Richterliche Selbstdemontage
Nach einem Beitrag der Republik haben die ZMG des Kantons Zürich im Jahr 2021 1,069 Haftanträge der Staatsanwaltschaft beurteilt. Dabei hiessen sie die Anträge in 1,009 Fällen gut oder teilweise gut. Diese Quote wirft die Frage der Unabhängigkeit der ZMG auf, zu der sich “die Verantwortlichen” – immer gemäss Republik – u.a. wie folgt äusserten:
Grund für die mehrheitlichen Gutheissungen dürfte sein, dass die Staatsanwaltschaften sorgfältig arbeiten und in der Regel nur dann Untersuchungs- oder Sicherheitshaft – als Ultima Ratio – beantragen, wenn Ersatzmassnahmen nicht ausreichen», schreiben die Gerichte.
Das Erschreckendste an dieser Stellungnahme ist, dass die ZMG nicht einmal mehr zu erkennen scheinen, wie befangen sie sind.
Das dünkt mich krass und nicht plausiblel. Ich habe noch nie auf dem ZMG gearbeitet. Warum werden alle Fälle genehmigt?
@Gerichtschreiber: Ich habe schon auf praktisch allen Instanzen gearbeitet, u.a. auch am ZMG. Letztlich wird nur für ein ganz kleiner Anteil der Fälle, wo Haft möglich ist, auch Haft beantragt. Fluchtgefahr ist wegen des hohen Ausländeranteils in der Schweiz häufig möglich und Kollusionsgefahr zumindest kurzzeitig sogar in der Mehrzahl der Verbrechen oder Vergehen. Ein Haftantrag erfolgt letztlich nur in einem tiefen einstelligen Prozentbereich der möglichen Fälle.
Meiner Meinung nach ist damit eher das Gegenteil der Fall: Überlastete oder nur bedingt arbeitswillige Staatsanwälte, die sich ausser in klaren Fällen (wo man praktisch muss) aus Bequemlichkeit den Gang vors Zwangsmassnahmengericht sparen.
Der “erschreckende” Befangenheitsvorwurf ist in meinen Augen lächerlich, im Übrigen genau so wie das politisch einseitig gefärbte Medium, das regelmässig bei seinen selbsternannten “Verlegern” nach Geld betteln muss.
@Anonymous: genau so ist es….
@Anonymous: Was soll das heissen, “Fluchtgefahr ist wegen des hohen Ausländeranteils in der Schweiz häufig möglich und Kollusionsgefahr (…) sogar in der Mehrzahl der Verbrechen oder Vergehen”? Im Gesetz steht doch, die Anordnung von Untersuchungs- und Sicherheitshaft sei nur zulässig, wenn “ernsthaft zu befürchten” ist, dass eine Person flüchtet, kolludiert, eine Straftat wiederholt oder ausführt; die blosse (theoretische) Möglichkeit soll doch gemäss klarem Wortlaut (und den Urteilsfloskeln) gerade nicht genügen, um jemanden in Haft zu versetzen.
@Anonymous: Ich stimme Ihnen absolut zu. Das Anreizsystem ist für Staatsanwälte so gelegt, dass nur wenn es nicht anders geht, ein Haftantrag gestellt wird. Haftfälle sind für die Strafverfolgungsbehörden auf allen Ebenen ein zusätzlicher Aufwand und dieser wird aufgrund der bereits bestehenden Überlastung wenn möglich vermieden.
Ein gegenläufiger Einfluss hingegen kommt von der öffentlichen Forderung nach Null-Risiko. Insbesondere Forderungen aus dem rechten politischen Spektrum, wo einzelne Exponenten teilweise soweit gehen, eine persönliche Haftung von Entscheidträgern zu fordern, sollte eine behördlich bekannte Person eine Straftat begehen. Es wäre wahrscheinlich naiv zu glauben, dass dieser öffentliche Druck keinen Einfluss auf die Staatsanwälte und Richter hat, bei heiklen Entscheiden insbesondere im Bereich von Ausführungs- oder Wiederholungsgefahr.
Sehr schön formuliert. Es ist in der Praxis tatsächlich so. Und die “Republik” kann man rauchen.
@ Thomas
Nicht anders geht heisst in Casu vorallem keine Beweise für das angebliche Verhalten zu haben um damit (unzulässigen) Druck auf den Beschuldigten auszüben auf seine eigene Überführung hinzuwirken. Also Beugehaft, oder Folter. Das die Schweiz mit grossem Abstand am meisten Untersuchungshäftlinge verglichen mit anderen Europäischen Staaten hat, belegt in dieser Hinsicht bereits vieles, ein wunder das im Hinblick auf die Fluchtgefahr nicht gleich noch die Kleinräumigkeit angeführt wird, dann kommt noch hinzu jeder redet mindest eine Sprache welche auch im nahen Ausland gesprochen wird, damit ist eile Grenze in Stunden zu erreichen und eine problemlose integration jedem möglich.
Der lächerliche „Rechtstaat“ mit seinen Helfers Helfern ist sich ja um kein Argument zu schade um seine Rechtsbrüche noch irgendwie zu rechtfertigen, eine einzige Schande.
Vielleicht ist an der stellungnahme der zmg was dran. Das könnte doch auch sein. Zudem glaube ich nicht, Staatsanwaltschaften darauf aus sind, möglichst auf teufel komm raus haftfälle zu haben. Diese sind stressig, aufwändig und mühsam (was der sache nach auch angemessen ist). Darum reissen sich die notorisch stark belasteten STA nicht.
@Haftturbo: ich widerspreche Ihnen gar nicht, solange Sie das nicht als Haftrichter sagen.
……eines ist klar: falls die Staatsanwaltschaften wie früher praktisch in Eigenregie Haft anordnen könnten, käme es für den Beschuldigten wohl kaum besser heraus….
Und zudem: da das BGer praktisch nie eine Haftbeschwerde gutheisst zeigt ja eindrücklich, dass die Voraussetzungen zur Anordnung/Verlängerung, etc. der Haft wohl gegeben gewesen waren….aber gemäss kj sind ja auch da alle Richter befangen oder nicht objektiv….
Wenn man (wir, die Gesellschaft) weniger Personen inhaftieren will, was legitim wäre, so muss man das Gesetz ändern bzw. die Voraussetzungen für diese Zwangsmassnahme ändern…so einfach ist das.
@Anonymous: Der Vergleich mit dem Bundesgericht hinkt gewaltig und stimmt zudem nicht einmal. Trotz eingeschränkter Kognition heisst das BGer aus meiner Sicht relativ viele Haftbeschwerden gut, manchmal sogar reformatorisch mit direkter Entlassungsanordnung.
@kj: Mich würde interessieren, wie viele Prozent der weinigen Prozent aller vor Bundesgericht angefochtenen, zweitinstanzlich beurteilten Haftfälle, die sich mit den wenigen Prozent aller Strafverfahren befassen, in denen ein Haftantrag gestellt wird, tatsächlich zu einer Gutheissung der Beschwerde führen. Mit der Heraufbeschwörung einer generellen Befangenheit des ZMG wird hier wahrlich aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Das wirkliche Problem liegt nicht bei der Anordnung von Haft, sondern bei der beförderlichen Behandlung der Haftfälle durch die Strafjustiz (bis hin zu einem Bundesgericht, welches das Beschleunigungsgebot in Haftsachen auch auf sich selbst anwenden sollte).
@B.S.: Im Haftrecht gibt es keine Mücken. Und noch ein letzter Versuch: Es war die Stellungnahme der ZMG, welche mich erschreckt hatte, nicht die Erfolgsquoten, die ich seit 30 Jahren bestens kenne. Wer als Richter davon ausgeht, dass Staatsanwälte schon sorgfältig arbeiten, zumal jeder Haftfall Arbeit bedeutet, der läuft zumindest Gefahr, nicht kritisch genug zu prüfen. Wer davon ausgeht, dass Staatsanwälte sorgfältig arbeiten, braucht im Grunde gar keine Richter, schon gar keine Zwangsmassnahmenrichter.
@kj. Da widerspreche ich Ihnen. Nur weil man sagt resp. davon ausgeht, dass die Sta sorgfältig arbeitet, heisst das noch nicht, dass nicht kritisch geprüft wird (immerhin schwächen Sie ab und sprechen von der “Gefahr”, die mindestens bestehe). Auch bei den rechtsanwälten ist die prämisse, dass sie sorgfältig und gewissenhaft arbeiten. Die Einstellung ist nicht, dass grundsätzlich unsorgfältig gearbeitet wird.
Sorry Herr Kollege, Ihre Bemerkung, wonach die ZMG nicht einmal zu erkennen erscheinen, wie befangen sie sind, ist völlig deplatziert, nicht objektiv und reisserisch (auch wenn Sie aus Sicht eines Strafverteidigers schreiben). Ich kann aus eigener Erfahrung sagen (und auch für den weitaus grössten Teil meiner Berufskollegen/-kolleginnen sprechen), dass STA’s nur Haftantrag beim ZMG stellen, wenn auch wirklich Haftgründe gegeben sind und eine Versetzung in U-Haft wirklich angezeigt erscheint. Haftfälle verursachen überdies erhebliche Mehrarbeit und nur schon aus diesem Grund sind STA’s, da sie nebenbei noch viele andere Fälle haben, grundsätzlich eher zurückhaltend bei der Stellung von Haftanträgen. Wenn nun im Kt. ZH die dortigen ZMG’s einen Grossteil der Haftanträge gutheissen, greift es zu kurz, die ZMG einfach pauschal als befangen zu erklären. Anscheinend haben die ZH-ZMG’s den ZH-STA’s eine sorgfältige Arbeitsweise ausgestellt. Jetzt deswegen einfach sämtliche ZMG’s als “befangen” zu erklären, ist schlechter Stil und eigentlich eine “Beleidigung” der ZH-ZMG’s.
@Staatsanwalt J. Glaus: wieso so empfindlich? Wenn Sie als Staatsanwalt so argumentieren wie die ZMG, dann habe ich damit nicht das geringste Problem. Wenn es aber ein ZMG tut, dann kann es halt einfach nicht mehr unabhängig sein. Was würden Sie zu einem Haftrichter sagen, der Haftanträge zu 94% abweist, weil die Verteidigung in fast allen Fällen sehr sorgfältig und überzeugend argumentiert?
@kj: was für ein Nonsense, den Sie da vorbringen…..der Vergleich mit der Verteidung hinkt ja total…
Ok, Sie sind Strafverteidiger und natürlich NULL objektiv. Das ist in Ordnung…
Zudem: das BGer entlässt eben bei einer Gutheissung einer Haftbeschwerde – was entgegen Ihren Behauptungen eben gerade selten vorkommt (und das wissen Sie ganz genau) – die beschuldigte Person nicht direkt. Im besten Fall kann die Vorinstanz das Vorliegen anderer Haftgründe oder die Anwendung von Ersatzmassnahmen prüfen (auch das sollte Ihnen bewusst sein, nachdem Sie ja jeden Mittag die neuesten Urteile lesen…). Alles andere ist reiner Populismus.
Von wegen Unsinn. Hier im Blog finden Sie etliche BGer-Urteile, die Sie widerlegen.
Wieso so empfindlich? Was empfinden Sie, wenn ich Ihnen vorhalte, dass Sie schon längst nicht mehr in der Lage sind, die Fakten – nämlich dass das ZMG einfach aufgrund der Aktenlage zur selben Konklusion wie die Staatsanwaltschaft kommen muss – wertneutral anzuerkennen, weil nach Ihrer Vorstellung einfach nicht sein kann, was nicht sein darf?
@Anonymous: Ich empfinde gar nichts, wenn mir jemand etwas vorhält, der sich hinter Anonymität versteckt. Sie haben meine Kritik an der Stellungnahme der ZMG übrigens nicht verstanden. Insofern war es klug, sich nicht zu outen.
Sehr geehrter Herr Staatsanwalt. Die Schweiz ist in Europa der Rekordträger an U Häftlingen. Weshalb seit 2016 in jedem AI Bericht die Schweiz dafür kritisiert wird. Schweden, Österreich und die Schweiz oder Norwegen sind vergleichbar, wieso dann um einen Grossteil mehr U Hänftlinge pro Kopf in der Schweiz einsitzen ist mir unbegreiflich. Insofern denke ich schon die ZMGs sind doch nicht so gründlich.
Zur Problematik der vorläufigen Festnahme durch Polizei und Staatsanwaltschaft veranlasst habe ich schon mehrmals hier geschrieben.
Sind die Haftgründe in diesen Ländern gleich geregelt wie in der Schweiz?
Schweiz 25% Ausländeranteil, Österreich bspw. 14%, Schweden 7% – wenn Fluchtgefahr ein häufiger Grund ist, gibt dies einen Hinweis auf eine möglicherweise relativ skandalabwesende Erklärung…
Jeder Hanfbauer wo auxh überhaupt kein einziger Abnehmer bekannt ist, wird von der Staatsanwaltschaft wegen Vergehens verfolgt und in aller Regel in U-Haft gesteckt. Warum das dies bei Selbstschädigung Notwendig sein solle, inbesondere da der Staat dann gerne die Menschenrechte der betroffenen in Uhaft verletzt konnte sich mir bisher nicht erschliessen.
Wir bestrafen Selbstschädigung und schädigen die Selbstschädigenden mit Schocks welche viele bei Ihrer Verhaftung erleiden und anschliessend stark damit zu kämpfen haben.
Ja ich rede aus Erfahrung ich hatte schon diverse Hausdurchsuchungen wegen Hanfanbau, war diversemale in Untersuchungshaft und wurde im Endeffekt immer nur für Eigengebrauch verurteilt….die Pauschalen oder auch die Erhöhten Entschädigung sind ein Lachnummer und ersetzen jeweils nicht mal den Einkommensverlust. Ich kenne Fälle da sind Hanfbauern den Staatsanwälten in Uhaft vergessen gegangen….
Ihre Darstellung entspricht daher nicht meiner Erfahrung U Haft wird gerne als Beugehaft missbraucht….
Das die Schweiz das Land ist in Europa mit den meisten U Häfltingen kann man seit Jahren in den AI Reporten lesen. Weshalb das mich das mit dem ZMG auch nicht wundert.
Wenn man mal Deutsche U Beschlüsse mit den ZMGs vergleicht, dann weiss man sofort war bei einem Deutschen Richter vorlag, bei einem ZMG Beschluss liest man meistens standartisierte Texte oft ohne wirklichen Bezug zu Sache.. Na ja..
Problematisch finde ich aber noch etwas anderes. Sie führen keine Statistik über die polizeilich verhafteten Personen. Ich kenne aus dutzenden von Fällen etreffend Fernfahrern die über mehrere Tage ohne gerichtlichen Beschluss in Haft waren wegen stärkeren Verkehrsdelikten. Allgemein ist bei Fernfahrern schon bekannt das in der Schweiz man ohne Mühe 3 oder 4 Tage in Haft sitzen kann ohne einen Anwalt oder RIchter gesehen zu haben. Ich finde das sollten sie mal statistisch erfassen um zu sehen ob das alles so wirklich ist was ich schreibe. Ich habe meine Beobachtungen schon mehrmals an die Schweizer AI gesendet. Die antwortete mir, man werde es untersuchen.
In Litauen läuft es sicher besser….eieiei…macht fast weh
@Anonymous Die Schweiz ist nicht der Nabel der Welt und nicht der Hort der Sehligen. Es gibt dort auch Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit.
Ja tut es den am Schluss kann ich es dort gleich noch auf det Strasse klären und dem Polizisten 300 Stutz in die Hand drücken, hier beschäftigen sich 15 Personen mit dem Fall und am Schluss ist die Busse auch 300 und die Verfahrenskosten 1400.00 ich nenne es Beschäftigungstherapie von geistig verwahrlosten die man nur noch bei den Strafverfolgungsbehörden brauchen kann welche man dann so refinanzieren muss, in Littauen müssen Familien für solch geistig Behindere selbst schauen und können Sie nicht in den Staatdienst abgeben…
Man kann sich fragen, welche „Erfolgsquote“ wäre für die Staatsanwaltschaften noch vertretbar? Wenn „nur“ 80% der Fälle gutgeheissen würden, wäre jeder Fünfte ungerechtfertigt inhaftiert. Könnten sich das die Staatsanwaltschaften „leisten“, zumal jeder ungerechtfertigt Inhaftierte fast schon einen Rechtsanspruch auf Entschädigung hat. Dennoch scheint die Erfolgsquote der Zürcher Staatsanwaltschaften mit über 99% fast schon zu gut um wahr zu sein. Sind vielleicht die Zwangsmassnahmengerichte „ein bisschen“ befangen?
Ausserhalb des Plädoyers sollte schon einigermassen korrekt gerechnet werden und dann kommt man mit den Zahlen aus dem Post oben auf rund 94% Erfolgsquote hinsichtlich der Inhaftierung. Von Durchwinken kann aber keine Rede sein, wenn weniger als 1 von 20 Anträgen auf Haft überhaupt Haft angeordnet wird, zumal davon auszugehen ist, dass die Haft dann teilweise auch nur für wenige Tage angeordnet wird.
@ Junger Anwalt
Wenn Sie die Datenbanken zu StPO 429 ( Entschädigung) studieren, sehen Sie, der Staat versucht eben nicht solche Inhaftierten zu entschädigen. Ausländer bekommen weit weniger als die 200 Fr. pro Tag Haftentschädigung und es wird gestrichen wo das Zeug hält.
Die meisten Staatsanwälte erledigen ihren Job gewissenhaft und gut, ebenso die meisten Richter (Frauen sind durch den Artikel wie immer eingeschlossen), ebenso wie es viele Anwälte tun.
Ich orte aber drei Problemfelder bei ersteren:
1) Die wenigen schwarzen Schafe können enorm viel Schaden anrichten und sind sich das wohl nicht bewusst bzw. es ist ihnen, den schwarzen unter den Schafen, egal (Haft von der Arbeit weg mit Jobverlust etc., Telefonüberwachung, Mail-Überwachung, Hausdursuchungen morgens um 6 Uhr mit einem massiven Überfallkommando – wer da nicht traumatisiert wird, ist nicht normal), man erkennt diese schwarzen Schafe oft daran, dass Selbstkritik nicht im Ansatz vorhanden ist und ihre Untersuchung darin besteht, das bereits gebildete Vorurteil zu bestätigen (10 Minuten Einvernahme genügen meist, um das festzustellen).
2) Die vielen gewissenhaften Staatsanwälte und Straf-Richter können eine berufliche Deformation wohl kaum vermeiden, die nun halt einmal in Richtung Schuldvermutung geht (kein Wunder, wenn man beruflich sehr oft mit Verbrechern und Lügnern zu tun hat); das Abdriften nach dem Motto, man muss sie mit ihren Mitteln bekämpfen, ist eine stets lauernde Gefahr, sodass die weissen Schafe auch mal grau werden.
3) Die Voraussetzungen zur Vermeidung oder Korrektur der beruflichen Deformation bestehen nicht, nicht einmal jene zur Ausmerzung der schwarzen Schafe: Staatsanwälte und Richter waren meistens nicht (lange genug) als Anwälte bzw. Verteidiger tätig; eine Aufsicht, die diesen Namen verdient, gibt es nicht (disziplinarisch), zumal die Aufsicht entweder die eigenen Vorgesetzten sind oder eine Kammer am Gericht, die oft aus ehemaligen Staatsanwälten besteht. Mir ist nach über 20 Jahren Praxis erst ein Fall bekannt, in welchem eine Staatsanwältin (nachträglich still und leise) gegangen wurde, nachdem man sie aber im Straf- und Aufsichtsverfahren durch alle Böden hindurch verteidigt hatte.
Zu den schwarzen Schafen unter den lieben Anwälten lasse ich mich hier nicht aus. Nur zur beruflichen Deformation: Verteidiger neigen dazu, Schuldige (zu) unschuldig zu sehen. Im Gegensatz zur Deformation der Staatsanwälte ist ihre Deformation der Unschuldsvermutung allerdings verfassungsgemäss.
@da: Danke dafür, volle Zustimmung.
Sehr interessant, Danke dafür.
Eine Frage stellt sich noch: Wie kann man einen Antrag auf Untersuchungshaft “teilweise” gutheissen? Wird nur ein Körperteil, z.B. das Bein, in Haft versetzt und der Rest nicht?
@DR:
Nein, Sagen Sie das bloss nicht, sonst kommen noch die Journalisten bei der Republik darauf, dass Menschen durch den Haftrichter auseinandergeschnitten werden. Bei ideologisch verblendeten Leuten kann nie wissen, was in ihren Köpfen vorgeht.
Eine teilweise Gutheissung besteht in der Regel darin, dass nicht wie beantragt drei oder sechs Monate Haft gegeben werden, sondern der Zeitraum vom Gericht eingegrenzt wird.
Also wenn ich den Artikel und die diversen Voten in diesem Blog nicht zu schnell überflogen habe, dann fehlen doch tatsächlich belastbare Zahlen hinsichtlich der Menge an Fällen, in denen die Beschuldigten nach Abschluss des Verfahrens wegen ungerechtfertigter Untersuchungshaft zu entschädigen waren. Ohne diese Zahlen verkommt indes jede Diskussion über dieses Thema (zumal auf dieser Plattform) zu einem vollkommen müssigen Schlagabtausch! Dass allerdings die Verteidiger des Artikels ein funktionierendes ZMG darin zu sehen scheinen, dass es wahrscheinlich mindestens 50% der Haftanträge abweist, erscheint mir doch eine höchst bedenkliche Betrachtungsweise.
Drei Aspekte dieser Praxis wurden in der bisherigen Diskussion noch gar nicht beleuchtet:
1. Es wurde nicht dargelegt, wie oft das ZMG Haftsurrogate prüfte und nicht einfach Untersuchungshaft anordnete. Nach meiner eigenen Erfahrung werden Haftsurrogate praktisch nur dann geprüft, wenn dies die Verteidigung explizit beantragt, obschon dies von Amtes wegen in Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips gemacht werden müsste.
2. Ausgeblendet wird auch die Tatsache, dass die Dauer der erstandenen Untersuchungshaft meist präjudizierend auf die dereinstige Strafe wirkt. Die Sachgerichte neigen eher dazu, die Strafe so anzusetzen, dass auch eine unverhältnismässig lange Untersuchungshaft nicht (teilweise) entschädigt werden muss, sondern mit einer “Punktlandung” hinsichtlich Strafhöhe noch passend gemacht wird. Es wird somit mit der Anordnung von Untersuchungshaft sehr oft eine Weiche hinsichtlich der späteren Strafhöhe gestellt. Dies umso mehr, als in Zürich pauschal fast immer drei Monate Untersuchungshaft und nur in Ausnahmefällen kürzere Dauern bewilligt werden. Dass sodann die Verlängerung der Untersuchungshaft mehr oder weniger reflexartig unter Hinweis auf den Entscheid des letzten ZMG bewilligt wird, beschleunigt die Verfahren auch nicht gerade.
3. Geprüft wird faktisch nur das Vorliegen von Haftgründen, selten jedoch, ob a) wirklich ein dringender Tatverdacht vorliegt und b) ob die Anordnung von Untersuchungshaft wirklich verhältnismässig ist.
Und was mich des öftern erstaunt: Ausserhalb des Kantons Zürich sind die ZMG deutlich kritischer und weisen Anträge eher ab, bwz. ordnen eher einmal von sich aus Haftsurrogate an. Ich denke nicht, dass man behaupten kann, dass die anderen Staatsanwaltschaften schlechtere Anträge stellen oder aber leichtfertiger Haft beantragen. Allenfalls lieg es in Zürich an der schieren Masse an Anträgen, die das ganze zur einer reinen Verwaltungsaufgabe verkommen lässt. Es wäre interessant, hierzu einmal die Ansicht einer Richterin oder eines Richters eines ZMG zu hören.
PS: Es liegt in der Natur der Sache, dass wir mit verschiedenen Funktionen auch unterschiedliche Ansichten haben. Aber als Kolleginnen und Kollegen sollten wir auch mit unseren richtigen Namen zu den eigenen Äusserungen stehen können.
Wenn es Kolleginnen und Kollegen nicht nur formaler Art wären. Aber man wird oft persönlich angegriffen (auch von Anwälten) und hat dann seinen Ruf an den Gerichten und auf den Staatsanwaltschaften weg. So hab’ ich’s aufgegeben, mit Namen zu schreiben, leider. Es “menschelt” in der Justiz eben zu sehr. Sorry.
Der Tatverdacht wird tatsächlich viel zu wenig kritisch geprüft, meist mit dem Argument, in diesem frühen Stadium könne man daran keine zu hohen Anforderungen stellen und – widersprüchlich – es stehe eine hohe Strafe in Aussicht.
Schlimm ist allerdings, wenn der Tatverdacht weitgehend widerlegt werden kann, und es nützt doch nichts. Beispiel: Vergewaltigungsverdacht; Verteidiger gibt dem Haftrichter alle Indizien dagegen durch, z.B. dass die Dame danach noch mit dem Herrn auf dem Balkon gefrühstückt hat, was der Nachbar schon zu Protokoll gegeben hat, dass sie sich vom Herrn danach noch nach Hause chauffieren liess etc., fast schon die gleiche Begründung, die später zum Freispruch führte, jedoch die 3 1/2 Monate Haft mit Stellenverlust nicht verhinderte.
Manchmal sind auch etwas unerfahrene Leute am ZMG und eben, kaum je solche, die schon als Verteidiger tätig waren.
Im gleichen Zusammenhang dürften diese beiden Artikel spannend sein:
Junius, Praktikanten als Richter des Zwangsmassnahmengerichts?, ContraLegem 2021/1, S. 66-68.
https://www.contralegem.ch/2020/12/28/praktikanten
Berner ZMG Berner-Jura Seeland, Leserbrief, ContraLegem 2021/2, S. 89-91.
https://www.contralegem.ch/2021/07/28/leserbrief-praktikanten-als-richter-des-zwangsmassnahmengerichts/
Es gibt Fälle, da schauen Richterinnen und Richter nicht so genau hin, was Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber oder Praktikantinnen und Praktikanten machen und die Akten gar nicht ansehen oder einfach so aus dem Bauch heraus entscheiden. Was soll man da als Gerichtsschreiber machen?