelegten Umstände nicht der Anschein, dass der Kantonsgerichtspräsident ein persönliches Interesse am vorliegenden Appellationsverfahren hätte. Es ist nicht ersichtlich, dass er bzw. die Ernst & Young Schweiz an den im Prozess zur Sprache kommenden Anlagegeschäften in irgendeiner Weise beteiligt gewesen wäre oder ein eigenes Interesse an einer bestimmten Würdigung der Tätigkeit eines früheren Angestellten der Ernst & Young Bahamas haben könnte. Weder Ernst & Young Schweiz noch Ernst & Young Bahamas sind Parteien im Strafprozess (E. 2.4).
Diesen Entscheid wird ein Jurist wohl gerade noch nachvollziehen können, ein Laie wie der Beschwerdeführer mit Sicherheit nicht. Die Justiz kann sich Fehlurteile leisten. Was sie sich nicht leisten kann ist der (mehr oder weniger) begründete Eindruck, dass sie nicht unabhängig sei. Richter sind sich nach meiner Erfahrung zu wenig bewusst, wie gross die Erwartungen der Parteien an ihre Unabhängigkeit sind und wie misstrauisch die Klienten in dieser Beziehung sind. Ich habe selten Klienten erlebt, die an der Kompetenz eines Richters gezweifelt haben. Ich erlebe es aber regelmässig, dass sie Angst vor parteiischen Richtern haben.