Richterliche Urkundenfälschung?
Manchmal ist es schwer, der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine klare und einheitliche Linie zu entnehmen. Das dürfte sich auch ein Beschwerdeführer gedacht haben, dem das Bundesgericht einlässlich erklärt hat, dass der Beweiswert von entscheidenden belastenden Aussagen halt eben doch auch aufgrund der Akten beurteilt werden kann (BGer 6B_430/2015 vom 12.06.2015):
Allerdings hat das Bundesgericht in seinem Urteil 6B_1251/2014 vom 1. Juni 2015 erwogen, dass auch in einem Fall, in dem neben den einander widersprechenden Aussagen des mutmasslichen Täters und des mutmasslichen Opfers zwei Gutachten vorlagen, welche den angeklagten Sachverhalt nicht direkt belegten, sondern lediglich geeignet waren, die Sachverhaltsschilderung des Opfers zu stützen, eine eigentliche „Aussage gegen Aussage“-Situation vorliege. Das Bundesgericht hat im zitierten Entscheid jedoch nicht allein daraus auf die Notwendigkeit einer unmittelbaren Einvernahme der Privatklägerin durch das Berufungsgericht geschlossen. Es hat die Einvernahme vielmehr deshalb als notwendig erachtet, weil zudem der mentale Geisteszustand der Privatklägerin ungeklärt war. Der im Entscheid 6B_1251/2014 vom 1. Juni 2015 beurteilte Sachverhalt unterscheidet sich damit vom Sachverhalt, der vorliegend zu beurteilen ist (E. 2.5.4).
Das stimmt nur bedingt, denn im vorliegenden Fall wurde die Belastungszeugin nicht einmal im erstinstanzlichen Verfahren durch den Richter befragt.
Möglich ist, dass der Verteidiger den Bogen durch seinen Angriff auf die Vorinstanz überspannt und den Beschützerinstinkt der Justiz geweckt hat:
Die Verteidigung behauptet gar, „der dringende Tatverdacht einer Urkundenfälschung“ liege auf der Hand (…). Die „Manipulation des Protokolls“ lasse den Schluss zu, dass das Gericht in Tat und Wahrheit effektiv realisiert habe, dass mit der geistigen Verfassung des Beschwerdeführers etwas nicht stimmen könne, ansonsten man das Protokoll „lege artis“ hätte ausfertigen können (…). Die Verteidigung bemerkt: „Die Vorstellung resp. aktenkundige Gewissheit, dass hier allenfalls ein Obergericht Urkunden gefälscht haben könnte, ist ungeheuerlich“ (…).
Sowas kann nicht zielführend sein, und zwar auch dann nicht, wenn die Vorwürfe berechtigt wären, was ich nicht von Vornherein ausschliessen möchte, zumal im vorliegenden Fall die Tonaufnahmen mit dem schriftlichen Protokoll verglichen werden konnten, was dem Verteidiger offenbar die Munition geliefert hat).
Schade, dass auf der erwähnten Unterhose nur nach der DNA des Beschwerdeführers, nicht aber auch der vorgeblich Geschädigten gesucht wurde. Scheinbar wurde dem rechtswissenschaftlichen Institut nur dieser einseitige Auftrag erteilt.
Es wurde auch nach der DNA der Geschädigten gesucht: „Die Unterhose konnte am nächsten Tag anlässlich einer Hausdurchsuchung sichergestellt werden. Sie wies an der Aussenseite weissliche Antragungen auf. Im Rahmen der Untersuchung durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich liessen sich darin mikroskopisch zahlreiche Spermien des Beschwerdeführers sowie auch die DNA der Privatklägerin nachweisen (siehe kant. Akten act. 1.4 S. 6 f., act. 2.10).“
„[Die Vorinstanz] erkennt, dass die Glaubwürdigkeit der Privatklägerin aufgrund gewisser Vorkommnisse in der Vergangenheit zwar beeinträchtigt erscheine, doch …“
Die Privatklägerin, eine Sexarbeiterin, auf deren Zeugnis das Urteil wegen mehrfacher Vergewaltigung entscheidend fusst, hat unbestrittenermassen gelogen.
Unbestrittenermassen?
Erwägung 1.2, in der der Privatklägerin die Konsultation eines Arztes unter falschem Namen vorgeworfen wird, ist unbestritten und begründet den zitierten Satz aus der Sicht des Richters (E 2.4.1).